sehepunkte 24 (2024), Nr. 1

Westrey Page (Hg.): Tod und Teufel

Die von Westrey Page kuratierte Ausstellung Tod und Teufel im Düsseldorfer Kunstpalast bemüht sich um eine Historisierung der im Untertitel genannten Faszination des Horrors. Der Parkour der Schau beginnt im ersten Saal mit frühneuzeitlichen Darstellungen des Todes, des Teufels und teuflischer Mächte. Der zweite thematisiert die Romantisierung des Todes, den Wandel der Trauerkultur und die Umdeutung des Teufels zum Anti-Helden im 19. Jahrhundert. Auf die Wände des anschließenden Kabinetts werden Sequenzen aus Klassikern des frühen Horrorfilms projiziert; die klassische Moderne bleibt ansonsten ausgespart. Mit Entwürfen der Haute Couture, die an Trauergewänder angelehnt sind oder Motive aus Horrorfilmen adaptieren, beginnt der Gang durch visuelle Kulturen der Gegenwart, wobei mit Gothic und Metal zunächst zwei Subkulturen und ihre Rezeption in der zeitgenössischen Kunst im Zentrum stehen. Auf mehreren Bildschirmen sind Musikvideos zu sehen, Horrorfilme werden in Form einer Wand mit Filmplakaten repräsentiert. Die Gegenwartskunst ist des Weiteren vertreten mit eher schwarzhumorigen Arbeiten wie einer aus Alltagsgegenständen gebastelten Suizidmaschine. Im vorletzten Saal sind die Themen hingegen von ernüchterndem Ernst: Die Fotographien und Installationen reflektieren historische Gräuel wie den Einsatz von Napalm im Vietnamkrieg und Vivisektionen an versklavten Frauen im Amerika des frühen 19. Jahrhunderts. Den Abschluss markiert die Installation eines völlig zerstörten Mobiliars.

Der Katalog zur Ausstellung beinhaltet drei einführende Essays. Westrey Page umreißt das grundlegende Anliegen der Ausstellung, im Horror nicht nur das Hereinbrechen eines unheilvollen Anderen in die eigene Normalität, sondern auch eine subversive Strategie zu erkennen. Wolf Eiermann, Direktor des Schweinfurter Museums Georg Schäfer, wo die Ausstellung im Sommer 2024 zu sehen sein wird, beschreibt den Wandel in der künstlerischen Auffassung der Themen Tod und Teufel in der Malerei des 19. Jahrhunderts. Catherine Spooner, englische Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf zeitgenössischer Gothic, widmet sich dem Zwiespalt im Umgang der Popkultur mit Todes- und Teufelszeichen, die Nonkonformismus zu markieren scheinen und zugleich die Kommerzialisierung des zur Schau gestellten Lebensstils begünstigen. Interviews mit beteiligten Künstler*innen erschließen Intentionen hinter einzelnen Werken.

Die titelgebende Faszination des Horrors umreißt Page mit Edmund Burkes Bestimmung des Erhabenen sowie der Tradition der Gothic Novel, wobei Burkes Erhabenes als "Zustand des Erstaunens und der intensivsten menschlichen Erfahrung" definiert wird. [1] Burke bezog bekanntlich alle möglichen Phänomene, die im Menschen Angst um das eigene Überleben erregen, in seinen Erhabenheitsbegriff mit ein, zielte aber hauptsächlich auf Naturgewalten ab, die das menschliche Maß übersteigen. Diese sind jedoch allenfalls am Rande ein Thema der Ausstellung. Was diese im Wesentlichen zeigt, ist eine Motivgeschichte des freiwillig oder durch Gewalt bzw. Verwesung entstalteten Körpers; zu dieser Geschichte zählen ein als Écorché gegebener Hl. Bartholomäus (um 1600) ebenso wie Graf Orlock aus Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu oder die Mitglieder der norwegischen Black-Metal-Szene, die sich mit schwarz-weißem Make-Up und Patronengürteln zu militanten Dämonen stilisieren, und der als Zombie Boy bekannt gewordene Performance-Künstler Rick Genest. Gerade das Monströse, das all diesen Körper-Bildern gemein ist, lässt Burke als Ursache für Ideen des Erhabenen aber nicht gelten: Bilder der Hölle, von Teufeln und Dämonen wirkten auf ihn zumeist misslungen, regten beinahe zum Lachen an, sie seien Grotesken. [2] Diesem Begriff nähert sich implizit auch Catherine Spooners Beitrag an, wenn sie auf Julia Kristevas Theorie der Abjektion verweist. Kristeva beschreibt körperliche Ausscheidungen und Überreste als Auslöser von Grauen, da diese einen Übergangszustand von lebendigem Körper und Verfall erkennen lassen; darin wirken sie auch im Sinne von Siegmund Freuds Bestimmung des Unheimlichen, dessen Wirkung besonders in der sich auflösenden Unterscheidbarkeit von lebenden und toten Körpern zum Tragen kommt. Bilder, die derartige Motive zeigen, sind mit Frances S. Connelly als grotesk zu bezeichnen. In ihrer 2012 erschienenen Monographie The Grotesque in Western Art and Culture beschreibt Connelly die Darstellung des Abstoßenden und Monströsen als Ausprägung des Grotesken an der Grenze des Repräsentierbaren. Derartige Bilder lösten eine Verunsicherung über die eigene Identität aus und seien zugleich von heftiger ästhetischer Anziehungskraft. [3] In diesem Zweispalt ähneln sie Burkes Erhabenem, das dann angsteinflößend und zugleich ästhetisch angenehm wirkt, wenn die Betrachtenden wissen, dass sie nicht unmittelbar bedroht sind.

Was die Düsseldorfer Ausstellung und ihr Katalog also eigentlich leisten, ist der Entwurf einer visuellen Geschichte des Unheimlich-Grotesken, deren Wende in der modernen Umwertung der Motive liegt. Da lustvolle Körperlichkeit einst als Kehrseite von Tod und Verwesung verteufelt wurde, eignen sich Motive von Tod und Teufel heute als Symbole selbstbestimmten Aufbegehrens, und mit Kristevas symbolischer Deutung des Abjektiven kann die Identifikation mit dem ausgestoßenen Monströsen Selbstermächtigung begünstigen. Der drohenden Vereinnahmung aller rebellischen Zeichen durch die Konsumwelt ist sich die Ausstellung bewusst und kokettiert doch mit ihr, denn in Düsseldorf wurde ein spektakuläres Rahmenprogramm bemüht: In den ersten Tagen stand eine Geisterbahn vor dem Kunstpalast und die finnische Band Lordi trat in ihren Monsterkostümen auf. Da das Groteske von jeher Motive aus dem Populären schöpfte (dies gilt für François Rabelais und Hieronymus Bosch ebenso wie für Francisco de Goya oder James Ensor), kann die Geisterbahn als historische Konsequenz gesehen werden. Indem in der Geisterbahn neben gewöhnlichen Geisterbahnfiguren auch Nachbildungen von in der Ausstellung gezeigten Werken die Fahrgäste schrecken sollten, wurde die Frage auf die Spitze getrieben, ob die Schau eher Objekte, die in ihrer Geschichtlichkeit Pietät einfordern, zu trivialisieren droht oder vermeintlich trivialen Objekten dieselbe Aufmerksamkeit zukommen lässt wie solchen von mehr schöpferischer Höhe. Um Letzteres zu bewerkstelligen, wäre eine vertiefte Behandlung der einzelnen Exponate, auch und gerade banal erscheinender Stücke wie Spielzeug, Plattencover und Filmplakaten, im Katalog wünschenswert gewesen. Den von Page genannten transhistorischen und transdisziplinären Zugang gewährt der Katalog in Ansätzen, Buch und Schau bieten allerdings reichhaltiges Material für weitere Deutungen; bei diesen dürfte die besondere Aufmerksamkeit für das Triviale im Erschreckenden und das Tiefgründige im Trivialen eine reizvolle Mise en abyme entfachen.


Anmerkungen:

[1] Westrey Page: Tod und Teufel. Einführung in die Faszination des Horrors, in: Tod und Teufel. Katalog zur Ausstellung des Kunstpalastes Düsseldorf, des Hessischen Landesmuseums Darmstadt und des Museums Georg Schäfer Schweinfurt, hg. von Westrey Page, Dresden 2023, 12-33, hier 15.

[2] Edmund Burke: Vom Erhabenen und Schönen, Hamburg 1989, 98-99.

[3] Frances S. Connelly: The Grotesque in Western Art and Culture, Cambridge 2012, 115-147.

Rezension über:

Westrey Page (Hg.): Tod und Teufel. Faszination des Horrors, Dresden: Sandstein Verlag 2023, 199 S., ISBN 978-3-95498-776-4, EUR 42,00

Rezension von:
Robert Bauernfeind
Universität Augsburg
Empfohlene Zitierweise:
Robert Bauernfeind: Rezension von: Westrey Page (Hg.): Tod und Teufel. Faszination des Horrors, Dresden: Sandstein Verlag 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 1 [15.01.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/01/38602.html


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