Kaum eine Darstellung zur Stellung der geistlichen Fürsten im Alten Reich verzichtet auf den Hinweis, dass diese Kaiser und Reich besonders eng verbunden gewesen seien, weil sie als Mindermächtige in besonderem Maße auf den Schutz des Reichs angewiesen gewesen seien. Tatsächlich untersucht wurde die konkrete Partizipation der geistlichen Fürsten am Handlungszusammenhang Reich aber bisher kaum. Dies wenigstens in einem Ausschnitt für das zentrale Forum des Reichstags zu ändern ist das Ziel der hier zu besprechenden Arbeit, die 2022 an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg als Dissertation angenommen wurde. Indem Zwießler mit Bamberg und Würzburg gleich zwei, in der fraglichen Zeit zeitweise durch Personalunion verbundene Bistümer untersucht, leistet er zugleich einen Beitrag zu der Ausgestaltung von Bistumskumulationen - ebenfalls ein von der Forschung bislang vernachlässigtes Feld. Die Darstellung setzt ein mit dem Tod Friedrich Karls von Schönborn 1746, auf den in beiden Bistümern unterschiedliche Bischöfe folgten, und endet mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763, also mitten im Episkopat Adam Friedrichs von Seinsheim, der seit 1757 und noch bis 1779 wieder beide Bistümer in einer Hand vereinte.
Auf die Einleitung folgt ein Überblickskapitel über das Gesandtschaftswesen der beiden Hochstifte. Deutlich wird, dass sich die diplomatischen Aktivitäten der beiden Territorien wohl im Rahmen des Üblichen bewegten, soweit sich dies angesichts der unbefriedigenden Forschungslage überhaupt angeben lässt. Mit ständigen Gesandtschaften waren Bamberg und Würzburg nur am Reichstag und beim Fränkischen Kreis vertreten, in Rom und Wien begnügte man sich mit Agenten und setzte ansonsten weiterhin auf ad-hoc-Gesandtschaften. Dieser Überblick betont damit noch einmal die besondere Relevanz der Vertretung am Reichstag für die Außenbeziehungen der beiden Hochstifte.
Das mit Abstand ausführlichste Kapitel des Buchs gilt den Akteuren und Strukturen der Reichstagspolitik der Hochstifte. Zunächst werden die strukturellen Rahmenbedingungen der Arbeit am Reichstag skizziert. Sodann werden die Reichstagsgesandten in der Würzburger bzw. Bamberger Ämterstruktur verortet. Zwießler arbeitet heraus, dass in beiden Hochstiften - anders als bei größeren Mächten - die Vertretung am Reichstag eine durchaus begehrte, weil gut dotierte Spitzenposition darstellte. Dieser Befund unterstreicht, dass Reich und Reichstag in der Tat zentrale Bedeutung beigemessen wurden. Im Unterschied zur üblichen diplomatischen Praxis bei ständigen Gesandtschaften erhielten die Würzburger und Bamberger Reichstagsgesandten keine umfassende Instruktion zu Beginn ihrer Mission, sondern wurden fortlaufend mit Weisungen zu den konkret anstehenden Fragen versorgt. Überhaupt war die Taktung der Kommunikation zwischen den Bischofssitzen und der Vertretung in Regensburg sehr eng: Zwei- bis dreimal pro Woche versorgten die Gesandten ihre Auftraggeber mit Informationen. Freilich hatten die Berichte nicht nur eine informative Funktion: Mit dem, was und wie sie vom Reichstag berichteten, konnten die Gesandten durchaus die Reichs(tags)politik der Bistümer beeinflussen. Gestaltet wurde diese Politik nicht zuletzt von den Geheimen Referendären, die das besondere Vertrauen des Bischofs besaßen und als eine Art Verbindungsglied zwischen dem Bischof und den Gesandten fungierten. In einem nächsten Schritt werden dann die zentralen Akteure, also Bischöfe, Geheime Referendäre und Reichstagsgesandte, nach Gruppen sortiert, jeweils kurz biographisch vorgestellt.
Das Handeln der Reichstagsgesandten war geprägt von der Pluralität ihrer Rollen und den deshalb zu beachtenden, konkurrierenden Normensystemen. Allerdings zeigen die Ausführungen Zwießlers zur Mehrfachstimmführung auf den Reichstagen und zu den Netzwerken der Gesandten, dass es in der Realität doch eher selten zu größeren Loyalitätskonflikten kam, was auch daran gelegen haben dürfte, dass sich die Gesandten mit ihren Dienstverhältnissen und Kontakten doch ganz überwiegend auf einer Seite des zu dieser Zeit zunehmend bipolar organisierten Reichstags bewegten, in diesem Fall auf der österreichisch-katholischen Seite. Sehr aufschlussreich sind die Ausführungen Zwießlers zur kaiserlichen Politik gegenüber Bamberg und Würzburg. Er weist nach, dass Wien z.B. bei der Einflussnahme auf die Bamberger und Würzburger Reichstagsvoten wesentlich erfolgreicher war als bei den bisher zumeist untersuchten Wahlgesandtschaften, die selten das gewünschte Ergebnis zeitigten. Insgesamt wird in diesem Teil das Agieren der Reichstagsgesandten in dem komplexen System des Reichstags differenziert herausgearbeitet, wobei auf unterschiedliche Konzepte der neueren Politik- und Diplomatiegeschichte zurückgegriffen wird, die auch jeweils kurz vorgestellt werden. Insofern wechseln die Beschreibungsmodi von Unterkapitel zu Unterkapitel. Dies führt auch dazu, dass die angeblich der Analyse zugrunde liegende, akteurszentrierte Perspektive manchmal eher in den Hintergrund gerät und die Reichstagsgesandten als die zentralen Akteure teilweise eher blass bleiben.
Anders als klassische mikropolitische Studien interessiert sich Zwießler aber nicht nur für die Mechanismen der Vernetzung, sondern auch für die Inhalte der mit diesen Mitteln betriebenen Politik. Diese stehen im Mittelpunkt des letzten großen Kapitels. Dabei folgt die Darstellung der Chronologie, wobei drei Phasen unterschieden werden. Die erste Phase wird angesetzt mit der Regierung Anselm Franz' von Ingelheim in Würzburg, untersucht wird also nur Würzburg in einer zudem sehr kurzen Zeitspanne. Diese Einteilung ist wohl das Ergebnis der Tatsache, dass die Regierung Ingelheims in ihrer Dysfunktionalität kaum unter übergeordneten Kriterien zu subsumieren ist. Sie stützt freilich auch die zentrale These des Buchs, dass gerade die Politik der kleinen und mittleren Reichsstände in hohem Maße von individuellen Eigenschaften der Akteure bestimmt wurde, in diesem Fall also dem problematischen Charakter des Fürstbischofs.
Die zweite Phase ist die Friedenszeit zwischen 1748 und 1756, die hier aber als Krisenzeit apostrophiert wird, was vor allem mit der Rekonfessionalisierung der Reichspolitik und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen begründet wird. Würzburg und Bamberg wurden in dieser Phase stets von unterschiedlichen Fürstbischöfen regiert, sodass ein Vergleich der Politik der beiden Hochstifte erfolgen kann. Dabei zeigen sich - trotz ähnlicher struktureller Voraussetzungen - durchaus Unterschiede: Würzburg positionierte sich zumeist recht kaisertreu, während Bamberg eher selbstbewusst die eigenen Interessen vertrat. Zwießler führt dies auf die engeren Klientelbeziehungen der Würzburger Akteure nach Wien zurück.
Die dritte Phase ist dann gekennzeichnet durch den Siebenjährigen Krieg und die Regierung Adam Friedrichs von Seinsheim in beiden Bistümern. Zwießler bestätigt das Bild Seinsheims als eines zuverlässigen Klienten des Kaiserhofs, zeigt aber auch auf, dass jener keineswegs nur ein willfähriges Werkzeug der Wiener Politik war, sondern durchaus Gegenleistungen forderte und auch erhielt. Dass diese meist nicht die erhofften militärischen Erfolge nach sich zogen, steht auf einem anderen Blatt. Der eigentlich im Mittelpunkt der Darstellung stehende Reichstag verlor in dieser Phase für die hochstiftische Politik an Bedeutung, da der Fürstbischof seine - meist die Verbesserung der militärischen Situation und Bedrückungen seiner Länder betreffenden - Bitten nun zumeist direkt an den Kaiserhof richtete und dafür seine zahlreichen Kontakte nutzte. Anders als die bisherige Forschung zieht Zwießler ein durchaus positives Fazit dieser Politik.
Die Studie ist sehr gründlich und auf breiter Quellengrundlage gearbeitet und gewährt zahlreiche differenzierte Einblicke in den Reichstag sowie in die Reichspolitik zweier geistlicher Reichsfürsten Mitte des 18. Jahrhunderts. Da die Darstellung - durchaus mit guten Gründen - nicht nach den beiden Fürstbistümern gegliedert ist, fällt es freilich manchmal schwer, den Überblick zu behalten, ob gerade Bamberger oder Würzburger Verhältnisse behandelt werden. Hier wären eine deutliche innere Gliederung und eine explizitere Gegenüberstellung an den entsprechenden Stellen hilfreich gewesen. Schlussendlich sei noch auf einen häufig präsenten, aber nicht eigens thematisierten Akteur verwiesen, nämlich Bayern. Etliche Protagonisten hatten sich nach 1740 auf die Seite Bayerns geschlagen, was aber in den beschriebenen Fällen höchstens zu kleineren Karrieredellen führte, da die Betreffenden sich nach dem Tod Karls VII. dann glaubhaft Österreich zuwandten. Dennoch waren ihre bayerischen Kontakte wie überhaupt die bayerische Nachbarschaft damit ja nicht verschwunden; im Falle Seinsheims kann Zwießler sogar zeigen, dass Österreich sich dessen gute Verbindungen nach München zunutze zu machen hoffte. Dieser Hinweis ist keineswegs als Monitum zu verstehen, sondern deutet an, dass die Reichstagspolitik der beiden Hochstifte noch weit vielschichtiger war, als sie hier gezeigt werden konnte.
Mangels paralleler Studien fällt es einstweilen schwer einzuschätzen, inwieweit Bamberg und Würzburg eher typische Vertreter mittlerer Reichsstände oder geistlicher Fürsten waren. Zwießler rechnet sie wohl zu Recht zu den eher aktiven Reichsständen - eine Charakterisierung, die durch weitere Untersuchungen zu erhärten wäre.
Florian Zwießler: Geistliche Fürsten und der Reichstag. Die Hochstifte Bamberg und Würzburg als Akteure der Reichspolitik Mitte des 18. Jahrhunderts (= bibliothek altes Reich (baR); Bd. 41), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2023, IX + 415 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-124091-6, EUR 89,95
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