sehepunkte 24 (2024), Nr. 5

Peter Geiss / Peter Arnold Heuser / Michael Rohrschneider (Hgg.): Christen und Muslime in Mittelalter und Frühneuzeit

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung im Bonner Haus der Geschichte im November 2017 zurück. Er "intendiert eine Handreichung insbesondere für alle Lehrkräfte und alle Studierenden, die sich auf eine lehrpraktische Gestaltung des Inhaltsfeldes 2 des nordrhein-westfälischen Kernlehrplans Geschichte für Sekundarstufe II vorbereiten" (14). Zu diesem Zweck werden die (einschließlich Einleitung der drei Herausgeber) zwölf Beiträge in drei Themenblöcke gruppiert.

Themenblock I "Christen und Muslime: Einführende und konzeptionelle Überlegungen" wird mit einem nur leicht überarbeiteten Wiederabdruck eines Lexikonartikels von Stephan Conermann von 2011 zur geschichtlichen Verhältnisbestimmung von Islam und Christentum eröffnet. Peter Geiss stellt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, "dass religiöse Faktoren die Geschichte wesentlich geprägt haben und prägen" (52). In vier Schritten soll dementsprechend dargestellt werden, wie sich "Religion im Geschichtsunterricht als historische[r] Faktor ersten Ranges" (ebd.) thematisieren lasse. Der Geschichtsunterricht sei dabei weltanschaulich neutral, könne aber auf religiöse Vorprägungen der Schülerinnen und Schüler zurückgreifen. Zugleich seien historische Prozesse häufig auch religiös motiviert; das zu verstehen, setze voraus, dass religionskundliches Wissen ein Teil der allgemeinen kulturgeschichtlichen Bildung sein müsse. Schließlich komme es im Geschichtsunterricht darauf an, "Religion als Faktor der Weltgeschichte in ihrer hochgradigen Ambivalenz erkennbar zu machen" (70). Im dritten Beitrag des ersten Teils analysieren Florian Helfer und Sandra Müller-Tietz Schulbuchbeiträge aus fünf Geschichtsbüchern vor dem Hintergrund der Anforderungen des genannten Kernlehrplans. Als Interpretationsparameter dienen Konzeptsensibilität, Interkulturalität und Normativität. Auch wenn die untersuchten Schulbücher große Differenzen in der Behandlung der Thematik aufweisen, so sei ihnen doch gemeinsam, dass das Gegeneinander von Islam und Christentum sowie das "Narrativ kultureller Weiterentwicklung maßgeblichen Einfluss" behalten (97). Das intendierte interkulturelle Lernen finde nicht statt, sondern es werde eher "eine doppelte Fremderfahrung" (98) vermittelt. Als größte Stärke werden von Helfer und Müller-Tietz dagegen die Schulbuchmaterialien aus dem KLP-Themenbereich "Wissenschaft und Kultur" hervorgehoben, die potentiell eine Hilfe sind, "friedliche Transferprozesse und kulturellen Austausch besser nachvollziehen zu können" (ebd.). Peter Arnold Heuser schließlich widmet sich "Religion und Konfession als Dimension einer historischen Friedens- und Konfliktforschung" und hält fest, dass der Lehrplan "hohe, ja gewaltige Anforderungen an das Lehrpersonal" (113) stelle: So seien "die Länge der Zeitachse" (ebd.) sowie "die raumzeitliche Disposition" (ebd.) zu bedenken, z.B. der Begriff "Dschihad" im Vergleich zur Konzeption des "gerechten Krieges" (bellum iustum) seit Augustinus.

Themenblock II "Kulturbegegnung, Kulturtransfer und Gewaltdynamiken im Mittelalter" umfasst drei sehr unterschiedliche Beiträge. Katharina Gahbler stellt unter der Überschrift "Feindbilder verstehen - Präsenz und Funktion von sogenannten Sarazenen in mittelalterlichen Quellen" ein von 2013 bis 2017 von der DFG gefördertes Forschungsprojekt vor, aus dem ein Online-Repertorium [1] und eine Monografie [2] hervorgingen und das die lateinisch-christliche Wahrnehmung des Islam in den ersten fünf Jahrhunderten seines Bestehens beschreibt. Anhand von zwei Fallbeispielen (Hrotsvit von Gandersheim, Johannes von Gorze) wird die Komplexität der Thematik zwischen typisierender Redeweise und flexibler situativer Anpassung verdeutlicht. Alheydis Plassmann reflektiert "Gewalteskalationen im Kontext des Ersten Kreuzzugs". Hierfür vergleicht sie den Celtic Fringe sowie die Eroberung Siziliens mit der Eroberung Antiochias in den Gesta Francorum. Hier hätte noch reflektiert werden können, inwieweit biblische Sprache die Darstellung ("das Narrativ", 161) der Geschehnisse prägt. Im Anhang zu dem Beitrag sind auch für den Schulunterricht nützliche Quellenauszüge zusammengestellt. Daniel C. König schließlich widmet sich der "Convivencia als hierarchisierte[m] Religionspluralismus". Dazu stellt er die Ursprünge des Konzepts in der Franco-Zeit und seine Rezeption in der Folgezeit dar und überprüft den Wahrheitsgehalt in mittelalterlichen Quellen. Das Zusammenleben war dabei, anders als es der Begriff "Convivencia" nahelegt, keineswegs von Gleichwertigkeit geprägt; dennoch war ein "hierarchisierter religiöser Pluralismus [...] sowohl unter christlicher als auch unter muslimischer Herrschaft möglich" (187). Das lasse sich im Geschichtsunterricht durchaus thematisieren.

Die vier Beiträge des Themenbereichs III fokussieren auf "Kontakte und Konflikte in der Frühen Neuzeit". Arne Karsten zeigt unter der Überschrift "Feindbild oder Vorbild?" auf, wie das osmanische Herrschaftssystem der Knabenlese (devsirme) funktionierte und das politische Handeln der Sultane prägte und wie es durch die venezianischen Botschafter im Konstantinopel des 16. Jahrhunderts wahrgenommen wurde. Maria-Elisabeth Brunert ("Vertragspartner, 'Erbfeind', Akteur im Hintergrund? ") zeigt die indirekte Präsenz des Osmanischen Reichs während des Westfälischen Friedenskongresses in Osnabrück und Münster auf und stellt sie in den größeren Zusammenhang der mittelalterlichen und reformatorischen Wertungen des Islam. Dorothée Goetze stellt den vergleichsweise unbekannten Anselme Aubry de la Motrayes (1674-1743) vor, dessen Reiseberichte sich für den Geschichtsunterricht auch unter fremdsprachlichen Aspekten heranziehen ließen. Ihre Interpretation zeigt allerdings sachliche Lücken: Nach osmanischem Recht konnten keine neuen Sakralbauten errichtet werden, was der Reisebericht eindrucksvoll belegt (239). Michael Rohrschneider schließlich beleuchtet das bis heute nachwirkende osmanische Hofzeremoniell und seine Rezeption in vier zeremonialwissenschaftlichen Werken des ersten Drittels des 18. Jahrhunderts.

Die große Vielfalt und das breite Spektrum der Beiträge des Sammelbands belegen eindrucksvoll, dass der eingangs genannte Rahmenlehrplan sich wohl nur unzureichend in die Praxis umsetzen lässt. Es ist dennoch zu hoffen, dass der Sammelband seine Zielgruppe tatsächlich erreicht. Nötiges Material für die gelingende Vermittlung des jüngst wieder vermehrt in den Blickpunkt rückenden schwierigen interreligiösen Verhältnisses von Christentum und Islam und seiner historischen Grundlagen bietet er an.


Anmerkungen:

[1] Vgl. https://saraceni.uni-koeln.de/wiki/Repertorium_Saracenorum [zuletzt 13. April 2024].

[2] Katharina Gahbler: Zwischen Heilsgeschichte und politischer Propaganda. Darstellungsweisen und Darstellungsmuster von Sarazenen aus der Zeit Ottos I. (= Historische Studien; 514), Husum 2019

Rezension über:

Peter Geiss / Peter Arnold Heuser / Michael Rohrschneider (Hgg.): Christen und Muslime in Mittelalter und Frühneuzeit. Ein Schlüsselthema des Geschichtsunterrichts im transepochalen Fokus (= Wissenschaft und Lehrerbildung; Bd. 7), Göttingen: V&R unipress 2022, 284 S., eine Abb., ISBN 978-3-8471-1365-2, EUR 50,00

Rezension von:
Görge K. Hasselhoff
Institut für Evangelische Theologie, Fakultät für Humanwissenschaften und Theologie, Technische Universität Dortmund
Empfohlene Zitierweise:
Görge K. Hasselhoff: Rezension von: Peter Geiss / Peter Arnold Heuser / Michael Rohrschneider (Hgg.): Christen und Muslime in Mittelalter und Frühneuzeit. Ein Schlüsselthema des Geschichtsunterrichts im transepochalen Fokus, Göttingen: V&R unipress 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 5 [15.05.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/05/36829.html


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