Philipp Graf setzt mit seiner Monografie über den jüdischen Kommunisten Leo Zuckermann die Arbeiten fort, die insbesondere seit den 2000er Jahren in Sammel- und Einzelbiografien Motive und Bedingungen jüdischer Remigranten in die SBZ/DDR untersuchten. Graf geht jedoch darüber hinaus. Er konzentriert seinen Blick auf zwei Einflüsse, die entscheidend für Zuckermann gewesen seien: seine jüdische Herkunft und die frühe Zugehörigkeit zur KPD, später zur SED. Graf fragt, inwiefern und wann sich diese Einflüsse ausschlossen, verstärkten oder gar gegenseitig bedingten und nimmt beide Bindungen als kollektive Erfahrungen ernst. Für den Zeitraum ab 1944 hilft Graf auf diese Weise - über das konkrete Beispiel seines Protagonisten hinaus - "den Platz des Holocaust in der Geschichte der Arbeiterbewegung an sich" zu bestimmen (22). Damit löst er die Dichotomie auf, die sich durch die Historiografie zur Geschichte der Juden in der DDR zieht: Entweder erblickte man im Kommunismus der DDR eine die Juden zeitweise akut, zeitweise latent bedrohende Gesellschaftsordnung, die dem Holocaust keinen Platz eingeräumt habe. Oder es wurde die Leistung der antifaschistischen DDR betont, die den Antisemitismus und damit die Ursache für ein kollektives Selbstverständnis von Juden beseitigt habe. Graf zeigt, wie in der Person Zuckermann mal die eine, mal die andere Bindung stärker in Erscheinung trat, beide jedoch miteinander verflochten waren. Widersprüche und Ambivalenzen bleiben so bestehen und tragen zu einem differenzierteren Bild des deutschen Kommunismus bei.
Das Buch ist gegliedert in drei Kapitel, eine Einführung und einen Epilog. Jedes Kapitel behandelt eine "Konversion" (31) im Leben Zuckermanns. Die erste bestand in der Abkehr vom Judentum zugunsten einer Hinwendung zum Sozialismus, die Zuckermann als Reaktion auf die Gewalt, das Elend und den Antisemitismus im und nach dem Ersten Weltkrieg vollzog. Im Juni 1921 trat er aus der jüdischen Gemeinde seiner Geburtsstadt Elberfeld aus und 1924 der SPD bei, 1928 wechselte er zur KPD. Bis 1933 beschäftigten ihn in der Partei allerdings "jüdische Themen" (50) mit antizionistischer Stoßrichtung - etwa der Aufbau von Siedlungen zur Gründung einer jüdischen autonomen Region in der Sowjetunion. Trotz der Identifizierung mit der Arbeiterklasse schlug Zuckermann einen bürgerlichen Bildungsweg ein, studierte Rechtswissenschaften und promovierte zu einem verfassungsrechtlichen Thema, mit dem er sich als Anhänger der Weimarer Ordnung zu erkennen gab. Noch vor Abschluss seiner juristischen Ausbildung verließ Zuckermann Deutschland am 1. April 1933 fluchtartig und schloss sich in Paris dem Umfeld der deutschen Exil-KPD an. Graf macht plausibel, warum die in Deutschland begonnene Beschäftigung mit jüdischen Themen in jenen Jahren unterblieb. Der Antisemitismus der Nationalsozialisten stellte für die kommunistischen Autoren in Paris um das "Braunbuch" keinen zentralen Faktor dar. Folglich engagierte sich Zuckermann als Leiter des Pariser Asylbüros vor allem für politische Flüchtlinge. Er nahm an der Konferenz in Évian teil und beanstandete, dass die Ausarbeitung von Emigrationskonzepten durch die jüdischen Organisationen mit der Frage der Kapitalausfuhr der Flüchtlinge verknüpft worden war. Dies ging ihm zu langsam und war auf langjährige Auswanderung angelegt. Politische Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei und aus Spanien sollten jedoch schnell Hilfe erhalten. Das nachträglich so bezeichnete "Schicksalsjahr 1938" stellte für Zuckermann nicht den Wendepunkt dar, nach dem es für die Juden um "das blanke Leben" ging (89). Das sei, so Graf, eine nachträgliche Einschätzung der ab 1941 einsetzenden physischen Vernichtung, die jedoch erst ab 1942 allmählich bekannt wurde.
Erst mit der zweiten Konversion im mexikanischen Exil wandte Zuckermann seine Aufmerksamkeit den jüdischen Verfolgten als einem "Volk" (93) zu. Darin kam der Schock zum Ausdruck, den die Nachricht von der Vernichtung der europäischen Juden unter den (jüdischen) kommunistischen Exilanten auslöste. Graf erinnert immer wieder daran, dass bis zu Zuckermanns Flucht aus dem unbesetzten Frankreich nach Mexiko im Oktober 1941 für ihn und seine Mitstreiter von der Eskalation der Judenpolitik nicht viel zu spüren war. Die Neubewertung der "jüdischen Frage" durch die mexikanische Parteigruppe um Paul Merker, der auch Zuckermann angehörte, setzte 1942 ein und war einzigartig, wie Graf betont. Begünstigt wurde der Fokus auf den Holocaust durch die Tatsache, dass die Gruppe um Merker ohne Kontakt mit der deutschen KP-Führung in Moskau agierte. Dieser Umstand und die persönliche Sorge um eigene Angehörige bewegten Zuckermann politische Maßnahmen zugunsten der Juden als Gruppe zu fordern. Er sprach sich für einen jüdischen Staat in Palästina und die vorbehaltlose Wiedergutmachung der Schäden aus, die den Juden zugefügt worden waren. Spätestens ab 1944 befasste er sich als Jurist mit den rechtlichen Möglichkeiten einer Restitution, was er jedoch zunächst unter den Vorbehalt stellte, dass eine ökonomische Wiedergutmachung in einem Deutschland, das die Wurzeln des Faschismus ausgerottet und in dem die Arbeiterklasse die Herrschaft übernommen habe, nicht mehr erforderlich sei. Gleichwohl erklärte Zuckermann die Juden als Kollektiv für anspruchsberechtigt.
Die im dritten Kapitel abgehandelte neuerliche Konversion Zuckermanns bestand darin, dass er sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland und dem raschen Aufstieg im Parteiapparat der SED 1952 zum zweiten Mal gezwungen sah, Deutschland überstürzt zu verlassen. Da er sich aufgrund seiner Haltung zu jüdischen Fragen nach den antisemitischen Prozessen in der Tschechoslowakei abermals mit dem Tod bedroht sah, war es die jüdische Herkunft in seiner Biografie, die den Bruch mit der DDR auslöste. Gleichwohl suchte er bei seiner zweiten Auswanderung nach Mexiko nie die Annäherung an jüdische Organisationen. Er blieb der SED weiterhin loyal verbunden. Abermals betont Graf, dass Zuckermann 1949 bei der Vorbereitung eines Restitutionsgesetzes in der DDR nicht davon ausgehen musste, sich durch seine Parteinahme für eine möglichst umfassende finanzielle Entschädigung zu gefährden. Vielmehr erarbeitete er den Entwurf im Auftrag der SED, die zu dem Zeitpunkt noch ein breites Verständnis von der Wiedergutmachung erlittenen Unrechts hatte.
Graf lotet die Positionen und Möglichkeiten der als "Zwischenzeit" (Dan Diner) (201) bezeichneten Phase in der DDR aus und folgt Zuckermanns Entscheidungen aufgrund der jeweiligen Handlungsspielräume. Dabei zeigt sich, dass Zuckermanns Engagement für eine privilegierte Restitution an die jüdischen Opfer im Einklang mit seinen Überzeugungen als Kommunist erfolgte. Beide Einflüsse blieben gleichermaßen bedeutend und anhaltend, auch wenn sie nicht immer sichtbar sein Handeln bestimmten. Dadurch wird die Hybridität dieser Zeit sichtbar, die noch nicht durch den Systemkonflikt dominiert war. Grafs Biografie zeigt eindrucksvoll, dass der Zivilisationsbruch des Holocaust auch für die Juden in der DDR den entscheidenden Referenzrahmen ihres Verhältnisses zu Deutschland bildete - unabhängig davon, ob die Protagonisten sich dessen bewusst waren oder nicht.
Philipp Graf: Zweierlei Zugehörigkeit. Der jüdische Kommunist Leo Zuckermann und der Holocaust, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2024, 356 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-30257-6, EUR 45,00
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