sehepunkte 24 (2024), Nr. 10

Frances B. Titchener / Alexei V. Zadorojnyi (eds.): The Cambridge Companion to Plutarch

2014 erschien bei Wiley-Blackwell in der Reihe "Blackwell Companions to the Ancient World" ein über 600 Seiten umfassendes Companion, das die historische Person und den Autor Plutarch in all seinen literarischen, politischen, philosophischen, wissenschaftlichen und intellektuellen Facetten beleuchtet. [1] 2019 gesellte sich zu diesem Band ein weiteres Companion, das sich als "Brill's Companion to the Reception of Plutarch" besonders der rezeptionsgeschichtlichen Perspektive auf den Autor verschrieben hat. [2] Mit dem Erscheinen des "Cambridge Companion to Plutarch" 2023 stellt sich nun zwangsläufig die Frage nach der Notwendigkeit eines solchen weiteren Bandes. Brauchen wir noch ein weiteres Companion zu Plutarch?

Der von Frances B. Titchener und Alexei V. Zadorojnyi herausgegebene Band umfasst nach einer instruktiven Einleitung 19 Beiträge, zum Großteil von namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich nicht erst seit kurzem maßgeblich um die Plutarchforschung verdient gemacht haben. Dass allerdings nicht weniger als 16 Autorinnen und Autoren dieses Bandes bereits mit einem Beitrag im "Blackwell Companion" vertreten sind, lässt die eingangs gestellte Frage nach dem Sinn eines weiteren Bandes dieses Zuschnittes noch virulenter erscheinen.

Als Hauptziel des Bandes definieren die Herausgeber, Plutarchs Rolle im diskursiven und soziokulturellen Kontext der griechisch-römischen Welt zu verorten (1) und sein vielschichtiges literarisches Werk als "macrotext" zu begreifen und zu analysieren (6-9). Bei einer so facettenreichen Figur, wie sie Plutarch zweifelsfrei war, ist ein solcher Zugang sicherlich mehr als berechtigt, besonders innovativ ist er allerdings kaum mehr. Insbesondere die Arbeiten und Bände von Judith Mossman, Lukas de Blois oder Anastasios G. Nikolaidis haben hier bereits in den späten 1990er und 2000er Jahren die entscheidenden Grundlagen für ein solches Verständnis des Plutarchschen Werks geschaffen. [3]

Die einzelnen Beiträge reihen sich ohne Binnengliederung aneinander, was es den Leserinnen und Lesern erschwert, die Struktur des Bandes unmittelbar zu erfassen. Einige Kapitel behandeln im herkömmlichen 'Companion-Stil' übergeordnete und zentrale Themen der politischen, philosophischen und literarischen Figur Plutarchs und sehen sich dadurch zwangsläufig mit dem Problem inhaltlicher Überschneidungen mit den Beiträgen des bereits existierenden Plutarch Companions konfrontiert. Im ersten Kapitel des Bandes zu 'Plutarch and Biography' löst Christopher Pelling diese Schwierigkeit über einen modernen literaturwissenschaftlichen Zugang und präsentiert so weitgehend etablierte Erkenntnisse über den Autor und sein Verständnis von biographischer Darstellung in einer neuen Form der Systematisierung. Manuel Tröster und Philip Stadter definieren in ihren Beiträgen zu 'Romanness and Greekness in Plutarch' (Kap. 2) und 'Plutarch and Classical Greece' (Kap. 9) Plutarchs biographisch-literarische Verortung im Spannungsfeld zwischen römischer und griechischer Kultur und Lebenswelt. Mit ihrem Fokus auf die griechische Seite ergänzen sie das inhaltliche Portfolio des Blackwell-Companion, das diese Perspektive nicht spezifisch ins Zentrum eines Kapitels rückt. Die Beiträge 'Plutarch As Moral and Political Educator' (Kap. 3) von Timothy Duff und 'In the Spirit of Plato' (Kap. 4) von Jan Opsomer behandeln die moralisch-ethische Ausrichtung des Plutarchschen Werkes und eine philosophische Positionsbestimmung seiner Lehren. Sie geben einen guten Überblick über ihre spezifischen Themenfelder, die jedoch im Blackwell-Companion - jeweils verteilt auf mehrere Beiträge - wesentlich differenzierter beleuchtet werden. Gleiches gilt auch für den Beitrag von Donald Russell zu 'Language, Style, and Rhetoric' (Kap. 8). Große inhaltliche Übereinstimmung mit Kapiteln ähnlichen Zuschnitts zeigen sich außerdem auch in den beiden Beiträgen mit dem thematischen Fokus zu 'Religion and Myth in Plutarch' (Kap. 6) von Robert Lamberton und zu 'Plutarch and Animals' (Kap. 14) von Judith Mossman und Alexei V. Zadorojnyi. Eine erfrischend andere Perspektive wirft dagegen Françoise Frazier (Kap. 11) auf das Themenfeld 'Sexualität' und 'Gender', indem sie sich in Abgrenzung vom thematischen Äquivalent im Blackwell-Companion dezidiert nicht auf politische Kontexte, sondern auf den familiär-privaten Bereich konzentriert.

Der besondere Mehrwert des Bandes besteht in den Beiträgen, die Themenfelder erschließen, denen im Blackwell-Companion wenig oder keine Aufmerksamkeit geschenkt wurden. John Dillon und Alexei V. Zadorojnyi untersuchen Plutarch in der Rolle des Polemikers (Kap. 5) und richten ihren Blick auf die Kritik, die der Autor sowohl an Vorgängerwerken im Bereich der Geschichtsschreibung und Dichtung als auch vor allem im Bereich der Philosophie übte. Es gelingt über diesen Zugriff, instruktive Ergebnisse auf ganz unterschiedlichen Ebenen zu generieren, die methodische Erkenntnisse über Plutarchs Kritik ebenso einschießen wie eine inhaltliche Positionsbestimmung des Autors als Literat und Philosoph in der literarischen, philosophischen und intellektuellen Tradition seiner Zeit. In ihrem Beitrag zu 'Plutarch at the Symposium' (Kap. 6) behandelt auch Katerina Oikonomopoulou einen Themenbereich, der vordergründig sehr spezifisch erscheint, über dessen lebensweltliche, moralische und literarische Dimension die Autorin aber ebenfalls unterschiedliche Facetten des Plutarchschen Werkes geschickt und anschaulich ausleuchtet. Mark Alexander Beck nimmt in seinem Kapitel 'Great Men: Leadership in Plutarch's Lives' (Kap. 10) einen Aspekt in den Blick, dessen zentrale Bedeutung sich aus dem Werk Plutarchs mehr als offensichtlich selbst erschließt. Es mag verwundern, dass dieser Punkt im Blackwell Companion keine spezifische Beachtung findet, umso erfreulicher ist es, dass hier diese Lücke nun mit einem umfang- wie kenntnisreichen Beitrag geschlossen wird. Auch mit dem Themenfeld 'Wealth and Decadence in Plutarch's Lives' (Kap. 12) wendet sich Christopher Pelling einem für die Konzeption der biographischen Charakterstudien des Autors bedeutsamen Bereich zu, anhand dessen er die Komplexität von charakterisierenden Logiken anschaulich zu verdeutlichen vermag. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen Reichtum und Dekadenzerzählung, der vermeintlich naheliegend erscheint, stellt er als zu unterkomplex heraus. Weitere neue Impulse setzt Eran Almagor mit seinem Beitrag 'Plutarch and the Barbarian "Other"' (Kap. 13). Er bricht dabei die weit verbreitete dichotome Perspektive auf Plutarch als Autor zwischen der griechischen und römischen Kultur und Lebenswelt auf und diskutiert vor diesem Hintergrund literarische und moralische Dimensionen ethnischer Schemata in seinem Werk.

Fraglich ist, als wie sinnvoll oder notwendig man es betrachten mag, der Rezeption des Plutarchschen Werkes weitere fünf Beiträge in diesem Band zu widmen, wird doch dieses Themenfeld bereits durch das "Brill's Companion to the Reception of Plutarch", herausgegeben von Sophia Xenophontos and Katerina Oikonomopoulou, in 37 Kapiteln differenziert und umfassend erschlossen und behandelt.

Als Gesamtpublikation gelingt es dem "Cambridge Companion to Plutarch" in vielen Einzelbereichen anschaulich und kenntnisreich den Wert einer makrotextuellen Analyse des Plutarchschen Œuvre zu verdeutlichen. Kritisch anzumerken ist die mangelnde Konsistenz zwischen den zum Teil sehr unterschiedlichen Beiträgen und Perspektiven, die allerdings auch von den Herausgebern bewusst nicht angestrebt wird (10). Dieser Zuschnitt macht es andererseits auch möglich, die Lücken zu schließen, die das 'Vorgängermodell' von Wiley Blackwell offengelassen hat. Der Band liefert somit einen wertvollen Beitrag zur Plutarchforschung, ob er jedoch den Titel 'Companion' zurecht trägt und den Erwartungen an eine solche Publikation in jeder Hinsicht gerecht wird, bleibt dahingestellt.

Wertvoll weiterhin ist eine umfassende und aktuelle Gesamtbibliographie, die trotz einer vornehmlich im anglophonen Kontext verorteten Beiträgerschaft auch die italienische, französische, deutsche und spanische Forschung einschließt. Preislich liegt der Band unter 40 Euro und ist somit auch in Bezug auf das Preis-Leistungsverhältnis eine möglicherweise interessante Alternative zum fast viermal so teuren Plutarch-Companion der Blackwell-Reihe.


Anmerkungen:

[1] Mark Beck (ed.): A Companion to Plutarch, Chichester 2014.

[2] Sophia Xenophontos / Katerina Oikonomopoulou (eds.): Brill's Companion to the Reception of Plutarch, Leiden 2019.

[3] Judith Mossman (ed.): Plutarch and his Intellectual World. Essays on Plutarch, London 1997; Lukas de Blois e.a. (eds.): The Statesman in Plutarch's Works, Leiden 2004; Anastasios G. Nikolaidis (ed.): The Unity of Plutarch's Work, Berlin 2008.

Rezension über:

Frances B. Titchener / Alexei V. Zadorojnyi (eds.): The Cambridge Companion to Plutarch, Cambridge: Cambridge University Press 2023, X + 511 S., ISBN 978-0-521-17656-9, EUR 35,00

Rezension von:
Anna-Sophie Haake
TU Braunschweig
Empfohlene Zitierweise:
Anna-Sophie Haake: Rezension von: Frances B. Titchener / Alexei V. Zadorojnyi (eds.): The Cambridge Companion to Plutarch, Cambridge: Cambridge University Press 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/10/38524.html


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