sehepunkte 24 (2024), Nr. 10

Karolina Kuszyk: In den Häusern der Anderen

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg die Vorstellung des Buches von Karolina Kuszyk und das Autorengespräch mit ihr besucht habe. Vorgestellt wurde die deutsche Übersetzung ihres Buches, das 2019 mit dem Originaltitel "Poniemieckie" auf Polnisch erschienen war. Die Veranstaltung war ausgebucht. Im Publikum saßen überwiegend ältere Menschen über 70. Insgesamt ist Kuszyks Buch bzw. das von ihr behandelte Thema in Deutschland auf großes Interesse gestoßen, und zwar nicht nur bei Angehörigen der älteren Generation, die vielleicht noch selbst in den von Kuszyk behandelten Regionen geboren worden sind. Wie die Autorin selbst sagte, war die Resonanz auf ihr Buch in Deutschland noch emotionaler als in Polen.

Der Grund für das große Interesse und die innere Anteilnahme des deutschen Publikums ist nicht nur das Thema der sog. "Wiedergewonnenen Gebiete" - deutsche Gebiete, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten Polen zugesprochen wurden. Darüber kann man bereits seit Längerem aus Büchern anderer Autoren erfahren. [1] Kuszyk erzählt jedoch die Geschichte der "Wiedergewonnenen Gebiete" anhand von Objekten und Gegenständen, die von den Deutschen bei ihrer Flucht, Vertreibung oder Zwangsaussiedlung vor Ort zurückgelassen werden mussten. Es sind gerade diese Objekte, die für viele Deutschen auch heutzutage noch einen großen emotionalen Wert haben.

Basierend auf Erinnerungen derjenigen Siedler:innen, die seit 1945 in diese Gebiete kamen, sowie zahlreichen von ihr geführten Interviews präsentiert Kuszyk dem deutschen Publikum umfangreiche Informationen darüber, wie mit den zurückgelassenen Objekten und Gegenständen umgegangen wurde, wie sie nach dem Krieg und im sozialistischen Polen wahrgenommen wurden und wie es heutzutage um sie steht. Gleichzeitig gewährt dieses Buch Einblicke in die Gesellschaft der "Wiedergewonnenen Gebiete", wobei die Autorin der Frage nachgeht, "was es für die Psyche des Menschen bedeutet, wenn er sich in den Hinterlassenschaften eines eben noch verfeindeten Volks ein neues Leben aufbauen muss?" (14)

Wie Kuszyk selbst erklärt, ist ihr Buch "keine wissenschaftliche Forschungsarbeit" (21). Vielleicht auch deshalb (und bestimmt auch dank der guten Arbeit des Übersetzers Bernhard Hartmann) ist das Buch besonders gut lesbar. Die Leser:innen folgen der Autorin bei ihren Erkundungen des "ehemals Deutschen" in West- und Nordpolen. Obwohl die meisten Beispiele und die damit verbundenen Geschichten, wie auch die Autorin selbst, aus Niederschlesien stammen, führt Kuszyk ihr Publikum unter anderem auch nach Pommern, Ermland oder Masuren. Dies erweist sich jedoch als höchst problematisch. Im Zuge ihrer Argumentation springt die Autorin immer wieder von einer Region in die andere, ohne die lokalen Besonderheiten und Unterschiede zu berücksichtigen. Dies vermittelt den Eindruck, als sei der Umgang mit den deutschen Hinterlassenschaften in den "Wiedergewonnenen Gebieten" insgesamt zwar uneinheitlich gewesen, aber in jeder Region wie Pommern oder Niederschlesien für sich genommen gleich. Bei meiner eigenen Forschung im Rahmen des Projekts "Recycling the German Ghosts" [2] zum Umgang der Siedler:innen mit "ehemals deutschen" Dingen unter anderem in Pommern bin ich zu einem anderen Ergebnis gekommen. Die Situation konnte von Stadt zu Stadt, von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich sein und sollte nicht verallgemeinert werden.

Als problematisch empfinde ich auch die Struktur des Buches. Dessen Hauptteil besteht aus sieben Kapiteln. Diese basieren überwiegend auf Objekten und Gegenständen wie zum Beispiel "Häusern", "Möbeln" oder "Dingen". Daneben gibt es aber auch das Kapitel "Plündern", das den Umgang mit den deutschen Hinterlassenschaften in den Vordergrund stellt. Das letzte Kapitel "Liegnitz" ist wiederum dem Geburtsort der Autorin gewidmet. Eine Erklärung für diese Gliederung bleibt leider aus. Zudem wird nicht erklärt, was genau mit "Dingen" gemeint ist - auch hier werden "Möbel" erwähnt, obwohl diesen ein separates Kapitel gewidmet ist.

Der Originaltitel "Poniemieckie" lässt sich am ehesten mit "ehemals Deutsch" übersetzen, und diese Formulierung ist zentral für Kuszyks Erzählungen. Erstmals erscheint der Begriff "poniemieckie" in dem Dekret vom 8. März 1946, das sich auf das Vermögen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches bezieht. Er wird darin jedoch nicht spezifiziert. Trotzdem beruhte auf diesem Begriff die Aneignung des sich in den "Wiedergewonnen Gebieten" befindlichen Vermögens. Die Autorin versucht eine sprachwissenschaftliche Herangehensweise: "Das Deutsche, das in den Besitz der Polen überging, ist poniemieckie" (82). Zu fragen wäre aber, ob es hierfür nicht eine zeitliche Begrenzung gibt. Als ich selbst z. B. im Zuge meiner Feldforschung in Pommern in einem Second-Hand-Laden nach "ehemals deutschen" Sachen fragte, bekam ich zur Antwort, alles dort sei "ehemals deutsch", weil es aus Deutschland hergebracht worden sei.

Wie aus den zahlreichen Geschichten, die Kuszyk in ihrem Buch schildert, ersichtlich wird, verstehen die Einwohner der "Wiedergewonnenen Gebiete" unter der Bezeichnung "ehemals deutsch" ganz unterschiedliche Dinge. Für manche ist es etwas Wertvolles von guter Qualität, während es für andere wiederum keinen Wert hat und beliebig verwendet werden kann. Bei manchen stehen "ehemals deutsche" Sachen in den Vitrinen ihrer Wohnzimmer. Bei anderen sind sie versteckt auf dem Dachboden oder im Keller. Kuszyk selbst hat ihre ganz eigene idealisierte Vorstellung vom "ehemals Deutschen". Es symbolisiert für sie das Schöne, das sie in Kontrast zu dem grauen Plattenbau stellt, in dem sie selbst aufgewachsen ist (16). Der Verfall der ehemals deutschen Häuser sowie der Bau neuer Plattenbauten im sozialistischen Polen werden mit negativem Unterton beschrieben (26 f., 50 f.). Dasselbe gilt für moderne Sanierungen oder den Austausch alter gegen neue Möbel, während Versuche, das Alte - "ehemals Deutsche" - zu retten, als positive Beispiele Erwähnung finden (62-64). Kuszyk fragt aber nicht danach, in welchem Zustand die Häuser und Gegenstände heutzutage wären, wenn sie ihren deutschen Eigentümern nicht weggenommen worden wären. Wäre dann keine zeitgemäße Modernisierung erfolgt? Für die Autorin besitzt das "ehemals Deutsche" einen "komplexen, beunruhigenden Zauber", was aber heutzutage durch touristische Propagation "banalisiert" werde (281).

Neben dem "ehemals Deutschen" erwähnt Kuszyk auch das "ehemals Jüdische" (pożydowskie) (z. B. 82). Auch in diesem Fall bleibt jedoch eine nähere Auseinandersetzung mit dem Begriff aus. Eine Möglichkeit hätte sich in dieser Hinsicht z. B. geboten, als sie über ihr Treffen mit Menachem Kaiser schreibt, der das Eigentum seiner jüdischen Vorfahren in Polen zurückzugewinnen versucht. [3]

Letztlich bleiben viele Fragen in Bezug auf die Besiedlung der "Wiedergewonnenen Gebiete" sowie den Umgang mit dem "ehemals Deutschen" leider offen. Trotz meiner kritischen Betrachtung würde ich das Buch aber als lesenswert bezeichnen und es weiterempfehlen. Für sehr gelungen halte ich nicht nur den besonders gut lesbaren Schreibstil der Autorin (und des Übersetzers), sondern vor allem auch den Ansatz, die Geschichte einer Region über die Geschichte ihrer Objekte und Gegenstände sowie den Umgang damit zu erzählen. Bei der Lektüre sollten jedoch meines Erachtens die oben angesprochenen Schwächen berücksichtigt werden.


Anmerkungen:

[1] Zum Beispiel Beata Halicka: Polens Wilder Westen. Erzwungene Migration und die kulturelle Aneignung des Oderraums 1945-1948, Paderborn u. a. 2013.

[2] Recycling the German Ghosts. Resettlement Cultures in Poland, Czechia and Slovakia after 1945. https://spectralrecycling.ispan.edu.pl (27.09.2024)

[3] Menachem Kaiser: Kajzer. Mein Familienerbe und das Abenteuer der Erinnerung, Wien 2023.

Rezension über:

Karolina Kuszyk: In den Häusern der Anderen. Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen. Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann, Berlin: Ch. Links Verlag 2022, 395 S., ISBN 978-3-96289-146-6, EUR 25,00

Rezension von:
Michal Korhel
Institut für Slawische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau
Empfohlene Zitierweise:
Michal Korhel: Rezension von: Karolina Kuszyk: In den Häusern der Anderen. Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen. Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann, Berlin: Ch. Links Verlag 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 10 [15.10.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/10/39028.html


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