Wenn die Rezensenten richtig gezählt haben, dann sind von Stuart Jenks' großangelegter Edition der London Custom Accounts in diesem Jahr nicht weniger als zwölf Bände erschienen. Mit dem anzuzeigenden Buch legt Jenks in Sachen Quellenerschließung und -aufbereitung noch einen drauf: Erstmals liegen uns nun in einer gebündelten Edition die vier überlieferten Books of Rates aus den Jahren 1507, 1536/45, 1558, 1604 vor, einschließlich einer Handschrift aus den Hansebeständen des Kölner Stadtarchivs, die weniger bekannte Teilübersetzungen der Books of Rates von 1536/45 und 1558 enthält.
Obwohl in der Reihe der Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte erschienen, sind der Edition zwei Leseanleitungen vorangestellt, die sich primär an die englische Wirtschafts- und Handelsgeschichtsschreibung richten. Das gilt insbesondere für das ausführliche Vorwort (ix-xxxii). Da die hier ausgebreiteten Überlegungen zum Aussagewert der Books of Rates ein besseres Verständnis davon voraussetzen, um welche Art von Quellentexten es sich hierbei überhaupt handelt, sei zunächst auf die nachfolgende Einleitung (xxxiii-lxv) eingegangen, wo die editierten Texte quellenkritisch vorgestellt werden. Diese Kritik ist - so viel sei hier schon vorab gesagt - auch deshalb so wertvoll, weil sie systematisch alle überlieferten Books of Rates einbezieht (bes. xl-xlix).
Anders als der nicht ganz glückliche (wiewohl zeitgenössische) Name erwarten lässt - Jenks spricht von einem "misnomer" (xxxv) -, finden sich in den Books of Rates keine Zollsätze kodifiziert. Eine Verschriftlichung dieser Quoten dürfte schon deshalb unnötig gewesen sein, weil sie relativ stabil und den Zollbeamten dementsprechend gut bekannt waren. Stattdessen listen die Books of Rates in Geld bemessene, tendenziell unter den Markpreisen liegende Standardwerte auf - und zwar für alle Güter und Warenkontingente, die üblicherweise im Rahmen des Überseehandels gehandelt wurden. Auf der Grundlage von schwierigen Verhandlungen zwischen der Krone und den Londoner Zollbeamten auf der einen Seite und den Merchant Adventurers auf der anderen Seite zustande gekommen, lag die causa scribendi dieser alphabetisch sortierten Listen darin, die von den einzelnen Zollbeamten zu leistende Zollberechnung zu standardisieren und zu beschleunigen, kurzum: die Effizienz der königlichen Zollverwaltung angesichts eines stark expandierenden Handelsvolumens insgesamt zu gewährleisten. Diese Expansion kommt in den immer detaillierter werdenden Warenauflistungen der Books of Rates (ca. 330 im Jahr 1507; ca. 1900 im Jahr 1604) genauso zum Ausdruck, wie die allgemeinen Standardisierungstendenzen, die den Warenverkehr seit dem 15. Jahrhundert zunehmend auszeichnen.
Weil die Standardwerte für jeden Kaufmann, zumal wenn er sich im englischen Außenhandel engagieren wollte, wichtige Markt- und Kosteninformationen bereithielten, wurden die Books of Rates wiederholt reproduziert. Offenbar gelang es auch dem Stalhof, Abschriften bzw. Übersetzungen anzufertigen. Allerdings dürften diese selektiven Teilübersetzungen der Books of Rates von 1536/45 und 1558 kaum die wirtschaftlichen Prioritäten 'der Hanse' insgesamt widerspiegeln. Eine Klarstellung, die die Rezensenten in der Einleitung trotz längerer Ausführungen zu den anglo-hansischen Beziehungen (liv-lxi) vermisst haben. Immerhin wurde der 'hansische' Englandhandel (eine zeitgenössische Kategorie des englischen Zolls) seit dem späten 15. Jahrhundert zum größten Teil durch Kölner Kaufleute abgewickelt - eine Einsicht, die wir nicht zuletzt den Arbeiten von Jenks verdanken. Dass diese Übersetzungen im Untertitel der Edition als "Hanseatic Translations" angesprochen werden, liegt hingegen auf einer diplomatisch-politischen Ebene begründet. Wie nämlich schon ihre Benutzung durch den kölnischen Hansesyndikus Dr. Heinrich Sudermann zeigt, spielten diese Übersetzungen eine wichtige Rolle in den 1558/60 stattfindenden Verhandlungen zwischen 'der Hanse' und der englischen Krone, in der es auch um die Grundlagen der Zollberechnung ging.
Kommen wir noch einmal auf das Vorwort zurück, in dem das historiographische Potential der Books of Rates für die englische Wirtschafts- und Handelsgeschichte herausgearbeitet wird. Mit Blick auf den bisherigen Forschungsstand wird hier zunächst betont, dass die seriell überlieferten London Custom Accounts unsere Hauptquelle für quantitative Analysen des englischen Außenhandels zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert sind. Anknüpfend an das Vorwort zum Pilotband seiner London Custom Accounts-Edition weist Jenks nun darauf hin, dass es sich bei diesen durch die Zollbeamten systematisch durchgeführten Dokumentationen immer auch um 'Rechenschaftsberichte' handelte, die in einem schwer einzuschätzenden Maß durch Schmuggel oder Kollusionen zwischen Zöllnern und Kaufleuten verzerrt sein dürften. Steht unser Bild vom englischen Außenhandelsvolumen damit auf schwankendem Grund, so könnten die Books of Rates laut Jenks immerhin ein verlässlicheres Bild davon bieten, aus welchen Warenströmen sich dieser Handel zu vier Zeitpunkten im 16. Jahrhundert zusammensetzte. Und in der Tat: Eine systematische Auswertung dieser detaillierten Wareneinträge würde über bisherige Analysen des englischen Außenhandels hinausgehen, die sich vor allem auf einzelne Export- und Importschlager (z.B. Wolle) konzentriert haben. Zudem könnte eine Untersuchung der Books of Rates dabei helfen, noch genauer die Neuausrichtungen in der englischen Export- bzw. Textilindustrie nachzuvollziehen, wie sie etwa durch die konfessionell bedingte Ab- und Zuwanderung von Fachkräften ausgelöst wurden.
Abschließend sei auf die eigentliche Edition eingegangen, die sich an den Grundsätzen der Monumenta Germaniae Historica orientiert. Von den edierten Texten werden zunächst diejenigen der Books of Rates dargestellt (I., 1-12; II., 13-40; III., 41-75; IV., 77-124), darauf folgen diejenigen der Kölner Handschrift (V., 125-200). Die von den englischen Zollbeamten mitunter benutzten römischen Zahlen sind der besseren Lesbarkeit halber zu arabischen Zahlen vereinheitlicht. Diakritische Zeichen, die eindeutig nicht als Lautungszeichen dienen, finden sich aus demselben Grund unterdrückt. Ein Buchstabenindex im Fußnotenapparat dokumentiert die Textüberlieferung und dient zugleich als Sachkommentar. Als Besonderheit seien drei (als schwarz-weiß Abbildungen wiedergegebene) Zeichnungen im Apparat zur Kölner Handschrift vermerkt, die offenbar Wareneinträge illustrieren sollen (151, 153). Die Edition ist sowohl für die Books of Rates (201-286) als auch für die Kölner Übersetzungen (287-351) mit einem Sachregister erschlossen, das auch als Glossar genutzt werden kann und aufgrund seines Umfangs auch für die Erschließung anderer Quellentexte geeignet ist.
Insgesamt eine beeindruckende Editionsleistung, die ein wichtiges und sinnvoll zusammengestelltes Quellenkorpus sowohl für die englische als auch die hansische Wirtschafts-, Organisations- und Diplomatiegeschichte zugänglich macht. Zwar hätten das Vorwort und die Einleitung nach dem Geschmack der Rezensenten an manchen Stellen etwas pointierter ausfallen können (so hat z.B. der längere Exkurs zum Standardmodell der Teilchenphysik nur einen metaphorischen Sinn), aber im Kern sind diese Ausführungen auch in ihren (spiel-)theoretischen Anteilen überzeugend und bestechen durch ihre quellenkritische Expertise.
Stuart Jenks (ed.): Four Books of Rates (1507, 1536/45, 1558, 1604). And Two Hanseatic Translations (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte. Neue Folge; Bd. LXXX), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2024, LXV + 351 S., 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-53070-9, EUR 70,00
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