Als Übergangspontifikat zwischen der Amtszeit Calixts II. (1119-1124), unter dem das Wormser Konkordat (1122) geschlossen wurde, und dem folgenschweren Papstschisma zwischen Innozenz II. und Anaklet II. (1130-1138) hat das Pontifikat Honorius' II. (1124-1130) in der Geschichtsforschung verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden. Diesem Pontifikat sind in der älteren Forschung nur zwei Monographien apologetischen Charakters gewidmet worden [1], und andere Untersuchungen sind stark von der irreführenden Gegenüberstellung von "alten" und "neuen Gregorianern" [2] beeinflusst worden. Noch in der jüngeren Forschung ist Honorius II. als "Rätsel" [3] oder sogar als "farbloser Papst" [4] bezeichnet worden, was die Schwierigkeit verrät, den Charakter seines Pontifikats tiefer zu verstehen. Ein neues Licht auf Honorius II. wirft aber nun die Studie von Enrico Veneziani, der sein Pontifikat als eine "Zeit der Normalisierung" (3) betrachtet, in der die unter seinen Vorgängern entwickelten Instrumente und Ansprüche in einem neuen, friedlicheren Kontext übernommen und weiterentwickelt wurden. Hauptquelle der Untersuchung sind die überlieferten Urkunden und Briefe Honorius' II. Diese werden aus einer ekklesiologischen Perspektive lato sensu untersucht, die nicht nur Wesen und Hierarchie der Kirche, sondern auch das kirchliche Weltbild umfasst.
Nach der Einleitung (1-24), die neben einer prägnanten Betrachtung des Forschungsstandes auch eine kurze Darstellung der kirchlichen Laufbahn Lamberts vor seiner Papsterhebung bietet, gliedert sich die Studie in vier Teile. Das erste Kapitel (25-77) ist den primatialen Vorstellungen Honorius' II. gewidmet. Da aus seiner Amtszeit keine Lehrbriefe überliefert sind, konzentriert sich die Untersuchung hauptsächlich auf die Primatsarengen, die in den petrinischen Bildern deutliche Kontinuitätslinien zu seinen Vorgängern aufweisen. Veneziani stellt aber auch relevante Entwicklungen in den ekklesiologischen Formulierungen fest, die wohl auf die enge Zusammenarbeit zwischen dem Papst und seiner Kanzlei zurückzuführen sind. Bemerkenswert sind vor allem die Betonung der utilitas, die behauptete Verbindung von Seelenheil und Gehorsam gegenüber der päpstlichen Autorität, sowie die zunehmende Verwendung der Vater-Kind-Metapher, die jedoch das traditionelle Bild der Mater Ecclesia nicht verdrängt.
Im zweiten Kapitel (78-124) werden die Regierungsinstrumente erforscht, mit denen Honorius II. den päpstlichen Jurisdiktionsprimat durchzusetzen versuchte. Betont wird zunächst die zunehmende Bedeutung des römischen Rechts für die römische Kurie. Das Pontifikat Honorius' II. war zudem durch eine sehr bedeutende Entwicklung des Legatenwesens als wesentliches Instrument des päpstlichen Kirchenregiments gekennzeichnet. In der intensivierten Abhaltung von Legatensynoden sieht Veneziani eine mögliche Erklärung für den Rückgang der päpstlichen Synodaltätigkeit: Nur eine von Honorius II. persönlich geleitete Synode - in der suditalienischen Stadt Troia (1128) - ist sicher belegt. Weiter zeigt der Autor, dass Honorius II. auch die bischöfliche visitatio ad limina und die Verleihung des Palliums als Anlässe nutzte, um den päpstlichen Primat zu behaupten.
Das dritte Kapitel (125-160) widmet sich dem Verhältnis des Papstes zum regnum, mit besonderer Berücksichtigung der Normannen und des römisch-deutschen Reichs. Das "ohrenbetäubende Schweigen" der Papstbriefe in diesem Bereich erklärt Veneziani überzeugend nicht nur mit dem Überlieferungszufall, sondern auch mit der zielstrebigen Verformung der Erinnerung durch seine Nachfolger. Die wenigen überlieferten Briefe Honorius' II. zu weltlichen Angelegenheiten weisen zwar die Tendenz auf, durch kreative Formulierungen die päpstliche Autorität zu behaupten, sie zeigen zugleich aber auch eine reaktive Haltung gegenüber äußeren Situationen, auf die der Papst keinen wirklichen Einfluss nehmen konnte. Aus den narrativen Quellen geht übrigens hervor, dass der Papst seine weltlichen Ansprüche nur in der urbs und im Patrimonium Petri wirksam durchsetzen konnte.
Das vierte Kapitel (161-185) ist ein case study über den Eingriff Honorius' II. in die Angelegenheiten des Klosters Montecassino, welcher in engem Zusammenhang mit den päpstlichen Interventionen in die Belange der Klöster Cluny und Farfa untersucht wird. Aus der vergleichenden Untersuchung ergibt sich ein ähnlicher modus operandi in diesen drei Fällen: Der Papst reagierte auf Krisensituationen, die er zum Anlass nahm, seine Autorität über die monastische libertas durch die Entsendung von Legaten durchzusetzen.
In der Schlussbetrachtung (186-189), die die Forschungsergebnisse prägnant zusammenfasst, wird Honorius II. sowohl in seinen ekklesiologischen Äußerungen als auch in seinem Kirchenregiment als "vorsichtiger Innovator" (186) dargestellt. Sein "praxisorientiertes Pontifikat" (187) sei stets durch das Bemühen gekennzeichnet gewesen, vorhandene Instrumente strategisch an neue Kontexte anzupassen, wobei der Papst zumeist reaktiv agiert habe. Im Anhang (190-304) bietet Veneziani einen Katalog der überlieferten Urkunden und Briefe Honorius' II. Insgesamt werden 353 Dokumente erfasst, von denen allerdings nur 267 mit Text (48 im Original) erhalten sind. Zu jedem Stück gibt der Autor ein kurzes Regest mit Datierung, inhaltlicher Zusammenfassung und Hinweisen auf Regestenwerke und Editionen (soweit vorhanden) an.
Das Ziel, ein komplexeres Bild des Pontifikats Honorius II. zu zeichnen, ist der Studie Venezianis zweifellos gelungen: Angesichts der vom Autor herausgearbeiteten Charakteristika darf von einem farblosen Übergangspontifikat nicht mehr die Rede sein. Aus der systematischen Untersuchung der honorianischen Schreiben ergibt sich eine sehr aufschlussreiche Rekonstruktion der Kontinuitätslinien sowie der relevantesten Entwicklungen der römischen Ekklesiologie unter Honorius II. Besonders beeindruckend ist die Sorgfalt, mit der der Autor die ekklesiologischen Formulierungen in ihren jeweiligen (kirchen)politischen Entstehungskontext einbettet. Weniger systematisch ist hingegen die Untersuchung der Instrumente, die Honorius II. in seinem Kirchenregiment einsetzte. Die von Veneziani untersuchten Auffassungen, die der Regierungspraxis Honorius' II. zugrunde lagen, bieten jedoch ideale Ansatzpunkte für weitere, spezifische Forschungen zu den honorianischen Regierungsinstrumenten, wie sich der Autor selbst wünscht.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Delle opere di monsignor Francesco Liverani: Bd. 3 u. 4, Macerata 1859; George Jospeh Schiro: The Career of Lamberto da Fagnano - Honorius II 1035?-1130 and the Gregorian Reform, New York 1975.
[2] Zu diesem Deutungsmodell vgl. bes. Hans-Walter Klewitz: Das Ende des Reformpapsttums, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 3 (1939), 371-412; Franz-Joseph Schmale: Studien zum Schisma des Jahres 1130, Köln u.a. 1961.
[3] Vgl. Mary Stroll: Symbols as Power. The Papacy Following the Investiture Contest, Leiden 1991, 93.
[4] Vgl. Chris Wickham: Medieval Rome. Stability and Crisis of a City, 900-1150, Oxford 2015, 441.
Enrico Veneziani: The Papacy and Ecclesiology of Honorius II (1124-1130). Church Governance After the Concordat of Worms (= Studies in the History of Medieval Religion; Vol. LIII), Woodbridge: Boydell Press 2023, X + 342 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-1-83765-040-8, GBP 85,00
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