sehepunkte 25 (2025), Nr. 4

Eva-Maria Cersovsky: Geschlechterverhältnisse in der Krankenfürsorge

Eva-Maria Cersovskys Monographie basiert auf ihrer 2021 abgeschlossenen Dissertation an der Universität Köln. Mit der Frage nach Geschlechterverhältnissen trägt sie zu einer aktuellen Diskussion bei, wie sie beispielsweise in den Beiträgen eines von Catriona MacLeod, Alexandra Shepard und Maria Ågren herausgegebenen Bandes vorangetrieben wird. [1]

Basierend auf einer Diskussion der gründlich recherchierten historischen Forschung entwickelt die Autorin ihr relevant erscheinende Perspektiven auf ihre eigene Fragestellung in Verbindung mit einer Definition zentraler Begriffe (11-35). Cersovsky wählte die institutionelle städtische Fürsorge, um Geschlechterverhältnisse in der Krankenversorgung zu analysieren. Zu ihrem umfassenden Begriff der Krankenfürsorge gehören sowohl unmittelbare körperliche Pflege oder Behandlung sowie religiöse Betreuung am Bett und im Hospital als auch die politisch verantwortende, verwaltende und finanzierende Sicherung von Bedürftigen. Auf diesen Ebenen untersucht sie drei verschiedene Hospitaltypen - das "Mehrere Hospital", die Leprosorien, das "Blatterhaus", und deren übergeordnete "Behörde", das im 16. Jahrhundert neu geschaffene zentrale "Gemeine Almosen" (49-79).

Die Wahl von Institutionen in Straßburg ermöglichte den Zugriff auf eine außergewöhnlich vielfältige archivalische Überlieferung zum Zeitraum zwischen dem späten Mittelalter und der Mitte des 16. Jahrhunderts. Daraus resultierten schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Studien zum Gesundheits- und Sozialwesen der ehemaligen Reichsstadt und zur Arbeit von Frauen (11-79), auf denen die Dissertation aufbauen kann. Cersovkys spezifischer Beitrag beruht auf zwei wesentlichen Elementen: Unterfüttert mit umfangreichen Tabellen-Anhängen (346-409), erschließen die Texte zum einen Quellen, die mehrere hundert Akteure und Akteurinnen in ihrem sozialen Kontext identifizieren und in exemplarischen Interaktionen zeigen. Zum andern, benennt die Diskussion der Exempel, welche geschlechtsdefinierenden und geschlechtsspezifischen Elemente dokumentiert sind.

Mit Kapitel III setzt die Analyse von Praktiken des Gewährens, Beaufsichtigens und Kontrollierens der sozialen Fürsorge durch sogenannte "Pfleger" ein. Sie spürt agierenden, einzelnen Ehefrauen (oder angesehenen Witwen) nach und identifiziert administrativ tätige "fromme Frauen" in Organisationen wie Bruderschaften (84-164). Der Befund, dass hauptsächlich Ratsmitglieder und deren Familien mit entsprechenden Funktionen betraut wurden, überrascht wenig. Allerdings können die recherchierten, sozial zugeordneten und gelisteten Namen für weiterführende Forschungsperspektiven genutzt werden, denn auch im reichhaltigen Archiv von Straßburg sind Frauen in mit Aufsicht verbundenen Ämtern äußerst lückenhaft belegt. Dies unterstreichen insbesondere glückliche Funde aus den 1430er Jahren (134). Vor allem Kommunikationspraktiken von Frauen werden deutlich. Aussagen für das 16. Jahrhundert über die Existenz und Charakteristika von fürsorgenden Praktiken macht die Arbeit an bekannten Einzelpersönlichkeiten wie Katharina Zell fest (145-154), deren ausführliche Stellungnahmen es ermöglichen, die weibliche Perspektive besser darzustellen. Cersovsky betont vor allem die Verbindung von Fürsorgepraktiken, "väterlichen" und "mütterlichen" Verhaltensnormen sowie deren Einforderung und Verkörperung in Gebenden und Nehmenden. Trotz einer breiten Vielfalt von dokumentierten Verhaltensweisen kann die Autorin zeigen, wie beim Aushandeln von Bedürftigkeit, genau diese familienbezogenen Normen reproduziert und stabilisiert wurden.

Kapitel IV schließt an Forschungsergebnisse zum "Familiencharakter" (165) von Hospitälern an und untersucht "Frauen, Männer und Paare in Leitungsämtern" in Straßburger Institutionen (165-226). Auch hier betont die Autorin die Flexibilität der Besetzung dieser Ämter und stellt unter den leitenden und verwaltenden Personen "Arbeitspaare" in sehr unterschiedlichen Konstellationen fest. Das gesichtete Archivmaterial erlaubt es weitgehend, die andernorts vielfach vermischten Termini wie "Meisterin", "Schaffner", "Siechenvater" und "Siechenmutter" zu entwirren und ihren am jeweiligen Bedarf von Institution und Individuum orientierten Aufgaben zwischen dem (späten) Mittelalter und den 1550er Jahren zuzuordnen (166-180). Für die Frage nach geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung ist die Studie hauptsächlich auf normative Verträge, Ordnungen und Instruktionen angewiesen. Der Schwierigkeit, daraus lebensweltliche Verhältnisse abzulesen, begegnet die Autorin durch eine sorgfältige Analyse von Veränderungen der Normen sowie durch die Auswertung punktuell vorhandener ergänzender Quellen (180-226). Ein Vergleich der Normen verschiedener Hospitäler macht deutlich, dass selbst normierte Leitungsbereiche sehr heterogen gestaltet waren und Bereiche nur teilweise geschlechtsspezifisch zugewiesen wurden, dies betraf sogar die Verantwortung für die Krankenversorgung. Sogar Verschiebungen in der Hierarchie der Verantwortlichen im "Mehreren Hospital", lassen eine nur begrenzte Unterordnung der als "Meisterin" bezeichneten Amtfrau unter männliche Amtsträger erkennen, die im Laufe des 16. Jahrhunderts deutlich wird (207-214). Insgesamt kommt Cersovsky zu dem Schluss, dass die Arbeitsorganisation insbesondere in Hospitälern, in denen die Krankenversorgung eine zentrale Rolle spielte, "oft Flexibilität, Kommunikation und Aushandlung" im Alltag voraussetzten (225).

Die "pflegerisch-medizinische" Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern steht im Kapitel V im Mittelpunkt (227-313). Die Organisation der Krankenpflege - das "Krankenwarten", so das Ergebnis, wies im Laufe des 16. Jahrhunderts den Geschlechtern spezifische Aufgaben zu, obwohl verschiedene Personengruppen involviert waren, zu denen Familienangehörige und Genesende ebenso gehörten wie hierarchisch gruppierte, bestallte Frauen und Männer (229-255). Im Abschnitt über Fürsorge für die Seele von Kranken und Bedürftigen (255-287), beabsichtigt Cersovky eine Forschungslücke zu schließen. Sie geht ausführlich darauf ein, wie die Reformation den engen Zusammenhang zwischen Religions-, Fürsorge-, und Geschlechterpolitik deutlich machte, der sich auch auf die Kapläne und Prädikanten in Hospitälern auswirkte. Konzentriert auf fromme Gemeinschaften wie Beginen und Begarden, kommt die Autorin zum Schluss, dass unter dem Einfluss der reformatorischen Ratspolitik "die institutionalisierte Krankenpflege [...] ein verstärkt weibliches Gesicht erhielt" (278). Im 16. Jahrhundert legten Normen eine hierarchische Ordnung fest, die Frauen weitgehend den formal (handwerklich oder universitär) ausgebildeten Heilkundigen in der institutionellen Krankenfürsorge unterordnete (285-311). Wie in den vorhergehenden Kapiteln, spürt Cersovsky auch hier Quellen auf, die bis zur Mitte des Jahrhunderts eine Umsetzung der Normen in Frage stellen und darüber hinaus zeigen, dass die Ehe auch in diesem Bereich eine wichtige Rolle spielte und Ehefrauen sowie Witwen in der alltäglichen Praxis wichtige Funktionen ermöglichte.

Ebenso sorgfältige, vergleichende Quellen- und Literaturstudien können dazu beitragen, Cersovskys Ergebnisse in einem größeren zeitlichen und räumlichen Rahmen zu verorten.


Anmerkung:

[1] Catriona MacLeod / Alexandra Shepard / Maria Ågren (eds.): The Whole Economy: Work and Gender in Early Modern Europe, Cambridge 2023 https://doi.org/10.1017/9781009359344 (26.02.2025).

Rezension über:

Eva-Maria Cersovsky: Geschlechterverhältnisse in der Krankenfürsorge. Straßburg im 15. und 16. Jahrhundert (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 69), Ostfildern: Thorbecke 2023, 481 S., ISBN 978-3-7995-4390-3, EUR 64,00

Rezension von:
Annemarie Kinzelbach
München
Empfohlene Zitierweise:
Annemarie Kinzelbach: Rezension von: Eva-Maria Cersovsky: Geschlechterverhältnisse in der Krankenfürsorge. Straßburg im 15. und 16. Jahrhundert, Ostfildern: Thorbecke 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 4 [15.04.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/04/38960.html


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