sehepunkte 25 (2025), Nr. 6

Christopher J. Dowson: Philosophia Translata: The Development of Latin Philosophical Vocabulary through Translation from Greek

Die überarbeitete Dissertation von Christopher J. Dowson bedient zwei in der gegenwärtigen altertumswissenschaftlichen Forschung aufstrebende Forschungsfelder: Einerseits ein wieder erstarkendes Interesse an Begriffsforschung [1] und andererseits diejenigen Forschungsbeiträge, die sich bemühen, eine spezifische römische Philosophiebildung gegenüber der griechischen zu betonen. [2] Am Beginn dieser römischen Philosophie steht - wie überhaupt am Anfang der römischen Literatur - die Übersetzung aus dem Griechischen. Dowson behandelt aber nicht allein den Beginn der Philosophie in Rom, sondern verfolgt die Übersetzung griechischer Philosophie in diachroner Perspektive bis weit in die Spätantike.

Außergewöhnlich ist dabei neben der Diachronie der Untersuchung besonders deren Anlage "as a qualitative and quantitative analysis of the translation of Greek terms and the resulting lexical innovations in Latin." (7) Dieses Nebeneinander von quantitativer und qualitativer Interpretation spiegelt sich auch im Aufbau der fünf Fallstudien der Texte des Lukrez (45-69), Cicero (70-186), Apuleius (187-231), Calcidius (232-254) und Boethius (255-287) wider. Dort folgt einer statistisch-linguistischen Auswertung der lexikalischen Neuerungen durchgängig eine philosophisch-gelehrte Ausdeutung von Einzelaspekten. Letztere erinnert in ihrer philologischen Genauigkeit nicht nur teils an einen Lemma-Kommentar, sondern nimmt im Falle der ciceronianischen Übersetzung des Timaios (119-184) und der Schriften De mundo (193-214) sowie De Platone et eius dogmate (215-223) des Apuleius tatsächlich die Form eines "selective lexical commentary" (119; 215) an.

Notwendigerweise wird bei einer so angelegten Studie das Übersetzen selbst zum Untersuchungsgegenstand. Dabei richtet sich der Blick eben nicht auf allgemeine Wortübersetzungen, sondern insbesondere auf philosophische Begriffe, die im Griechischen bereits eine eigene Bedeutung tragen und ins Lateinische überführt werden. Auch hier operiert die Untersuchung sowohl auf quantitativer als auch auf qualitativer Ebene.

Quantitativ durch den Versuch in den untersuchten Texten jegliche lexikalische Neuerungen ausfindig zu machen, sei es in Form von Neologismen, die die Übersetzer in die lateinische Sprache einführen oder dadurch, bereits im Lateinischen gebräuchliche Wörter mit einer philosophischen Begriffsbedeutung zu erweitern. Der methodischen Schwierigkeit, im Einzelfall zu entscheiden, ob ein lateinischer Ausdruck eine Übersetzung, ein Neologismus oder eine semantische Erweiterung darstellt, begegnet Dowson mit größtmöglicher Transparenz: Das Buch schließt nämlich mit ganzen fünf Appendices, die die "collected lexical innovations" (305; 314; 330; 335) zu allen untersuchten Autoren bzw. eine "glossary of lexical innovations" (341) im Falle des Boethius auflisten. Darin wird das einzelne lateinische Lexem mit dem vermuteten oder tatsächlichen griechischen Begriff und mit einer englischen Übersetzung sowie, wenn nötig, einer genaueren philosophischen Erläuterung versehen.

Die quantitativen Analysen bilden schließlich auch die Grundlage für die qualitativen Interpretationen, die über die einzelne Textstelle hinausweisen: Dowson weist den Vorwurf, dass sich das Lateinische aufgrund seiner angeblich geringen lexikalischen Vielfalt nicht zum Philosophieren eigne, der sich als rhetorischer Tropus der egestas seit Lukrez findet und in älteren Forschungsbeiträgen breit vertreten wurde, begründet zurück (64-67; 186; 288-291). Vielmehr argumentiert er sogar, dass auch bei der Übersetzung philosophischer Schriften den römischen Autoren an einer aemulatio, d.h. einem Übertreffen der griechischen Vorgänger, gelegen war. Ferner sticht erneut die diachrone Perspektive der Studie heraus, die erstmals die Übersetzungspraxis von Lukrez bis Boethius systematisch vergleichen kann und dabei herausstellt, dass sich die Tradition griechische Philosophie ins Lateinische zu übersetzen als "spectrum between two ends; at one, creative literary composition [Lucretius, Cicero, Apuleius, Calcidius] and at the other, literal didactic translation [Boethius]" (300) beschreiben lässt.

Dowsons Buch kann somit bestehende Forschungsmeinungen mit eindrucksvoller quantitativer Evidenz untermauern und hebt besonders die Re-Evaluierung griechischer Philosophie im römischen Kontext hervor. Die herausragenden Einzelerkenntnisse der Fallstudien machen Dowsons Buch zu einem neuen Referenzwerk für die untersuchten Texte. Zudem eröffnet die Untersuchung Perspektiven für zukünftige Forschungsansätze, etwa im Bereich weiterer "translation studies in antiquity" (301) oder der Analyse von Begriffen im spezifisch römischen Kontext, auch abseits ihrer philosophischen Bedeutungsfacetten.


Anmerkungen:

[1] Hier sind besonders die Bemühungen von Gregor Vogt-Spira hervorzuheben, sei es in Form von Sammelbänden (etwa: Gregor Vogt-Spira / Mirko Breitenstein / Gert Melville (Hgg.): Freiheit, Köln 2024) oder in Form der von ihm injizierten Reihe "Lumina. Leitbegriffe der griechischen und römischen Kultur und ihre Rezeption" (1. Band: Simone Mollea: Humanitas in the Imperial Age, Berlin / Boston 2024). Zur neueren philosophischen Begriffsforschung der griechisch-römischen Antike, etwa: Gabriele Flamigni: Sur la route du devoir. Le καθῆκον dans la pensée des stoïciens romains, Turnhout 2024.

[2] Einschlägig sind die beiden Sammelbände: Katharina Volk / Gareth D. Williams (eds.): Roman Reflections: Studies in Latin Philosophy, Oxford 2016; Gernot Michael Müller / Fosca Mariani Zini (Hgg.): Philosophie in Rom - Römische Philosophie? Literatur-, kultur- und philosophiegeschichtliche Perspektiven, Berlin / Boston 2017.

Rezension über:

Christopher J. Dowson: Philosophia Translata: The Development of Latin Philosophical Vocabulary through Translation from Greek. A Case Study Approach (= Mnemosyne. Supplements - Monographs on Greek and Latin Language and Literature; Vol. 477), Leiden / Boston: Brill 2023, XII + 398 S., ISBN 978-90-04-67793-7, EUR 156,22

Rezension von:
Adrian Weiß
Abteilung für Griechische und Lateinische Philologie, Universität Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Adrian Weiß: Rezension von: Christopher J. Dowson: Philosophia Translata: The Development of Latin Philosophical Vocabulary through Translation from Greek. A Case Study Approach, Leiden / Boston: Brill 2023, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 6 [15.06.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/06/38901.html


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