Wenn in der vorliegenden Abhandlung bereits im Untertitel von der Lösung des Herzogtums Luxemburg aus dem Heiligen Römischen Reich die Rede ist, ist zu betonen, dass eine vollständige Trennung, wenn wir von zwischenzeitlichen Okkupationen absehen, nie erfolgt ist. Dasselbe gilt für die anderen niederländischen bzw. niederburgundischen Länder, die bis zum Ende des Alten Reichs unter habsburgischer Herrschaft verblieben. Gleichwohl war 1548 unter Kaiser Karl V. mit dem den Reichsständen abgerungenen Burgundischen Vertrag ein Rechtsrahmen geschaffen worden, der auf eine weitgehende, aber eben niemals gänzliche Dissoziation, nicht zuletzt durch die Befreiung von der Zuständigkeit des Reichskammergerichts, hinauslief. Der praktischen Umsetzung dieses Vertrages in Fällen ausgewählter Rechtsstreitigkeiten, an denen luxemburgische Parteien beteiligt waren, ist das Buch gewidmet. Aus den Fallstudien werden wiederum systematische Überlegungen zur Handhabung des Rechts in einem komplexen politischen Spannungsfeld entwickelt.
Der Autor, ehemaliger Ordinarius für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hat seine Abhandlung aus einem Vortrag anlässlich seiner Aufnahme als korrespondierendes Mitglied des "Institut Grand-Ducal de Luxembourg" entwickelt und stellt die gemeinsame Geschichte Luxemburgs und seiner Heimat in der Südwesteifel in den Blickpunkt. Dabei stützt er sich auf Funde im Nationalarchiv Luxemburg, im Bistumsarchiv Trier, im Landesarchiv Baden-Württemberg und im Landeshauptarchiv Koblenz. Darüber hinaus hat er die Urteilsbücher im Bundesarchiv, Standort Berlin, eingesehen. Zudem steht der Burgundische Vertrag, dessen Entstehung und Inhalt intensiver erörtert werden, als Quelle im Mittelpunkt. Überdies wird aus einem breiten Fundus an weiteren Quellen für die niederländische und allgemeine Rechtsgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit geschöpft.
Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ein zentraler Archivbestand, in dem sich Material zur Rolle des Reichskammergerichts in den niederburgundischen Erbländern, zum Teil mit Hinweisen auf einige der vorgestellten Gerichtsverfahren, befindet, unberücksichtigt geblieben ist. Im Generalstaatsarchiv Brüssel sind Korrespondenzen der Herrscher der Spanischen Niederlande und ihrer Statthalter mit Organen des Reichskammergerichts wie auch mit anderen Personen wegen zu erörternder Fragen, die das Reichsgericht betrafen, einsehbar. Für die Korrespondenz mit den Reichsständen und einzelnen Reichsorganen war 1548 ein eigenes Sekretariat (Sécretairerie d'Etat Allemande) errichtet worden, um intensive Kommunikation pflegen zu können. Die das Reichskammergericht betreffenden Schriftstücke reichen bis ins Jahr 1674. [1] Für die Vertiefung der vorliegenden Ergebnisse, zu welcher der Autor selbst aufruft, wären diese mit Sicherheit sehr wichtig.
Zunächst werden in der Untersuchung die mittelalterlichen Ursprünge Luxemburgs bis zur Errichtung des obersten Gerichtshofes in Mechelen für die niederburgundischen Länder unter Herzog Karl dem Kühnen von Burgund (1473) abgehandelt. Der Burgundische Vertrag von 1548 lässt sich vor diesem Hintergrund klar als ein Versuch Kaiser Karls V. einordnen, seine Doppelrolle als Kaiser und als Herrscher über Niederburgund zu nutzen, um eine weitgehende Unabhängigkeit dieser Erbländer gegenüber den Reichsständen durchzusetzen. Die in diesem Vertrag aufgestellte Behauptung, von alters her seien diese Gebiete von der Reichsgerichtsbarkeit befreit gewesen, lässt sich zugleich widerlegen. Ein entsprechendes Privileg ist nicht nachzuweisen.
Dass auch die Rechtspraxis bis zum Burgundischen Vertrag keineswegs auf eine Exemtion der Erbländer schließen lässt, wird in einem weiteren Kapitel dargelegt, das mit der Herrschaft Kaiser Maximilians I. einsetzt. In einem Rechtsfall wurde dem Reichsfiskal ausdrücklich vom Kaiser aufgetragen, einen Prozessbeteiligten vor das Reichskammergericht zu laden (1514). In weiteren Fällen, bereits unter Karl V., lassen sich Versuche seitens des Kaisers und seiner Statthalterinnen als Herrscher in Niederburgund, die Erbländer vom Reichskammergericht abzuschirmen, durchaus belegen. Von einem "ungeschriebenen Verfassungsgewohnheitsrecht" (63), könne aber nicht gesprochen werden.
Der hauptsächlichen Fragestellung, welche Bedeutung der Burgundische Vertrag für die auf ihn folgende Rechtspraxis hatte, wird in zwei weiteren Kapiteln nachgegangen. Hier werden Gerichtsverfahren dargestellt, die etwa aus Klagen aus Schuldverträgen zurückgingen, bei denen eine luxemburgische Partei gegen eine Partei eines Reichsterritoriums, das dem Reichskammergericht als obersten Gericht unterstand, stritt. Ähnliche grenzüberschreitende Gerichtsstreitigkeiten konnten, wie gezeigt wird, in anderen Sachzusammenhängen, etwa bei lehens- oder erbrechtlichen Fragen, auftreten. Das Reichskammergericht wurde durchaus häufiger aktiv, wobei Urteile allerdings selten überliefert sind. Nur ein kurzes Prozessbeispiel sei angeführt: Ein auf dem Rhein als Personenbeförderer tätiger Schiffsmann, dessen Kähne 1673 beim Transport von etwa 3000 französischen Kriegsleuten nach gewaltsamen Aktionen der Passagiere verloren gegangen waren, wollte sich an jenen Personen in Trier schadlos halten, mit denen er zuvor eine Versicherung abgeschlossen hatte. Seine Klage vor Kanzler und Hofräten zu Trier wurde abgewiesen; es folgte seine Appellation vor dem Reichskammergericht und während dieses Verfahrens sein Umzug nach Wintersdorf an der Sauer, damals gelegen im Herzogtum Luxemburg. Dies änderte aber nichts daran, dass sich das Reichskammergericht als Gerichtsinstanz auch noch danach für zuständig erklärte.
Zusammenfassend und einordnend wird festgehalten, dass die im Rahmen des "Ius Commune" erfolgte Tätigkeit des Reichskammergerichts in derartigen Fällen nicht etwa als Beleg für eine allgemeine Anerkennung der Zuständigkeit von Reichsorganen auf niederländischen bzw. luxemburgischen Gebieten zu bewerten ist, sondern eher als einem sich ausdifferenzierenden "System von Zuständigkeitsnormen" (108) in einem zwischenstaatlichen Bereich geschuldet ist. Der Autor spricht hier, Anführungen setzend, um die Formulierung als Behelf zu kennzeichnen, von "Regeln über die 'internationale Zuständigkeit'" (108).
Grundsätzlich soll dem hier nicht widersprochen werden, wenngleich die Trennung von habsburgischen niederländischen Provinzen und Heiligem Römischen Reich eben auch nicht überzeichnet werden darf. Wenn der Autor etwa Zitate aus seinen Quellen anführen kann, die darauf hinweisen, dass Zeitgenossen "Lutzenburg extra imperium" (73) verorteten, kann man zugleich nachweisen, dass selbst niederländische Regierungsorgane nach dem Burgundischen Vertrag unter Umständen auch die kaiserlichen Nachfolger Karls V. als ihre "Herren" betrachteten, so etwa Margarete von Parma, Statthalterin für König Philipp II. von Spanien, zugleich Herzog von Luxemburg, in einem Schreiben aus dem Jahre 1562.[2] Die Frage, ob die Niederlande zum Reich gehörten oder nicht, haben die Zeitgenossen offenbar immer wieder unterschiedlich beantwortet. Dies verweist auf eine in der Forschung zunehmend wahrgenommene frühneuzeitliche Kultur der Ambiguität. Das vorliegende Bändchen liefert wichtige Bausteine und Überlegungen zur Erforschung einer Rechtskultur, die häufig auf dissimulatorische und dilatorische Praktiken angewiesen war, um mit Widersprüchlichkeiten umzugehen, die nicht auflösbar waren.
Anmerkungen:
[1] Generalstaatsarchiv Brüssel, Secrétairerie d'Etat Allemande 92, 760, 762 und 763.
[2] Sie sprach in diesem Brief vom 4. Oktober an den Juristen Dr. David Capito, die Reichsgerichtsbarkeit belangend, von der "Rom[isch] Kay[serlichen] M[a}j[estä]t" als "unserm allergnedigsten herren". Generalstaatsarchiv Brüssel, Secrétairerie d'Etat Allemande 92, fol. 59r.
Theodor Baums: Luxemburg und das Reichskammergericht. Die Lösung des Herzogtums aus dem Heiligen Römischen Reich und ihre Folgen für die Gerichtszuständigkeit bei grenzüberschreitenden Konflikten (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; Bd. 81), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2024, 143 S., ISBN 978-3-412-53052-5, EUR 70,00
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