sehepunkte 25 (2025), Nr. 9

Johannes Klaus Kipf / Jörg Schwarz (Hgg.): Mittelalterliche Stadtgeschichte(n)

Der interdisziplinäre Sammelband vereint, gerahmt von einer Einleitung sowie einem Orts- und Personenregister, elf Beiträge. Sie sind entlang der Entstehungschronologie der darin behandelten Texte geordnet, ihr zeitliches wie thematisches Spektrum reicht von der Rezeption baulicher Überreste der Spätantike bis zu den Bürgeroppositionen des 16. Jahrhunderts.

Die Einleitung der Herausgeber Johannes Klaus Kipf und Jörg Schwarz sei positiv hervorgehoben, denn sie bietet über eine Kurzpräsentation des Buchinhalts hinaus auch einen literaturreich untermauerten Überblick über aktuelle Tendenzen zur Erforschung von Stadtgeschichte und städtischer Kultur der Vormoderne, besonders im deutschsprachigen Raum.

Drei Beiträge sind Phänomenen des gesellschaftlichen Wandels gewidmet. Albrecht Berger (21-40) schildert die 900-jährige Existenz der konstantinischen Gründung Konstantinopel bis zu ihrer Eroberung 1204 als überwiegend von sozialem Wandel geprägt. Dies lasse sich auch am Umgang der Bevölkerung mit den dort omnipräsenten, ehemals zu kultischen Zwecken errichteten Bauten und Statuen ablesen, die in der christlichen Gesellschaft letztlich als heidnische Bedrohung aufgefasst wurden. Wie Matthias Kirchhoff (187-201) herausarbeitet, ist ebenso das im spätmittelalterlichen Nürnberg entstandene literarische Genre des Städtelobs "als [...] Gradmesser ständiger Re-Visionen des gesellschaftlichen Selbstbildes" (189) geeignet, wie sich etwa in der Rezeption des 'Lobspruch auf Nürnberg' des Hans Rosenplüt, namentlich in Form dreier um 1490 publizierter Bearbeitungsversionen eines gewissen Serteßbald, zeige. Mit ihrer Studie zur historiografischen Überlieferung vier oppositioneller Handwerker verweist Julia Bruch (245-267) auf die "Vielstimmigkeit und Diversität der städtischen Gemeinschaft" (266), die in diesem Medium ab dem Übergang zur Frühen Neuzeit sichtbar werde.

Vorgenannte Studie befasst sich zudem wie noch zwei weitere Beiträge mit Aspekten städtischen Zusammenlebens. In interreligiöser Perspektive geschieht dies zum einen in Bezug auf Reflexe des Zusammenlebens von Christen, Juden und Muslimen im hoch- und spätmittelalterlichen "Toledo als plurireligiöse[r] Lebensform" durch Bernhard Teuber (65-100): Die sozialen wie juristischen Ordnungsstrukturen der Stadt seien klar von Segregation geprägt gewesen. Religions- und kulturübergreifende Verbindungen und gegenseitige "ästhetische Rahmung[en]" (86) hätten jedoch, nicht zuletzt zurückführbar auf die rege Übersetzungstätigkeit vor Ort, in Kunst und Literatur ihren Ausdruck gefunden. Zum anderen rückt Jörg R. Müller (127-151) serielle Quellen am Beispiel von Stadt- und Gerichtsbüchern als fruchtbare und bislang nur unzureichend berücksichtigte Zeugnisse christlich-jüdischer Beziehungen im Reichsgebiet in den Fokus.

Vier Beiträge des Bandes behandeln die Auseinandersetzung mit Stadt(gestalt) in Text und Bild. Das Interesse von Susanne Fischer gilt, unter besonderer Berücksichtigung des Troja-Gedichts 'Urbs erat illustris' des Hugo Primas, zentralen Motiven der an antiken Vorbildern orientierten "Ruinenpoetik [...] des 12. Jahrhunderts" (41-64), die sich mit dem Verfall von Städten sowie dem Gegensatz von Natur und Zivilisation auseinandersetze. Mit qualitativen wie quantitativen literarischen Reflexen städtischen Zusammenlebens befasst sich ein vor rund vier Jahrzehnten von Volker Honemann (verstorben) vorgetragener und posthum durch Gunhild Roth um Fußnoten ergänzter Beitrag (100-125): Unter Berücksichtigung von fünf Gruppen potenzieller Literaturproduzenten und -rezipienten hinterfragt er für das mittelalterliche Braunschweig mit abschließenden allgemeinen Schlussfolgerungen, "wie und in welchem Ausmaß Literatur [...] auf das Phänomen 'Stadt' reagiert[e]" (102). Der reich illustrierte Beitrag von Pia Rudolph (167-186) fokussiert Stadtansichten in den deutschsprachigen Pilgerberichten von Jean de Mandeville (um 1356/57) und Bernhard von Breydenbach (1486). Kontrastierend verweist sie auf das Innovationspotenzial der von Erhard Reuwich geschaffenen Holzschnitte in Breydenbachs 'Peregrinatio in terram sanctam', die unter dem Einfluss ihrer beider Pilgerfahrten sowie eventuell des Libro d'Oltramare des Niccolò da Poggibonsi stünden. Auch Bernd Posselt (225-244) thematisiert das Wirken neuer Impulse auf eine traditionsreiche Textgattung: So verliehen die Verbindung des mittelalterlichen Formats der Weltchronik mit humanistischen Impulsen wie Stadtbeschreibungen und großformatigen Holzschnitten der 1493 erschienenen 'Schedelschen Weltchronik' den "hybride[n] Charakter" (244) eines Werkes der Epochenschwelle.

Das Augenmerk zweier Beiträge liegt schließlich auf Texten, die sich (auch) an ein adliges Publikum wandten. Gegenstand der Studie von Pamela Kalning (153-165) sind die sogenannten 'Ratsgedichte' (1395-1409) des Eisenacher Stadtschreibers Johannes Rothe, einem Verfasser von Chroniken, Legenden und Lehrgedichten, zu dessen Publikum auch der thüringische Hof zählte. Indem diese kurzen didaktischen Texte, in denen Stadtgesellschaft analog zum menschlichen Organismus beschrieben werde, Konflikte außen vor ließen und Vorteile des friedlichen Miteinanders betonten, komme es zur Idealisierung des städtisch-landesherrlichen Verhältnisses und Anerkennung fürstlicher Interessen. Der Beitrag von Antje Thumser (203-224) nimmt die um 1481 im Auftrag Herzog Albrechts IV. von Bayern-München verfasste 'Bayerische Chronik' des Wappenmalers und Prosaautors Ulrich Fuetrer in den Blick. Das Werk gelte gemeinhin als stark von fiktiven Elementen geprägt, die der (vermeintlichen) Unbedarftheit desselben im chronikalischen Genre angelastet würden. Seine Schilderungen zur Gründung Münchens ließen jedoch erkennen, dass der Autor hier keineswegs zur Fiktion neigte, sondern seine Informationen sich mit dem zeitgenössischen kollektiven Gedächtnis deckten.

Den in jüngerer Vergangenheit bei mittelalter- und frühneuzeithistorischen Publikationen beliebten Titelbestandteil der "Stadtgeschichte(n)" [1] wollen die Herausgeber doppelsinnig verstanden wissen, nämlich als städtisches "Geschehen an sich" (4) sowie als dessen zeitgenössische Verarbeitung in Historiografie und Literatur. Dass ersteres nicht selten nur durch letztere bekannt beziehungsweise durch diese gefiltert auf uns gekommen ist und eine scharfe Trennung oft kaum gelingt, ist denselben dabei freilich bewusst. Denkbar gewesen wäre zudem eine dritte Facette der Begriffsdeutung, die in mehreren Beiträgen durchaus zutage tritt und einleitend unter Verweis auf Ina Serif [2] auch anklingt (5): die sich fortsetzende Rezeption einmal niedergeschriebener Stadtgeschichte(n) in ihrer jeweiligen Zeit-, Orts- und Zugehörigkeitsgebundenheit. Dies sei aber nur als zusätzliche Perspektivierungsmöglichkeit verstanden und keineswegs als Monitum.

Das Buch ist sorgfältig redigiert, alle Beiträge sind lesefreundlich verfasst. Sie sind auch Fachfremden gut zugänglich und führen dennoch tief in die jeweiligen Potenziale der Stadtgeschichte(n)forschung unterschiedlicher Disziplinen ein. Damit haben die Herausgeber einen sehr anregenden und uneingeschränkt empfehlenswerten Band geschaffen, der den interdisziplinären Anspruch der Reihe vollends erfüllt.


Anmerkungen:

[1] Zum Beispiel: Jörg Oberste / Sabine Reichert (Hgg.): Stadtgeschichte(n). Erinnerungskulturen der vormodernen Stadt (= Forum Mittelalter - Studien; Bd. 14), Regensburg 2017; Julia A. Schmidt-Funke / Matthias Schnettger (Hgg.): Neue Stadtgeschichte(n). Die Reichsstadt Frankfurt im Vergleich (= Mainzer historische Kulturwissenschaften; Bd. 31), Bielefeld 2018; sowie Alexander Krünes (Hg.): Moderne Stadtgeschichte(n) und ihre Perspektiven (= Materialien zur thüringischen Geschichte; Bd. 4), Leipzig 2023.

[2] Ina Serif: Geschichte aus der Stadt. Überlieferung und Aneignungsformen der deutschen Chronik Jakob Twingers von Königshofen (= Kulturtopographie des alemannischen Raums; Bd. 11), Berlin / Boston 2020.

Rezension über:

Johannes Klaus Kipf / Jörg Schwarz (Hgg.): Mittelalterliche Stadtgeschichte(n). Stadt und Kultur in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Das Mittelalter. Beihefte; 21), Heidelberg: Heidelberg University Publishing 2024, VI + 277 S., ISBN 978-3-96822-237-0, EUR 45,00

Rezension von:
Hanna Schäfer
Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Empfohlene Zitierweise:
Hanna Schäfer: Rezension von: Johannes Klaus Kipf / Jörg Schwarz (Hgg.): Mittelalterliche Stadtgeschichte(n). Stadt und Kultur in Mittelalter und Früher Neuzeit, Heidelberg: Heidelberg University Publishing 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 9 [15.09.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/09/39566.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.