Irmgard Müsch: Maleremails des 16. und 17. Jahrhunderts aus Limoges (= Sammlungskataloge des Herzog Anton Ulrichs-Museums Braunschweig; Bd. 11), Herzog Anton Ulrich-Museum 2003, 350 S., 51 Farb-, 290 s/w-Abb., ISBN 3-922279-57-0, EUR 65,00.
Rezensiert von:
Sigrid Ruby
Institut für Kunstgeschichte, Universität Giessen
Mit seinen knapp zweihundert Limosiner Maleremails besitzt das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig einen Spezialbestand, der in Umfang und Qualität zu den weltweit bedeutendsten seiner Art zählen dürfte. Er dokumentiert zudem ein bevorzugtes Sammlungsinteresse des europäischen Hochadels im Zeitalter des Absolutismus. Denn Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel hatte den Großteil der Stücke um 1700 aus dem Nachlass des französischen Orientreisenden Jean-Baptiste Tavernier gekauft, um sie in seinem Schloss Salzdahlum in einem eigens dafür hergerichteten Kabinett zu präsentieren. Diese durchaus zeittypische Sammlungs- und Ausstellungspraxis zum Zweck fürstlicher Repräsentation stellte den vielleicht wichtigsten Funktionszusammenhang für die kostbaren Emailarbeiten dar.
Die in Limosiner Werkstätten seit dem späten 15. Jahrhundert gefertigten so genannten Maleremails verdanken ihre Bezeichnung der Virtuosität von farblicher Gestaltung und kompositorischer Dichte, die sie Werken der Tafelmalerei vergleichbar macht. Neben Bildtafeln mit sakralen und profanen Themen, die zum Teil auf Möbel und andere Gebrauchsgegenstände appliziert wurden, entstanden vor allem aufwändig gearbeitete Prunkgefäße für den höfischen Tafelschmuck. Eine besonders intensive Produktion war offenbar in den Jahren zwischen 1530 bis etwa 1580 gegeben. In diesem Zeitraum dominierten Grisaillen das Erscheinungsbild der Maleremails aus Limoges.
Schon ein kursorischer Blick über die in Braunschweig verwahrten und im nun vorliegenden Bestandskatalog exzellent dokumentierten Stücke macht deutlich, dass ikonographische und stilistische Aspekte von nur sekundärer Bedeutung waren, sofern sie nicht der Zurschaustellung handwerklicher Raffinesse und technischer Bravur dienten. Die besondere Kunstfertigkeit der einzelnen Arbeit war offenbar das maßgebliche Kriterium ihrer Wertschätzung. Von daher scheint es nur folgerichtig, wenn neben einem einleitenden Aufsatz, in dem Irmgard Müsch die Geschichte der herzoglichen Sammlung schildert, zwei gleichermaßen sachkundige Beiträge den technischen Aspekten der Limosiner Emailherstellung und ihrer Entwicklung seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert (Erika Speel) sowie der Materialzusammensetzung der Glasflüsse (Heike Bronk und Stefan Röhrs) gewidmet sind. Allerdings wäre eine Übersetzung des englischen Textes von Erika Speel wünschenswert gewesen, denn das Verständnis der ohnehin komplexen technischen Zusammenhänge wird durch die Verwendung eines nunmehr dreisprachigen Fachvokabulars zusätzlich erschwert. Das Glossar im Anhang schafft hier leider nur bedingt Abhilfe. Bei dem Beitrag der beiden Naturwissenschaftler, der wertvolle Hinweise für Datierungs- und Zuschreibungsfragen liefert, hätte eine allgemein verständlichere Sprache die Lektüre deutlich erleichtert.
Der Katalog selbst ist eine umfassende und in jeder Hinsicht fundierte Bestandsaufnahme, wie man sie heute nur noch in Ausnahmefällen antrifft. Die einzelnen Emailarbeiten sind chronologisch sowie nach Künstlern bzw. Werkstätten in Unterkapitel gruppiert, wobei der größte Bestand, der Konjunktur der Limosiner Produktion entsprechend, aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts datiert. Kurze einleitende Texte charakterisieren die wesentlichen Merkmale der drei großen Epochen (16. Jahrhundert, um 1600, 17. Jahrhundert) und liefern einige Informationen zu den in der Regel schlecht dokumentierten Künstlerpersönlichkeiten. Jeder Einzeleintrag enthält neben den Basisdaten und der Inventarisierungshistorie eine präzise technische Beschreibung des Objekts, der sich eine Schilderung seines Erhaltungszustands anschließt. Darauf folgen eine angenehm sachliche Beschreibung des emaillierten Dekors bzw. der vorgefundenen Darstellung(en) und eine umfassende Werkdiskussion. Hierbei werden nicht nur ikonographische Deutungen sowie durchweg schlüssige Erläuterungen zu Datierungs- und Zuschreibungsfragen geboten. Irmgard Müsch diskutiert immer auch tatsächliche oder mögliche Vorlagen, führt Vergleichsbeispiele aus der Braunschweiger oder anderen Sammlungen an und gibt Hinweise auf den zu vermutenden gesellschaftlichen Kontext, in dem das jeweilige Stück rezipiert und genutzt wurde. Bei einigen besonders herausragenden Maleremails ergänzt ein "naturwissenschaftlicher Kommentar" von Bronk und Röhrs die Ausführungen von Müsch. Jeder Eintrag wird durch eine oder - bei mehransichtigen Arbeiten - mehrere Schwarzweißabbildungen von guter Qualität und angemessener Größe begleitet. Dem Katalog voraus geht zudem ein Konvolut von ausgezeichneten Farbabbildungen, die eine repräsentative Auswahl von 51 Einzelstücken vorstellen und einen guten Eindruck auch von dem besonderen Materialcharakter der Emailarbeiten aus Limoges vermitteln. Mehrere Anhänge, darunter Tabellen zu den Materialanalysen und eine Abschrift des Sammlungsinventars aus dem späten 18. Jahrhundert, ergänzen die vorbildliche Dokumentation. Das umfangreiche Literaturverzeichnis ist eine Fundgrube für jeden, der sich eingehender mit dem Phänomen der Maleremails beschäftigen möchte. Ein Personen- und ein ikonographisches Register runden die Publikation ab und erleichtern eine gezielte Handhabung.
Aus der Fülle der vorgestellten Arbeiten werden sowohl medienspezifische Eigenarten und Kontinuitäten als auch die Bezüge der Limosiner Maleremails zum größeren Kontext der zeitgenössischen französischen Kunst und ihrer Entwicklung deutlich. Die Arbeiten von Léonard Limosin zeigen beispielhaft, wie sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts der Wechsel von deutschen zu italienischen druckgraphischen Vorlagen vollzog und wie die dekorativen Innovationen der Schule von Fontainebleau auch für die Emailkunst fruchtbar gemacht wurden. Unter den nun vermehrt auftauchenden mythologischen Sujets ragen das Parisurteil, die Jagdgöttin Diana und die Geschichte der Psyche als besonders beliebte Motive heraus. Ähnliche thematische Vorlieben lassen sich auch in anderen Medien der französischen Hofkunst beobachten. Bei den Maleremails besonders apart ist die häufig anzutreffende enge Korrespondenz zwischen der Thematik des Dekors und dem jeweiligen Gebrauchszusammenhang. So finden sich das Gastmahl der Dido und des Aeneas im Boden einer opulenten Schale auf hohem Fuß und das Quellwunder des Moses auf einer fulminanten Henkelkanne, beides Arbeiten aus der Werkstatt des Pierre Reymond. Reymond war es auch, der sich auf die in Limoges vielfach hergestellten Monatsbilder spezialisierte. Die polychrom oder als Grisaillen gearbeiteten Genredarstellungen in den Spiegeln von Festtagstellern gehören zu den markantesten Hervorbringungen der Limosiner Emailwerkstätten, die wohl auch jenseits eines exklusiv höfischen Kontextes zur Geltung kamen.
Irmgard Müsch hat einen Band vorgelegt, der durch profunde Sachkenntnis und umsichtige Recherche, eine schnörkellose Sprache, stringente Argumentation und den Ausweis von souveräner Praxisnähe in jeder Hinsicht zu überzeugen vermag. Der Braunschweiger Bestandskatalog, der kunsthistorische und naturwissenschaftliche Analyseergebnisse in ungemein produktiver Weise zusammenführt, setzt Maßstäbe für jede weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit den Maleremails aus Limoges. Als solches zeugt er zudem vom Selbstverständnis eines deutschen Museums, das seinen Auftrag als Bewahrer und Vermittler von Kultur - auch bei immer knapperen Kassen - unvermindert ernst nimmt.
Redaktionelle Betreuung: Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Sigrid Ruby: Rezension von: Irmgard Müsch: Maleremails des 16. und 17. Jahrhunderts aus Limoges, Herzog Anton Ulrich-Museum 2003, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 12 [15.12.2003], URL: <http://www.sehepunkte.de/2003/12/3365.html>
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