Ausgabe 9 (2009), Nr. 3
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ISBN 978-3-593-38442-9
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Martin Aust / Daniel Schönpflug (Hgg.): Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M.: Campus 2007, 359 S., ISBN 978-3-593-38442-9, EUR 39,90

Rezensiert von:
Patrick Bernhard
Deutsches Historisches Institut, Rom

Mit der Frage, inwieweit auch antagonistische politische Systeme voneinander lernen, weisen die Herausgeber dieses Sammelbands auf ein grundsätzliches Problem der historischen Transferforschung hin, die noch immer implizit davon ausgeht, dass Adaptionsprozesse nur zwischen ideologisch verwandten Regimes stattfinden. Um hier neue Akzente zu setzen, haben sich Martin Aust und Daniel Schönpflug auf besonders spannungsreiche Phasen in den Beziehungen zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA vom frühen 19. bis zum späten 20. Jahrhundert konzentriert und für ihr Projekt insgesamt 14 hochkarätige Autorinnen und Autoren verpflichten können. Die thematische Spannbreite der behandelten Themen ist groß: Es geht um Lernprozesse im militärischen Bereich, in Wissenschaft und Technik, in den Medien und der Öffentlichkeitsarbeit. Die meisten Beiträge beschäftigen sich mit den Beziehungen zwischen zwei Staaten, der Fokussierung auf die eigene Nation entkommen die Herausgeber dennoch nicht, denn in immerhin zehn Fällen heißt einer der zu vergleichenden Staaten Deutschland.

Wie alle Beiträge deutlich machen, sind Lernprozesse langwierige, komplexe und kreative Vorgänge, zudem folgen sie oftmals ausgesprochen verschlungenen Wegen und werden von teils starken Widerständen begleitet. In keinem der beschriebenen Fälle wurden etwa ausländische Vorbilder unverändert adaptiert. Diese mussten vielmehr anverwandelt werden, um den eigenen, nationalen Erfordernissen zu entsprechen. Deutlich wird dabei, wie eng das transnationale mit dem nationalen Moment verquickt ist. Das Ausland diente Akteuren in binnenstaatlichen Diskursen nämlich oftmals nur als Argument, um die Erfolgsaussichten der eigenen politischen Forderungen zu erhöhen. Nach den Niederlagen gegen Napoleons Heere konnten beispielsweise Preußens Militärreformer das Modell Frankreich zur Durchsetzung von Vorschlägen nutzen, die seit Längerem in der Schublade lagen, wie Jakob Vogel in seinem Beitrag zum Transfer militärischen Wissens zwischen den "Erbfeinden" gekonnt herausarbeitet.

Adaptionen beruhten dabei oftmals auf Fehlperzeptionen "des Anderen". Das Ausland stellte in einigen Fällen lediglich die Projektionsfolie für die eigenen Fantasien vom politischen Ideal dar; Probleme und Fehlentwicklungen des anderen Landes dagegen wurden oftmals bewusst ausgeblendet. Wie Arnd Bauerkämper in seinem lesenswerten Beitrag anhand der Kontakte britischer Kommunisten zur DDR nachweisen kann, diente das "andere Deutschland" als sozialistisches Utopia. Transnationale Geschichte ist demnach immer auch genuin nationale Geschichte.

Die Beiträge des Sammelbands machen zudem deutlich, wie schwer Transferprozesse nachzuweisen sind. Das hängt nur zu einem Teil mit Überlieferungsproblemen zusammen. Vielmehr sind die Quellen oftmals schwer zu interpretieren. So konkurrieren zumeist sehr ähnliche ausländische und inländische Modelle miteinander, ohne dass klar würde, welches Vorbild sich am Ende durchsetzte. Geradezu paradigmatisch ist in dieser Hinsicht die Reform der preußischen Armee nach 1813, die sich eben nicht eindeutig an das französische Vorbild anlehnte. Vieles spricht nach Michael Sikoras sehr differenziertem Beitrag zu Scharnhorsts Reformbemühungen im Gegenteil dafür, dass die Neuerungen eher auf einer autochthonen Entwicklung beruhten, die dann allerdings durch die Vorgänge jenseits des Rheins noch einmal eine spürbare Beschleunigung erfuhren. Es ergeben sich somit beträchtliche Unschärfen; die Transferforschung macht letztlich die generelle Beschränktheit historischer Erkenntnismöglichkeit besonders bewusst.

Der Lernbereitschaft zwischen antagonistischen politischen Systemen waren allerdings insgesamt enge Grenzen gesetzt. Die Autoren sprechen übereinstimmend von "sektoralen Übernahmen" oder "sektorale[n] Lernprozesse[n]", von "punktuelle[m] Austausch", "negative[m] Lernen" und sogar von bewusster "Abgrenzung" (37, 60, 248, 313, 320). Viel bedeutsamer ist, dass sich der Austausch oft auf politisch eher neutrale Bereiche wie Technik und Organisation beschränkte. Die Grenzen der Lernbereitschaft waren offensichtlich dann erreicht, wenn sich der zu adaptierende Gegenstand "aufgrund der unterschiedlichen politischen und sozialen Ordnungen" nicht integrieren ließ beziehungsweise "strukturelle Ähnlichkeiten der Rahmenbedingungen" nicht gegeben waren (104 und 245). Zu diesem Schluss kommen zumindest Jakob Vogel und vor allem Kiran Patel, der den letztlich ausgebliebenen Einfluss des 'Dritten Reichs' auf die Vereinigten Staaten am Beispiel des Reichsarbeitsdiensts untersucht. Die nationalsozialistische Institution stieß jenseits des Atlantiks auf vehemente Ablehnung, weil in der amerikanischen Gesellschaft die Angst umging, das Land könne auf diese Weise vom demokratischen Weg abgebracht werden. Der Transfer scheiterte hier also aufgrund grundlegender ideologischer Inkompatibilität.

Damit widersprechen die Befunde der einzelnen Beiträge letztlich der Behauptung im Vorwort der Herausgeber, in Konstellationen fundamentaler Gegnerschaft könne der transnationale Austausch "besonders intensiv" sein. Hier zeigt sich die Schwachstelle des Sammelbands: Es fehlt weitestgehend der Maßstab, nach dem die tatsächliche Qualität der hier präsentierten zwischenstaatlichen Beziehungen gemessen werden könnte. Beispielhaft ist in dieser Hinsicht der Beitrag von Andreas Wirsching zum Antibolschewismus in der frühen Weimarer Republik. Der Augsburger Ordinarius weist zwar darauf hin, dass zur russischen Revolution in kürzester Zeit 1200 Publikationen in Deutschland erschienen, setzt diese Angabe aber nicht ins Verhältnis etwa zur Zahl der Veröffentlichungen, die im gleichen Zeitraum zum italienischen Faschismus erschienen. Durch die Arbeiten von Wolfgang Schieder wissen wir zumindest ansatzweise, wie sehr Mussolinis "Machtergreifung" auf die deutsche Rechte und ihre Pläne zur nationalen Revolution ausstrahlte. [1] Im Beitrag von Oliver Dard und Dieter Gosewinkel zum Planungsdiskurs zwischen Frankreich und Deutschland in der Zwischenkriegszeit wird das Manko des Sammelbands dann noch evidenter: Die beiden Autoren konzedieren nämlich, dass der Austausch von Rationalisierungsexperten über den Rhein hinweg letztlich "ohne dauerhaften Widerhall" blieb, und weisen gleichzeitig darauf hin, dass der amerikanische Einfluss auf Frankreich ungleich stärker war.

Nun könnte man, wenn man die Ergebnisse der einzelnen Studien zusammennimmt, im Umkehrschluss vermuten, dass es generell zwischen strukturell ähnlichen Regimes deutlich häufiger und vor allem zu intensiveren Austauschprozessen kommt als zwischen antagonistischen Staaten. Wenn sich das bewahrheiten sollte, dann sind Transfers letztlich doch ein valider Indikator für die Nähe von politischen Systemen. Der Sammelband von Aust und Schönpflug wird auf jeden Fall künftigen Transferforschungen als Kontrollparameter bei der Beantwortung dieser grundlegenden Frage dienen.


Anmerkung:

[1] Vgl. Wolfgang Schieder: Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008.


Redaktionelle Betreuung: Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

Empfohlene Zitierweise:

Patrick Bernhard: Rezension von: Martin Aust / Daniel Schönpflug (Hgg.): Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M.: Campus 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 3 [15.03.2009], URL: <http://www.sehepunkte.de/2009/03/13756.html>

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