Ausgabe 9 (2009), Nr. 3
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ISBN 978-3-937904-55-9
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Malte Thießen: Eingebrannt ins Gedächtnis. Hamburgs Gedenken an Luftkrieg und Kriegsende 1943 bis 2005 (= Forum Zeitgeschichte; Bd. 19), München / Hamburg: Dölling und Galitz 2007, 502 S., 44 Abb., ISBN 978-3-937904-55-9, EUR 30,00

Rezensiert von:
Ralf Blank
Historisches Centrum Hagen

Hamburg gehört neben Dresden und Pforzheim zu den deutschen Städten, die bei alliierten Bombenangriffen während des Zweiten Weltkriegs ungewöhnlich hohe Verluste und Zerstörungen hinnehmen mussten. Umfassend und breit ist auch die Tradierung und Rezeption des Luftkriegs in diesen Städten. Das Gedenken und die Erinnerung an die Bombardierungen, die hohen Personenverluste und schließlich auch an das Kriegsende bildeten von der frühen Nachkriegszeit bis heute gesellschaftliche und politische Faktoren, die durch unterschiedliche Konjunkturen und Akteure beeinflusst und bestimmt wurden. Vor dem Hintergrund der Bombenkriegsdebatte 2002/03 gewinnen geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zum Umgang mit den Auswirkungen und Folgen des Bombenkriegs in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung.

Die von Malte Thiessen als Dissertation an der Universität Hamburg vorgelegte und in der Reihe 'Forum Zeitgeschichte' der Forschungsstelle Zeitgeschichte in Hamburg veröffentlichte Studie kann, dies sei vorausgeschickt, durchaus als Vorbild für vergleichbare Arbeiten über andere Städte angesehen werden. Ob vergleichbare zukünftige Arbeiten allerdings inhaltlich derartig umfassend und aussagekräftig werden können, ist fraglich. Thiessen konnte sich auf eine ungewöhnlich dichte und komplexe Überlieferung stützen, nicht zuletzt aber auch auf eine solide Forschungsbasis, was die Bombardierungen, ihre Hintergründe und Auswirkungen betrifft. Doch gerade eine solche Situation ist für die meisten Städte in Deutschland leider eine Ausnahme, gerade z.B. auch für das besonders heftig bombardierte Ruhrgebiet.

Der Autor hat seine Studie in sechs Kapitel unterteilt, die thematisch und inhaltlich der umfassenden Überlieferung angemessen sind und auch gerecht werden. Im ersten der chronologisch gegliederten Kapitel gibt Thiessen einen fundierten Überblick über die städtischen Erinnerungskulturen, entwickelt eine "Gedenkgeschichte" und zeigt die methodischen Grundlagen seiner Arbeit auf. Das zweite Kapitel ("Von der Erfahrung zur Erinnerung 1943-1945") behandelt verschiedene Aspekte des Gedenkens und der Erinnerung, die bereits während des Zweiten Weltkriegs einsetzten, wie u.a. am Totengedenken festzustellen ist, und sich beinahe bruchlos bis in die Nachkriegszeit tradiert haben, was sich in den folgenden Kapiteln zeigt. Interessanterweise beginnt Thiessen seine Untersuchung erst im Sommer 1943, wobei die britisch-amerikanische Luftoffensive 'Operation Gomorrha' im Juli/August dieses Jahres das zentrale Ereignis und auch den Ankerpunkt für das kommunale "Kriegsgedächtnis" in der Nachkriegszeit bildet. Die Erinnerung an diese "Katastrophe", die im Sommer 1943 mehr als 40.000 Menschenleben forderte und das Erscheinungsbild der Hansestadt grundlegend verändert hatte, ist auch in den folgenden Kapiteln neben dem Kriegsende im Mai 1945 der klar zu erkennende thematische Mittelpunkt in dieser Studie. Hier hätte der Studie vielleicht ein Exkurs gutgetan, der sich mit der Situation vor und nach der "Hamburger Katastrophe" im Kriegsjahr 1943 befasst, um nachzuvollziehen, welche Überlieferungen für die Ereignisse in Hamburg vor und nach der "Operation Gomorrha" vorhanden waren.

Im dritten Kapitel ("Etablierung des Gedenkens 1945-1955") geht Thiessen der Frage nach, wie sich der Umgang mit dem Gedenken und der Erinnerung an den Luftkrieg und das Kriegsende in dem wichtigen Abschnitt der frühen Nachkriegszeit und in den frühen Jahren der Bundesrepublik entwickelte und manifestierte. Gerade diese Phase erweist sich als besonders interessant, da sie unterschiedliche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse, wie etwa Demokratisierung, Entnazifizierung, Staatsbildung, Wiederaufbau und Wiederbewaffnung, mit einbezieht, die schließlich auch Einfluss auf das Luftkriegsgedenken nahmen. Wenn Thiessen hier ein selektives Gedenken in den frühen Nachkriegsjahren attestiert, so kann ihm der Rezensent aus eigener Erkenntnis durchaus beipflichten. Wie sehr in Hamburg auch Elemente und Tradierungen aus den Kriegsjahren und der NS-Propaganda aufgegriffen wurden bzw. weiter Bestand hatten, zeigen einige exemplarische Fälle, wie z.B. die Äußerungen des Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers, die wie andere Aussagen aus dem politischen Raum eine starke Affinität zu den NS-Schlagworten der "Schicksalsgemeinschaft" zeigten.

Die vierte und fünfte Kapitel ("Erinnerung in bewährten Mustern 1956-1979" bzw. "Gedenken im 'Erinnerungsboom' 1980-1995") zeigen die weitere Entwicklung und Konjunkturen des Gedenkens in Hamburg, die der Autor sorgfältig und fundiert analysiert. Gerade auch aus der Perspektive der Denkmalkultur sind besonders die Darstellungen über das "Gegendenkmal" (304ff.) interessant, das als Alternative zu dem "Kriegsklotz" am Hamburger Dammtor, einem 1936 eingeweihten Kriegerdenkmal, am 8. Mai 1985 auf Initiative von Vertretern der Friedensbewegung der Öffentlichkeit übergeben wurde. Auch dieses Denkmal greift den Hamburger Feuersturm während der "Operation Gomorrha" auf und setzt einen anderen Akzent, nämlich "Nie wieder Krieg", dem militaristisch orientierten Kriegsgedenken gegenüber. Einen breiten Raum in Thiessens Studie nimmt auch der 50. Jahrestag der "Operation Gomorrha" 1993 ein. Sinnvoll und begrüßenswert sind auch die Darstellungen über die Präsentation von Wechselausstellungen anlässlich der Gedenkveranstaltungen, die zeigen, wie versucht wurde, den Bombenkrieg und die Luftkriegserfahrungen der Bevölkerung zu visualisieren und museal darzustellen. Aber auch die Analyse der Medien und ihrer Berichterstattung zeigt, wie genau und analytisch Thiessen das Thema behandelt hat. Gleiches gilt für die Rolle der Kirche in den Deutungs- und Gedenkprozessen, die der Autor ausführlich und umfassend beschreibt.

Das sechste Kapitel setzt mit der Bombenkriegsdebatte 2002/03 ein und bietet einen wichtigen Überblick über die Entwicklung bis zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahre 2005 sowie einen tiefen Einblick in die unterschiedlichen Gedenkformen, Deutungsmuster und politischen Intentionen. Nicht vergessen wird auch der rechtsextreme Teil der deutschen Gesellschaft, der sich - wie unlängst wieder in Dresden - des Themas Luftkrieg immer wieder zu bemächtigen versucht und hier Traditionen aus dem Nationalsozialismus und den frühen Nachkriegsjahren aufgreift und lautstark artikuliert. Unter dem Titel "Die Stadt als Erinnerungsort" bietet Thiessen anschließend eine fundierte Zusammenfassung und einen Ausblick in die (mögliche) Gedenkkultur des Luftkriegs im 21. Jahrhundert, die zunehmend auch europäisch und international wahrgenommen wird.

Die Studie "Eingebrannt ins Gedächtnis" von Malte Thiessen ist ein inhaltlich überzeugendes Werk, das - wie schon gesagt - durchaus Vorbildcharakter hat. Dem Autor ist es gelungen, die komplexe und vielschichtige Überlieferung sowie die differenzierten Deutungen und Formen des Gedenkens und der Erinnerung feinfühlig herauszuarbeiten und zu analysieren. Das Buch gehört zweifellos zu den Werken, die einen Standard setzen und für das Thema unverzichtbar sind.


Redaktionelle Betreuung: Peter Helmberger

Empfohlene Zitierweise:

Ralf Blank: Rezension von: Malte Thießen: Eingebrannt ins Gedächtnis. Hamburgs Gedenken an Luftkrieg und Kriegsende 1943 bis 2005, München / Hamburg: Dölling und Galitz 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 3 [15.03.2009], URL: <http://www.sehepunkte.de/2009/03/13960.html>

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