Rezension über:

Brigitte Kasten (Hg.): Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 29), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, IX + 864 S., ISBN 978-3-412-20062-6, EUR 89,90
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Rezension von:
Alheydis Plassmann
Historisches Seminar, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Alheydis Plassmann: Rezension von: Brigitte Kasten (Hg.): Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/07/16989.html


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Brigitte Kasten (Hg.): Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter

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Der anzuzeigende Sammelband ist das Ergebnis einer Tagung, die ausführlich dem Testament oder genauer der Verfügung von Todes wegen unter verschiedenen Perspektiven gewidmet war. Dies geschah vordringlich in chronologischer Form, indem die Entwicklung des Testamentes in römischer Zeit vorgestellt wurde, dann mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem fränkischen Reich, da die 1200-Jahrfeier der Divisio regnorum Anlass zu dem Symposium gab, und schließlich dem Testament im römisch-deutschen Reich. Aber auch das anglo-normannische und das spätmittelalterliche England, Frankreich, Italien, Byzanz, die Kreuzfahrerstaaten und muslimische Beispiele wurden in den Blick genommen. Darüber hinaus wurden die Herrschertestamente mit den Testamenten nichtköniglicher Aussteller verglichen. So lässt der Sammelband für das Thema kaum einen Wunsch offen und liefert in vielerlei Hinsicht auch wegen der Bedeutung von Testamenten weit über das Thema hinaus anregende Lektüre. Nicht nur in der Zusammenschau, sondern auch im Einzelnen bieten die Beiträge wichtige Erkenntnisse zu ihrer jeweiligen Thematik, die hier nur auszugweise vorgestellt werden können, obwohl die Qualität der Beiträge durchgängig hoch ist.

Für die Antike kommt Klaus Martin Girardet, Antike Herrschertestamente - Politische Absichten und Folgen (83-124) zu dem Ergebnis, dass sich in Herrschertestamenten kein Präzedenzfall für eine Erbteilung finden lässt.

Im ausführlichsten Teil über die Karolinger legt zunächst Johannes Fried, Erfahrung und Ordnung. Die Friedenskonstitution Karls des Großen vom Jahr 806 (145-192) dar, auf welche Weise die Erinnerung an die Divisio regnorum und an die Ausschaltung Bernhards von Septimanien, den er als legitimen Karolinger ansieht, sowie die Erinnerung an die Vorbereitungen, die Karl zum Durchsetzen der Divisio angegangen war, die Politik Ludwigs des Frommen und die Beurteilung durch Karls Gefolgsleute wie Adalhard von Corbie bestimmt haben. Da er von mehreren Prämissen ausgeht, die in der Forschung noch nicht ganz geklärt sind (wie etwa die Datierung des Constitutum Constantini), werden auch die Schlussfolgerungen nicht unbestritten bleiben. Matthias M. Tischler, Die "Divisio regnorum" von 806 zwischen handschriftlicher Überlieferung und historiographischer Rezeption (193-258) kann unser Wissen um die handschriftliche Überlieferung der Divisio gegenüber der Edition von Boretius entscheidend erweitern. Matthias Becher, Vater, Sohn und Enkel. Die Bedeutung von Eintritts- und Anwachsungsrecht für die Herrschaftsnachfolge im Frankenreich (302-319) räumt anhand von Fallbeispielen gründlich mit der Vorstellung vom Anwachsungsrecht auf. Die wenigen Fälle, in denen tatsächlich Brüder vor Söhnen erbten, sind Fälle von faktischer Usurpation, die eben gerade keinen rechtlichen Anspruch der Brüder aus einer nicht nachweisbaren germanischen Brüdergemeine bedeuten. Ebenso wie Matthias Hardt, Vererbte Königsschätze in Völkerwanderungszeit und frühem Mittelalter (125-143) und Rudolf Schieffer, Zur Effizienz letztwilliger Verfügungen der Karolinger (321-330) legt er daher die Betonung auf die faktische Erbfolge gegenüber dem politisch oft unwirksamen letzten Willen.

Für das römisch-deutsche Reich weist Klaus van Eickels, Zweieinhalb Herrscher und sechseinhalb Testamente: Friedrich II., Konrad IV. und Konradin (361-371) nach, dass das längere Testament Friedrichs II. im Interesse von Karl von Anjou wohl verfälschend überarbeitet wurde und passt in diesen Kontext auch das letzte Testament Konradins ein, das implizit eine Anerkennung Karls beinhalten musste, damit er testieren durfte.

Heinz Thomas, Das Testament König Johanns von Böhmen und die Erbfolgeordnungen Kaiser Karls IV. (373-392) äußert sich zur Wirkung der Testamente von Vater und Sohn. Für den französischen Bereich legt Elizabeth A. R. Brown, Royal Testamentary Acts from Philip Augustus to Philip of Valois (415-430) dar, dass ein Testament der Kapetinger nach Philipp Augustus kaum Chancen darauf hatte, beachtet zu werden, weil den zum Teil übermäßig großzügigen Verfügungen für das eigene Seelenheil nicht ohne massive Einbußen für die Krone nachgekommen werden konnte. Daher tendierten die Erben dazu, die testamentarischen Bestimmungen ihrer Vorgänger zu ignorieren und sie erst auf dem Totenbett - offenbar in einiger Seelenpein - im eigenen Testament wieder in Erinnerung zu rufen und dem eigenen Erben aufzubürden, so dass sich bis zu den Valois eine stete Spirale anwachsender Verpflichtungen ergab.

Für England kann John Gillingham, At the deathbeds of the kings of England. 1066-1216 (509-530) nachweisen, dass die Designation des Erben, die in einem Testament erfolgen konnte, in den oftmals unsicheren Sukzessionen nach 1066 bis 1216 ein entscheidender Faktor gewesen ist, zumindest was das Legitimationsbedürfnis des Nachfolgers anging.

Jörg Rogge, Testament, Will and Intent. Bestimmungen und Verfügungen der englischen Könige Heinrich IV., Heinrich V. und Heinrich VI. über die Nachfolge auf dem Thron, die Weitergabe und Verwendung ihres Besitzes sowie zur Sicherung ihres Seelenheils und der Memoria (545-571) schildert, dass aufgrund der an sich klar geregelten Nachfolge das Testament Heinrichs IV. einen Schwerpunkt auf der Regelung seiner Memoria hat und ebenso wie die Testamente Heinrichs V. von Sorge um das Seelenheil geprägt sind. Indes finden sich in den Testamenten Heinrichs V. wegen der zunächst ungeklärten Nachfolge und des dann noch sehr jungen Alters seines Sohnes umfangreiche politische Bestimmungen zur Regentschaft, während Heinrich VI. nur Verfügungen zu Zahlungen nach seinem Tode traf.

Ein weiterer Abschnitt mit Beiträgen von u.a. Josef Semmler, Zum Testament des gallofränkischen Bischofs (573-597) und Stephanie Haarländer, Letztwillige Verfügungen hochmittelalterlicher Bischöfe im Regnum Teutonicum. Der lange Weg zur Testierfreiheit (599-620) ist den Testamenten im geistlichen Bereich gewidmet. Stefan Weiss, Vorgänger und Nachfolger: Die Testamente von Clemens V. und Johannes XXII. (621-633) schließt aus den Testamenten dieser beiden Päpste auf ihre Haushaltspolitik zurück und kann vor allen Dingen den enormen Einfluss der laikalen Verwandtschaft der Päpste dingfest machen, die nicht immer im Interesse der Kurie handelten.

Vervollständigt wird der europäische Blick durch Swen Holger Brunsch, Letztwillige Verfügungen von Herzögen und Grafen im frühmittelalterlichen Italien (651-665).

In einem letzten Abschnitt werden noch Byzanz, die Kreuzfahrerstaaten und muslimische Beispiel in den Blick genommen. Rudolf Hiestand, Zum Problem der Herrschertestamente des Heiligen Landes (687-705) kann Bestimmungen über Designationen wegen der oft über die Töchter vermittelten Nachfolge in Eheverträgen ausmachen.

Abgerundet wird der Band schließlich durch Gert Melville, Die zwei Körper und die Seele in der Fortschreibung des Letzten Willens eines Herrschers. Variationen zum Thema einer Tagung über mittelalterliche Testamente (779-791), der zu beobachtende Konstanten der Testamenteausstellung aufführt, die er vor allem in der einerseits transpersonalen Vorstellung von Herrschaft und andererseits in der Sorge um das persönliche Seelenheil sieht.

Alheydis Plassmann