Der Name sehepunkte für dieses Rezensionsjournal ist Programm: Als der Theologe und Historiker Johann Martin Chladenius (1710 - 1759) den - ursprünglich aus der Optik stammenden - Begriff in seiner 1742 erschienenen Einleitung zur richtigen Auslegung vernünftiger Reden und Schriften auf die Geschichtsschreibung übertrug, vollzog er einen bemerkenswerten Schritt. Eine objektive Wahrheit, so Chladenius, gibt es nicht. In jeder Wahrnehmung und Deutung historischer Ereignisse kommt vielmehr immer auch und vor allem der individuelle Standort der Betrachterin/des Betrachters zum Ausdruck - deren/dessen spezifischer "Sehepunckt": "Ebenso ist es mit allen Geschichten beschaffen; eine Rebellion wird anders von einem getreuen Untertanen, anders von einem Rebellen, anders von einem Ausländer, anders von einem Hofmann, anders von einem Bürger oder Bauern angesehen."
Das Plädoyer des Chladenius für eine pluralistische Geschichtswissenschaft gilt bis heute. Auch unser Journal fühlt sich diesem Ansatz explizit verpflichtet. Die sehepunkte sind daher epochenübergreifend, interdisziplinär und international ausgerichtet. Neben deutschsprachigen Publikationen wird in stetig wachsendem Ausmaß die europäische und außereuropäische Fachliteratur berücksichtigt. Zum Beispiel bieten die sehepunkte in regelmäßigen Abständen ein FORUM zu den "Islamischen Welten" (seit 2006) oder zur "Atlantischen Geschichte" (seit 2012) an. Die Rezensionen selbst erscheinen vorwiegend auf Deutsch, Englisch und Französisch.
Ganz bewusst sind die sehepunkte als Internetrezensionsjournal konzipiert. Sie erscheinen jeweils zur Monatsmitte und sind als Open-Access-Publikation kostenfrei zugänglich. Dieser Erscheinungsrhythmus ermöglicht es der Redaktion auch, durch thematische FOREN, Beiträge zu einzelnen Themengebieten in besonderer Weise zu bündeln.
Im Vergleich zu anderen Textsorten unterliegen Buchbesprechungen in besonderer Weise dem Postulat einer schnellen Veröffentlichung, wenn sie das Fachpublikum rasch und umfassend über neue Forschungstendenzen oder -kontroversen informieren sollen. Während die gedruckten Fachzeitschriften dieser Forderung aufgrund langer Vorlaufzeiten und begrenzter Platzkapazitäten häufig nur eingeschränkt gerecht zu werden vermögen, besitzen Online-Rezensionen den Vorzug einer außerordentlichen Aktualität, können sie doch schon kurz nach der Auslieferung eines Werkes publiziert werden.
Diese Beschleunigung des Publikationsweges geht jedoch mit keinem Verzicht wissenschaftlicher Qualitätsstandards einher, die vielmehr durch ein ganzes Maßnahmenbündel sichergestellt werden:
> Die sehepunkte bauen explizit auf einem Modell verteilten und vernetzten wissenschaftlichen Arbeitens auf, das die redaktionelle Verantwortung für die aus den unterschiedlichsten Fachgebieten stammenden Rezensionen in die Hände kompetenter Fachredakteurinnen und Fachredakteure aus dem In- und Ausland legt.
> Von Anfang an haben die sehepunkte überdies mit angesehenen Institutionen wie dem Herder-Institut (Marburg) oder dem Münchener Institut für Zeitgeschichte kooperiert.
> Alle in den sehepunkten publizierten Rezensionen werden grundsätzlich durch die Redaktion oder das Herausgebergremium vergeben.
> Vor ihrer Veröffentlichung durchlaufen alle Beiträge ein mehrstufiges Begutachtungsverfahren.
> Und, nicht zuletzt, begleitet ein aus renommierten Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern bestehender Beirat die Arbeit der Redaktion mit kritischem Blick.
Die sehepunkte sind im Jahr 2001 aus einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Kooperation des Historischen Seminars der Ludwig-Maximilians-Universität München mit der Bayerischen Staatsbibliothek hervorgegangen. Sie werden inzwischen überwiegend vom Freistaat Bayern finanziert und sind redaktionell an den Universitäten München und Mainz angesiedelt.
München, im Januar 2013
Andreas Fahrmeir / Peter Helmberger / Hubertus Kohle / Mischa Meier / Matthias Schnettger / Claudia Zey