Von Ute Lotz-Heumann / Holger Zaunstöck
Dieses Forum erscheint anlässlich des diesjährigen Historikertages, der unter dem Motto "Kommunikation und Raum" in Kiel stattfindet. Das große Interesse der Geschichtswissenschaft an der Erforschung von 'Kommunikation' ist fraglos vor dem Hintergrund des atemberaubenden Siegeszuges des Internets während der letzten Dekade zu sehen. Wolfgang Behringer hat deshalb eine "Archäologie des Cyberspace im Archiv" gefordert. [1] Schon seit längerem hat auch die Frühneuzeitforschung das Thema 'Kommunikation' für sich entdeckt. So tagte etwa 2001 die Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Historikerverband in Augsburg über das Thema "Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit". [2]
Dies hat dazu geführt, dass 'Kommunikation' in den letzten Jahren in zahlreichen Bereichen der Frühneuzeitforschung zu einer integrierenden und ganze Themenfelder aufschlüsselnden Kategorie erhoben wurde. Der Begriff ist dadurch jedoch nicht handhabbarer geworden. Vielmehr gibt es eine gewisse Tendenz, 'Kommunikation' als eine Metakategorie zu funktionalisieren, denn der Begriff ist ausreichend 'offen', um vielfältigste Anwendung zu finden. Auch hinsichtlich der Operationalisierung von Kommunikationsbegriffen anderer Wissenschaften ist man in der Frühneuzeitforschung bislang eher zurückhaltend.
So kann es schnell passieren, dass der Begriff wieder an Attraktivität verliert, ja 'unmodisch' wird und für die Geschichtswissenschaft gewissermaßen verloren geht. Dies sollte nach unserer Auffassung vermieden werden; vielmehr sehen wir 'Kommunikation' als eine potenziell zukunftsweisende historiografische Kategorie. In diesem Kontext möchte das Forum zweierlei erreichen: Durch die Rezensionen ausgewählter neuerer Publikationen, die mehrheitlich den Kommunikationsbegriff in den Mittelpunkt stellen, soll zum einen der aktuelle Forschungsstand grob umrissen werden. Und zum anderen hoffen wir, durch das Interview mit dem Konstanzer Historiker Rudolf Schlögl ein kritisch und perspektivisch angelegtes Diskussionsangebot zu unterbreiten.
Der Kommunikationsbegriff wird traditionell vor allem mit zwei anderen Begriffsfeldern verknüpft: dem der Öffentlichkeit/öffentlichen Meinung und den damit verbundenen Medien sowie dem der Infrastruktur, insbesondere der Post, und damit der beschleunigten Durchdringung von Raum und Zeit. [3] Beide Felder sind von der jüngeren Kommunikationsforschung entscheidend weiterentwickelt worden.
Im Kontext der Öffentlichkeitsdebatte sei hier nur erinnert an die Studie von Esther-Beate Körber über "Öffentlichkeiten in der Frühen Neuzeit", oder auch an die Arbeit von Ulrich Rosseaux über "Die Kipper und Wipper als publizistisches Ereignis (1620-1626)". [4] Diese Forschungsrichtung ist in unserem Rezensions-Forum mit dem von Bernd Sösemann herausgegebenen Sammelband über "Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert" vertreten (besprochen von Stefan Haas).
In diesem Arbeitszusammenhang geht es letztlich um die Frage, ob sich der Kommunikationsbegriff generell - nicht nur in der deutschen, auch in der internationalen Forschung - durchzusetzen vermag, und damit darum, ob er geeignet ist, die ja mittlerweile vielerorts vehement geforderte Ablösung des Öffentlichkeitsbegriffs von Jürgen Habermas herbeizuführen. Diese Frage wirft auch der im Forum besprochene Sammelband von James van Horn Melton mit dem Titel "Cultures of Communication from Reformation to Enlightenment. Constructing Publics in the Early Modern German Lands" auf (rezensiert von Maria Crăciun).
In engem Zusammenhang mit dem Themenfeld 'Öffentlichkeit' stehen auch Arbeiten, die die Medien und das Pressewesen im Zeitalter der Aufklärung und in der Sattelzeit in den Blick nehmen. Dieses Themenfeld ist im Forum durch die Rezensionen von Werner Faulstichs "Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700-1830)" (besprochen von Klaus Beyrer) sowie von Hansjürgen Koschwitz' "Wider das 'Journal- und Tageblattsverzeddeln'. Goethes Pressesicht und Pressenutzung" (besprochen von Werner Greiling) vertreten.
Die Aufklärung wird bekanntlich seit längerem als Kommunikationsprozess verstanden. Daran anknüpfend, hebt die jüngere interdisziplinäre Soziabilitätsforschung die netzwerkartige Kommunikationsorganisation der Gesellschaft der Aufklärer als deren konstitutives und zugleich kommunikationsgeschichtlich innovatives Strukturmerkmal hervor. Dafür steht der jüngst erschienene Sammelband über "Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation". [5] Diese Forschungsrichtung ist im Forum mit einer germanistischen Arbeit vertreten, Robert Seidels "Literarische Kommunikation im Territorialstaat. Funktionszusammenhänge des Literaturbetriebs in Hessen-Darmstadt zur Zeit der Spätaufklärung" (rezensiert von Michael Schaich).
In den letzten Jahre haben zudem zahlreiche Arbeiten die spezifische Kommunikationsstruktur des Absolutismus zu erfassen gesucht. Für den deutschen Kontext war hier die Studie "Absolutismus und Öffentlichkeit" von Andreas Gestrich leitend. [6] Dies verweist auf das übergreifende Feld der 'politischen Kommunikation'. Folgt man den Tagungen der letzten Jahre und den soeben erschienen bzw. angekündigten Veröffentlichungen, sind hier in nächster Zeit noch intensive Forschungsdiskussionen zu erwarten. Im Forum sind diese Arbeitsgebiete vertreten durch eine Arbeit von Robert Darnton über "Poesie und Polizei. Öffentliche Meinung und Kommunikationsnetzwerke im Paris des 18. Jahrhunderts" (besprochen von Jens Ivo Engels) sowie das Buch von Mark Hengerer über "Kaiserhof und Adel in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine Kommunikationsgeschichte der Macht in der Vormoderne" (rezensiert von Andreas Pečar). [7]
Das zweite 'klassische' Feld der Kommunikationsforschung - Infrastruktur, Post und die Veränderung des Raum/Zeit-Verständnisses während der Frühen Neuzeit - hat in den letzten Jahren dagegen weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dies gleicht nun Wolfgang Behringers große Studie "Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit" (im Forum besprochen von Johannes Arndt) durch eine umfassende Darstellung des Themas aus. [8] Hier wird die Veränderung in der Raum/Zeit-Wahrnehmung der Menschen - durch die permanente Expansion der Post - in enger Verknüpfung mit den "Medienrevolutionen" der Frühen Neuzeit gesehen und zur These von einer frühneuzeitlichen "Kommunikationsrevolution" verdichtet.
Des Weiteren hat in der Frühneuzeitforschung die Verbindung von Raum und Kommunikation in den letzten Jahren intensives Forschungsinteresse geweckt. Das geht von der Erforschung kleiner Räume und ihrer Kommunikationsstrukturen, wie etwa in dem von Susanne Rau und Gerd Schwerhoff herausgegebenen Sammelband "Zwischen Gotteshaus und Taverne" [9], über die intensive Erforschung der Stadt als Kommunikationsraum bis hin zu Fragen der kommunikativen Durchdringung von Regionen und Staaten, womit sich auch der Kreis zur Fragestellung der 'politischen Kommunikation' schließt. [10] Zu nennen sind hier z.B. die Bände "Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte" (hg. von Georg Mölich und Gerd Schwerhoff), "Kommunikation und Region" (hg. von Carl Hoffmann und Rudolf Kießling) sowie "Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850" (hg. von Ralf Pröve und Norbert Winnige). [11] Die Frage nach dem Kommunikationsraum 'Stadt' ist im Forum vertreten durch den von Raingard Eßer und Thomas Fuchs herausgegebenen Sammelband über "Kulturmetropolen - Metropolenkultur. Die Stadt als Kommunikationsraum im 18. Jahrhundert" (rezensiert von Susanne Rau).
Schließlich entwickelt sich derzeit ein weiteres Forschungsfeld, das bereits auf der Augsburger Tagung 2001 durch eine von Rudolf Schlögl, Jörn Sieglerschmidt und Barbara Stollberg-Rilinger geleitete Sektion ("Der Körper als Medium") vertreten war: Der Kommunikationsbegriff wird im Kontext der Körpergeschichte verwandt und als Interpretament erprobt. [12] Im Forum ist diese Forschungsrichtung vertreten durch den Band von Kirsten O. Frieling über "Ausdruck macht Eindruck. Bürgerliche Körperpraktiken in sozialer Kommunikation um 1800" (besprochen von Maren Lorenz).
Bleibt abschließend die Frage nach den produktiven Perspektiven einer künftigen frühneuzeitlichen Kommunikationsforschung. Rudolf Schlögl schlägt im Interview dieses Forums vor, die "gängigen Themen- und Gegenstandsfelder" der Frühneuzeitforschung kommunikationstheoretisch zu reformulieren. Damit wäre zweierlei gewonnen: Erstens würde damit das schlichte 'Umlabeln' von (traditionellen) Projekten und ihrer Titel gewissermaßen enttarnbar und damit die innere Aushöhlung des Begriffs aufhaltbar. Zweitens wäre 'Kommunikation' (nach Schlögl) dann ein umfassendes Interpretament für die grundlegenden Vorgänge in der Frühen Neuzeit, wie etwa die "medialen Voraussetzungen sozialer Ordnungsbildungen" und die Herstellung sozialer Ordnung über "Rituale und performative Inszenierungen". Drittens könnte ein solches Kommunikationskonzept die Frühe Neuzeit als eigenständige Epoche ("Transformationsgesellschaft") deutlicher herausarbeiten. Ein kommunikationsgeschichtlicher Zugang, der mehr beschreibt als die Übermittlung von Informationen, könnte so zudem ein produktives Angebot sein, um die neuerdings zunehmend betonten Gemeinsamkeiten von Kultur- und Strukturgeschichte in eine innovative und integrative Fragestellung zu überführen.
Auf diesem Weg - so noch einmal Rudolf Schlögl - brauchen wir eine "Methodologie der Analyse kommunikativer Formen", die letztlich darauf hinführt, einen Kommunikationsbegriff zu entwickeln, der zu einer "Verflüssigung" von Begriffen mit "ontologischem Status" (wie etwa 'Macht') führt. Mithin wäre der Weg irreführend, sich um die Profilierung einer (eigenständigen) 'Kommunikationsgeschichte' zu bemühen. Vielmehr ginge es um eine Geschichtswissenschaft, die "mit dem Kommunikationsbegriff arbeitet".
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Behringer, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003, 688.
[2] Vgl. das Programm unter [http://www.presse.uni-augsburg.de/unipressedienst/2001/pm2001_074A.shtml]; vgl. auch [http://www.historicum.net/themen/medien/index.htm].
[3] Vgl. z.B. Wolfgang Behringer, Bausteine zu einer Geschichte der Kommunikation. Eine Sammelrezension zum Postjubiläum, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), Heft 1, 92-112; Michael North (Hg.), Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 1995; Michael North, Kommunikation, Handel und Banken in der Frühen Neuzeit, München 2000 [http://www.sehepunkte.de/2002/03/2171.html]; Hans Pohl (Hg.), Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Referate der 12. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vom 22.-25. 4. 1987 in Siegen, Stuttgart 1989.
[4] Vgl. Esther-Beate Körber, Öffentlichkeiten in der Frühen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen öffentlicher Kommunikation im Herzogtum Preußen von 1525 bis 1618, Berlin, New York 1998; Ulrich Rosseaux, Die Kipper und Wipper als publizistisches Ereignis (1620-1626). Eine Studie zu den Strukturen öffentlicher Kommunikation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Berlin 2001 [http://www.sehepunkte.de/2002/03/2278.html].
[5] Vgl. Holger Zaunstöck/Markus Meumann (Hgg.), Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen 2003 [http://www.sehepunkte.de/2004/07/4732.html].
[6] Vgl. Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit: Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Göttingen 1994.
[7] Wir danken Michael Kaiser für die Überlassung der Rezension von Andreas Pečar über das Buch von Mark Hengerer für das Forum. Zur 'politischen Kommunikation' sind außerdem soeben erschienen: Johannes L. Schipmann, Politische Kommunikation in der Hanse (1550-1621). Hansetage und westfälische Städte, Köln 2004; Luise Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie - Res Publica-Verständnis - konsensgestützte Herrschaft, München 2004; angekündigt: Rudolf Schlögl (Hg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2004; vgl. z.B. auch den Tagungsbericht "Der Reichstag (1486-1613). Kommunikation - Wahrnehmung - Öffentlichkeiten" [http://www.ahf-muenchen.de/Tagungsberichte/Berichte/pdf/2003/099-03.pdf].
[8] Wir danken Matthias Schnettger für die Überlassung dieser Rezension für das Forum.
[9] Vgl. Susanne Rau/Gerd Schwerhoff (Hgg.), Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 2004.
[10] In diesem Kontext ist auch auf die Forschungen zur ländlichen Gesellschaft zu verweisen: Werner Rösener (Hg.), Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000; Magnus Eriksson/Barbara Krug-Richter (Hgg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.-19. Jahrhundert), Köln, Weimar, Wien 2003 [http://www.sehepunkte.de/2004/07/4602.html].
[11] Georg Mölich/Gerd Schwerhoff (Hgg.), Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 1999 [http://www.sfn.uni-muenchen.de/rezensionen/rez70.htm]; Carl A. Hoffmann/Rolf Kießling (Hgg.), Kommunikation und Region, Konstanz 2001 [http://www.sehepunkte.de/2002/02/2845.html]; Ralf Pröve/Norbert Winnige (Hgg.), Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850, Berlin 2001 [http://www.sehepunkte.de/2002/02/2933.html].
[12] Vgl. dazu auch das Forums-Interview.