Raingard Eßer / Thomas Fuchs (Hgg.): Kulturmetropolen - Metropolenkultur. Die Stadt als Kommunikationsraum im 18. Jahrhundert (= Aufklärung und Europa. Schriftenreihe des Forschungszentrums Europäische Aufklärung e.V.; Bd. 9), Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2002, 189 S., ISBN 978-3-8305-0323-1, EUR 25,00
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Mirjam Litten: Bürgerrecht und Bekenntnis. Städtische Optionen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung in Münster, Hildesheim und Hamburg, Hildesheim: Olms 2003
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Kommunikation ist ein zentraler Aspekt des Menschseins. Oder, um es mit Paul Watzlawick zu sagen, man kann nicht nicht kommunizieren. Umso erstaunlicher ist es, dass wir bis vor kurzem noch wenig über vergangene Kommunikationssysteme wussten, auch wenn es Angebote aus der Soziologie und den Kommunikationswissenschaften gab. Die Lage hat sich mittlerweile jedoch etwas gewandelt. Als Aspekte der Kommunikation in der Frühen Neuzeit wurden Buchdruck, Druckgrafiken, Entstehung von Periodika, Kommunikationsformen zum Beispiel zwischen Reichsinstitutionen, zwischen Obrigkeiten und Untertanen, innerhalb oder zwischen Konfessionen oder zwischen Händlern untersucht, und schließlich wurden historische Begebenheiten - wie die Reformation oder der Dreißigjährige Krieg - als kommunikative Ereignisse interpretiert. Zunehmend werden auch Kommunikationsräume sowohl im Kleinen (wie etwa das Wirtshaus oder das Kaffeehaus) als auch im Großen (überregionale Märkte) von Historikerinnen und Historikern unter die Lupe genommen.
Die Tatsache, dass es für all diese Untersuchungen keine einheitliche Theorie gibt, ist nicht per se ein Nachteil; die Dehnbarkeit des Begriffes führt jedoch immer wieder dazu, dass 'Kommunikation' oft nur ein Aushängeschild im Titel ist, weitere terminologische Klärungen oder Synthesen der dargestellten Aspekte aber fehlen. Leider ist dies auch in dem anzuzeigenden Band - mit Ausnahme eines einzigen Beitrags - der Fall.
Der vorliegende Sammelband ist aus einem Sommerkurs über "Potsdam und Berlin - Residenz und Metropole in der Aufklärung" hervorgegangen, der im Jahr 2000 am Forschungszentrum Europäische Aufklärung in Potsdam stattgefunden hat. Er umfasst neben einer Einleitung der Herausgeber neun Beiträge; davon behandeln sechs die städtische Region Berlin-Potsdam, einer betrifft London, einer die keltischen Unterschichten in französischen und englischen Großstädten und ein weiterer die bürgerliche Denkmalsbewegung. Zwei Beiträge sind in englischer, die anderen in deutscher Sprache verfasst.
In der Einleitung wird die Entstehung der europäischen Stadt skizziert und auf Etienne François' These zurückgegriffen, die ehemals starken Handelsrepubliken seien durch den Typus der Residenzstadt als privilegiertem Ort sozialer, ökonomischer und kultureller Innovation abgelöst worden. Die These von der typologischen Verschiebung greift, wie man weiß, allerdings nicht ohne Einschränkung: So sind etwa Hamburg, Frankfurt am Main und Leipzig als (semi-)autonome Wirtschaftszentren auszunehmen. Dessen ungeachtet soll der Zusammenhang von Aufklärung, Verbürgerlichungsprozess und Residenz am Beispiel von Berlin und Potsdam untersucht werden (13). Hier wird deutlich, dass das verbindende Thema des Bandes eigentlich nicht die 'Stadt als Kommunikationsraum' ist, sondern die kommunikativen, politischen und sozialen Prozesse, die den Raum Berlin-Potsdam zum Zentrum des kleindeutschen Reiches heranwachsen ließen.
Raingard Eßer fragt nach der Rolle der Hugenotten beim Aufstieg Berlins zu einem Zentrum der Aufklärung und konstatiert, dass die neue Kulturgeschichte die Hugenottenforschung noch nicht erreicht habe. Nach wie vor herrsche das Bild der älteren Historiografie vor, nach dem die eigentlichen Akteure die Kurfürsten als tolerante Aufklärer waren und die Exulanten als religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Elite glorifiziert werden. Iwan Wmffre widmet sich der Migration und Integration keltischer Unterschichten in englischen und französischen Städten - ein äußerst spannendes Thema, wenn man weiß, wie schwierig es ist, für Formen der saisonalen Migration, zumal der Unterschichten, Quellen zu finden. Die Behauptung, die französische Historiografie betrachte nur die Immigration aus fremden Staaten (30 f.), ist allerdings ein Fehlurteil. [1] Brigitte Meier untersucht in ihrem Beitrag traditionelles Bürgertum und neue Stadteliten in der Mark Brandenburg, wobei sie die neue aufgeklärte Elite als eine durch Kultur, Lebensweise und Mentalität distinkte Gruppe, die ein eigenes Netzwerk aufbaute, bezeichnet. Sie stellt die sozialen Orte und Vergesellschaftungsformen der Aufklärer vor und kommt zu dem Schluss, in den Kleinstädten sei die Kommunikation dichter und intensiver gewesen als in Berlin. Auch die Integration von Fremden konnte der Entwicklung von Stadteliten bedeutende Impulse verleihen, wie die Autorin zurecht feststellt, dabei aber mit der Heranziehung Hamburgs (neben Berlin) als Beispiel für eine "gelungene Öffnung gegenüber Fremden" (64) nicht ganz den Forschungsstand erfasst. [2]
Über die Entstehung der 17.000 Bücher und 850 Handschriften umfassenden "Bibliotheca Dieziana" informiert Regina Mahlke und berichtet zugleich über den Stand der Verzeichnung und Katalogisierung der Sammlung in der Staatsbibliothek zu Berlin. Gewonnen hätte die Darstellung durch eine Interpretation des Sammelns als Ausdruck bürgerlich-aufgeklärter Kultur, als Akkumulation kulturellen Kapitals oder durch eine Einordnung des Stiftungsaktes als Memorialakt (und damit als Kommunikation mit der Nachwelt). Claudia Teibler zeigt am Beispiel der beiden Künstler Bernhard Michael Rode und Daniel Chodowiecki den Ablösungsprozess vom Hof hin zum Bürgertum als Auftraggeber von Kunst. Kunst bekam durch die Anbindung an die Literatur und den literarischen Markt eine vorher nie da gewesene Öffentlichkeitswirksamkeit. Offen bleibt jedoch, welche Institutionalisierungsprozesse diesen Ablösungsprozess getragen haben. Annette Dorgerloh führt uns nach Rheinsberg und Sanssouci und zeigt, wie die Konkurrenz zwischen König Friedrich II. und seinem Bruder Prinz Heinrich mit künstlerischen Mitteln, nämlich Architektur und Gartenkunst, ausgetragen wurde. Inwiefern das Denkmal seit dem späten 18. Jahrhundert zu einem Element der städtischen Bürgerlichkeit wurde, inwiefern sich der Kampf des liberalen Bürgertums um politische Partizipation darin feierte, aber auch, wie sich das Bürgertum im Denkmal selbst ein Denkmal setzte, zeigt Thomas Fuchs in einem geografisch sehr weit greifenden Beitrag. Dadurch dass das Denkmal immer mehr zum Objekt der Durchsetzung von Klasseninteressen geworden sei, habe es die Nation mehr gespalten als geeint. Spannend sind die Konflikte um Denkmalssetzungen, wie etwa die Reichstagsdebatte um die Aufstellung eines Hermanndenkmals im Jahr 1871. Eine weiter gehende Analyse derartiger Konflikte wie auch eine eigentliche Rezeptionsanalyse kann die kulturgeschichtliche Denkmalsforschung sicher noch bereichern.
Ralf Pröves in englischer Sprache verfasster Beitrag über die Verkehrsbedingungen zwischen Potsdam und Berlin ist ein eminent kommunikationsgeschichtlicher und zugleich der Einzige, der Begriff und Ansatz in die kommunikationswissenschaftliche Forschung einordnet. Trotz der mitunter langen deutschen Quellenzitate (ob sie die internationale wissenschaftliche Kommunikation erleichtern?) macht der Aufsatz in überzeugender Weise die Bedeutung des Transportsystems für den Aufstieg und die Aufrechterhaltung von Herrschaft deutlich. Straßen - beziehungsweise später die Chausseen - boten die notwendige Infrastruktur für den Austausch von Gütern, Nachrichten und Personen zwischen Residenz und Metropole. Zu fragen wäre aber, ob für diese verschiedenen Medien eine einzige Kommunikationstheorie, die mit den Begriffen Sender, Empfänger, Medium und Information arbeitet, ausreicht. Eine Postkutsche ist doch ein anderes "Medium" als ein Brief; in letzterem stecken (zumeist) "Informationen", was in einer Kutsche nicht unbedingt der Fall ist: Sie "transportiert" Menschen oder Briefe, die wiederum erst "Träger" oder "Medien" von "Informationen" sind. Der Band schließt mit einem Beitrag Editha Ulrichs über die Wahrnehmung Londons durch deutsche Englandreisende. Sie kommt zu dem interessanten Befund, dass das englische Nebeneinander von Metropole und königlicher Residenz vor dem eigenen Erfahrungshorizont 'Berlin-Potsdam' gesehen worden sei.
Ist also die 'Stadt als Kommunikationsraum' das verbindende Element des Bandes, wie der Untertitel suggeriert? Ich meine nein. Dazu sind viele der Beiträge diesbezüglich zu wenig begrifflich reflektiert. Migration, Orte bürgerlicher Soziabilität, Selbstsymbolisierungen, Kunst und Buchbesitz oder Verkehrssystem sind alles irgendwie auch kommunikationsgeschichtliche Themen. Doch was daran nun genau "kommunikativ" ist und inwiefern dies notwendige Elemente städtischer Vergemeinschaftung des Aufklärungszeitalters sind, hätte man im Einzelnen genauer herausarbeiten müssen, um dem Untertitel des Buches gerecht zu werden. Ein Buchtitel in Anlehnung an den Titel des Sommerkurses wäre der Sache sicher angemessener gewesen. Dann hätte man freilich die nicht Berlin-Potsdam betreffenden Beiträge weglassen oder aber sie stärker auf die Entstehung des Zentrums des kleindeutschen Reiches zuschneiden müssen. Eine Geschichte aber des Aufstiegs unserer heutigen Hauptstadt unter kommunikativen, politischen und sozialen Gesichtspunkten benötigen wir allemal. Dazu liefert der Band mit seinen breit gefächerten Beiträgen auch wertvolle Impulse.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu v.a. die Arbeiten zur Kolportage und zur Binnenmigration von Arbeitern von Laurence Fontaine. Einige ältere Aufsätze haben jetzt Eingang gefunden in Laurence Fontaine: Pouvoirs, identités et migrations dans les hautes vallées des Alpes occidentales (XVIIe-XVIIIe siècle), Grenoble 2003. Auf Forschungen zur Binnenmigration stützt sich auch Daniel Roche in seinem neuen Buch: Humeurs vagabondes. De la circulation des hommes et de l'utilité des voyages, Paris 2003.
[2] Vgl. nur Joachim Whaley: Religiöse Toleranz und sozialer Wandel in Hamburg 1529-1819, Hamburg 1992.
Susanne Rau