KOMMENTAR ZU

Wolfgang Hübner: Rezension von: Alfred Schmid: Augustus und die Macht der Sterne. Antike Astrologie und die Etablierung der Monarchie in Rom, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 10 [15.10.2005], URL: http://www.sehepunkte.de/2005/10/8408.html

Von Alfred Schmid, Basel

Wer rezensiert, darf auf Mängel hinweisen - dabei sollten Einwände gegen das rezensierte Werk Intention und Aussage desselben berücksichtigen und sich zumindest auf es beziehen: einem Buch über Äpfel sollte nicht vorgehalten werden, dass es auf dem Rezensenten wichtige und teure Birnensorten nicht eingeht. Ich habe kein Buch über Astrologie geschrieben, und gewiss keines über die astrologische Literatur, sondern einen astrologischen Gegenstand - das Horoskop des Augustus - zum Ausgangspunkt genommen, um das historische und politische (und mentale) Phänomen der Rückkehr von nicht-monarchischen oder anti-monarchischen Gesellschaften zur Monarchie zu beleuchten. Der Umgang "mit 'kosmischen Bedeutsamkeiten'" und der "politische Sinn, der damit transportiert oder erst hergestellt werden sollte" ist nach meiner Einleitung (18) das Gefragte. (Ich darf vielleicht anmerken, dass das Wort "Astrologie" auf Verlagswunsch im Untertitel steht - er kam im Originaltitel der Dissertation nicht vor). Die Frage nach Polis und Monarchie ist eigentlicher Gegenstand dieses Buchs (des Kaisers Horoskop der Einstieg in diese Frage) - was den Rezensenten, der schon auf der ersten Seite "wenig Lust, weiterzulesen" verspürte, offenbar schlicht nicht interessiert. Seine Rezension erweckt den Eindruck, als hätte ich im Wesentlichen ein loses Konglomerat zu Detailfragen der astrologischen Literatur verfasst. Grosszügig geschätzt nehmen Passagen über Astrologisches und seine historisch-politische Bedeutung allerhöchstens ein Viertel des Buches in Anspruch - und das Meiste davon hat der Rezensent ignoriert. So wird denn kaum eine ernsthafte These wirklich besprochen oder auch nur ersichtlich: der Rezensent hat offenbar vorab die Fussnoten nach Fehlern abgesucht. (Dass er im Ganzen "nur wenige sachliche Fehler" fand, ist daher ein ambivalentes Lob).

Es ist nicht Aufgabe des Autors, sein Buch zu kommentieren - wo ihm aber Aussagen zugeschrieben werden, die er nicht gemacht hat, muss er sich wehren. Die Rezension beginnt mit einer Aussage über die These zum Kalender von 63 v. Chr. nach Ginzel und Brind'Amour, nach welcher das Geburtsdatum des Augustus "nach dem erst später eingeführten julianischen Kalender berechnet wurde" - das ist aber nicht meine Ansicht, sondern die des Rezensenten (wie überhaupt öfters nicht zu entscheiden ist, ob eine Aussage von mir oder eine Kritik oder Ergänzung des Rezensenten vorliegt). Die Rekonstruktion des Kalenders, der ich folge, behauptet schlicht, dass (mit den Worten Brind'Amours) der "22 Septembre civil 63" dem "22 Septembre julien" entsprochen habe (den man, da der julianische September einen Tag mehr hatte, als den 23. verstehen konnte). - Mit der Berechnung des Horoskops hat das nichts zu tun: ein Astrologe musste in jedem Kalender wissen, welchem astronomischen Datum das bürgerliche Datum entsprach, das man ihm angab. Er musste die Abweichung eines Kalenders zum Sonnenjahr (praktisch wohl: zum ägyptischen Wandeljahr) jedenfalls kennen; Ginzel und Brind'Amours These besagt nur, dass im September 63 die Kalenderdaten mit den julianischen nahezu identisch waren - und das besagt wiederum nur, dass man in einen modernen Computer mit entsprechendem Programm den julianischen 22. Sept. 63 v. Chr. eingeben muss (den 21. nach Ginzel und den 23. bei der Annahme, das Horoskop sei julianisch tradiert worden), um die Gestirnsstände zu erhalten, die den Astrologen des Augustus vorlagen (falls diese Kalenderrekonstruktion stimmt - sämtliche genannten Varianten habe ich im Tafelteil abgebildet)). - Es gibt eben keine Computer, in welche man 'numanische' Daten eingeben kann. Die "Kautel" dieser Annahme, auf die der Rez. abschliessend noch einmal zurückkommt (jetzt spricht er aber von einer Zurückberechnung "nach der julianischen Reform"), kann nur sein, dass der Kalender wirklich im Jahr 63 so aussah, wie ihn Ginzel und Brind'Amour rekonstruieren: dann hätte auch vor der Reform jeder kundige Astrologe dieselben Resultate errechnen müssen - falls das Geburtsdatum des Augustus stimmt.

Im gleichen Anlauf berichtet der Rezensent auch von meiner "richtigen" Erkenntnis, dass "es nicht genügt, mit modernen Computer-Methoden die Konstellation zu ermitteln, sondern dass man die Fehler der antiken Methoden aufgrund eines zu langsamen Präzessionswertes mit einbeziehen muss" - das ist keineswegs meine Ansicht: ich schreibe, dass man mit den astrologischen Computerprogrammen immer nach dem heute gültigen Tierkreis rechnet - um Werte des in der Antike recht gebräuchlichen "System B" Tierkreises zu erhalten (nach dem Augustus 'Waage war'), muss man zu allen Werten einfach 8 Grad addieren. Mit der Präzession hat das gar nichts zu tun, wie ich an der vom Rezensenten angegebenen Stelle ausführlich darlege. - Meine "Erkenntnis" ist es im Gegenteil, dass die vielen publizierten Ansichten über ein konkretes Horoskop des Augustus gerade darunter leiden, dass die Autoren - meist Philologen - es in der Regel verschmähen, einfach ein Horoskop zu berechnen und es sich anzusehen. - Der Rezensent weiss unzweifelhaft viel mehr über antike astrologische Literatur als ich, bloss hilft solches Wissen in der Frage nach Sinn und Entstehung des Capricorn-Signets bei Augustus gerade nicht weiter. Es ist meine im 1. Kapitel begründete These, dass eine "rein astrologische Deutung", die der Rezensent vermisst, hier nichts erklärt. Die Capricorn-Ideologie muss aus der augusteischen Bildverwendung erschlossen werden, die am besten zum "Glückspunkt" passt, der nach der wahrscheinlichsten Rekonstruktion des Horoskops eben bei der Geburt des Augustus im Capricorn stand. - Wenn der Rezensent meint, die Aussage, wonach der Capricorn auf der gemma Augustea die sieghafte Potenz des Augustus verkörpere, sei "durch astrologische Quellen nicht gedeckt", dann ignoriert er eben schlicht, was ich darüber geschrieben habe (ist denn die "pars fortunae" nicht antike Astrologie?). Schon Kepler sah, dass der Steinbock an sich nichts "absonderlich Glückliches zu bedeutten" gehabt habe und nicht zufällig war es ein Astrologe (namens Wendelin) der die plausible Lösung mit dem "Glückspunkt" schon im 17. Jhdt. fand, die immerhin W. Gundel vor 80 Jahren als "die Lösung" bezeichnet hat. - Ihm hätte der Rezensent kaum die Manilius-Stelle über die sehenden Zeichen vorgehalten, die als Aussage über die tropischen Zeichen statistisch genau auf einen Drittel der Menschheit passt.

Des weiteren kommt der Rezensent mehrfach auf das Georgica-Proöm zu sprechen - und möchte, dass ich dabei seiner (auf Servius zurückgehenden) Deutung folge - aber die Interpretation tut hier nichts zur Sache, die Stelle soll nur belegen, dass man schon zu Lebzeiten des Augustus ihn mit dem Herbstäquinokt assoziierte, und dient als Indiz dafür, dass er tatsächlich Ende September geboren sein dürfte. Auch hätte ich Erikssons Ansicht (zu einer Lucanstelle über Nero) "zu Unrecht" zurückgewiesen - in Wirklichkeit folge ich Eriksson in einer Interpretation, die allerdings astronomisch nicht zu retten ist; auch der "Katasterismus" in Bezug auf das Georgica-Proöm (von dem. "schon gar keine Rede" sein könne) geht wörtlich auf Eriksson zurück.

Der Rezensent entdeckt Widersprüche: ich soll "zu Recht" davon ausgehen, dass der Globus als Herrschaftssymbol den Himmelsglobus meine, was mich allerdings nicht hindere, von Roms Herrschaft über den Globus zu sprechen - und genau das habe ich gemeint: Roms Herrschaft über den Himmelsglobus. Und wenn der Tierkreis nicht in der Mitte des Sphären-mundus aufgehängt ist - wie der Rezensent beanstandet - dann ist es auch nicht die Erde, denn der Tierkreis wird vom Himmelsäquator halbiert, und diese Schnittstelle liegt eben, seit Platon ein Symbol von Mitte, paradoxerweise nicht in der Erdmitte, sondern an der Peripherie der Welt - davon handle ich an der Stelle, die der Rez. mit "der verbreiteten Konkurrenz zwischen Mitte und Gipfel" (?) bezeichnet. Und nicht ich habe Buchner den "kardinalen Fehler" nachgewiesen, sondern schon M. Schütz vor genau 15 Jahren.

Gegen den Begriff einer "cultural revolution" (A. Wallace-Hadrill) soll ich mich "zu Recht" wenden - was ich aber gar nicht tue. Ebensowenig unterschätze ich den "System-B" Tierkreis - ich habe bloss herausgefunden, dass die sogenannte "Sonnenuhr des Augustus" ihn gerade nicht benutzte (der Hinweis auf dieses Ergebnis ist übrigens im Text von einer Anmerkung des Rezensenten selbst nicht zu unterscheiden). Dass ich dem Sonnenstand in den Horoskopen zuviel Gewicht beimessen soll, verstehe ich nicht - an der "symptomatischen" Stelle hätten Varro/Tarutius neben dem Mond noch die Sonne des Rom-Horoskops in die Waage versetzt. Und meine Anmerkung über den Revolutionsbegriff bezieht sich nicht auf Buchtitel Albumasars, sondern auf eine bestimmte aussergewöhnliche Stelle, die nur Hermann v. Carinthia mit "revolutio" übersetzt ("mutatio" bei Johann von Sevilla: jetzt Yamamoto/ Burnett, Abu Ma'sar on Historical Astrology, Vol 2, Leiden 2000, 100,2).

Schliesslich zur Korrektur einer Übersetzung: ich hätte "epikentros" unzutreffend übersetzt, das heisse nicht "auf der Achse", sondern "in einem kentron (Kardinalpunkt)". - Gravierenderweise stützt diese Stelle einmal wirklich eine These (die mir nun gar besonders aufschlussreich vorkam, die aber dem Rezensenten keiner Erwähnung wert ist): nach "Manetho" hätten Könige und Götter unter Menschen im Horoskop die Sonne "epikentros". Und diese Bedingung träfe auf alle drei rekonstruierbaren vorbyzantinischen Kaiserhorskope und selbst auf das fiktive Romulus-Horoskop zu, wenn "kentra" die Achsen des Horoskops bezeichnen - während "Kadinalpunkte" in der Astrologie auch die ekliptischen Punkte der Wenden und Äquinoktien bezeichnen können. - War meine These (deren Veranschaulichung ich einige Tafeln widme) also verfehlt und die Geburt unmittelbar bei Sonnenaufgang (wie bei Nero, Augustus, Hadrian) peinlicherweise gar kein Indiz? - Ich brauchte lange, bis ich begriff, dass der Rezensent keine andere Ansicht über kentra und epikentros vertritt, und entnahm schliesslich seinem Werk von 2003 über Raum, Zeit und soziales Rollenspiel der vier Kardinalpunkte in der antiken Katarchenhoroskopie, dass auch er selbstverständlich "das kardinale Achsenkreuz" kennt (257): er meint nichts anderes mit "Kardinalpunkten" als ich mit "Achsen" (die "Hauptachsen" eines Horoskops erkläre ich ausführlich S. 31). Ich hätte eben den Ausdruck wählen sollen, den er bevorzugt (obwohl er mindestens für einen Astrologen missverständlich ist). Der Beleg ist also nicht fraglich - der unkundige Leser aber muss annehmen, dass eine Koryphäe des Fachs den Beleg samt These als Missverständnis diskreditiert habe.

Dieser Kommentar ist keine Erklärung meines Buchs, sondern geht nur auf einige Beanstandungen der Rezension ein: es geht um Details, gewiss. Aber wenn der Rezensent sich ausschliesslich auf solche - für den Argumentationsgang meist nebensächliche - konzentriert, sollten diese doch korrekt und pflichtbewusst behandelt werden. Dazu gehört, dass man wenigstens das Kritisierte genau liest.