KOMMENTAR ZU

Achim Landwehr: Rezension von: Ekkehard Eickhoff: Venedig - Spätes Feuerwerk. Glanz und Untergang der Republik (1700 bis 1797), Stuttgart: Klett-Cotta 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2007/03/11692.html

Von Ekkehard Eickhoff

Der Rezensent vermisst in dem besprochenen Buch eine These. Dafür liest er aus ihm überall ein "beherrschendes" oder "immer unterschwelliges" oder "implizit" deutlich werdendes "Dekadenzmotiv" heraus. Aber nicht Decline and Fall, sondern Glanz und Untergang der Republik (1700-1797) ist das Titelthema, und diese Hauptthese wird bereits auf den ersten zwei Seiten (19f.) wie zusammenfassend am Schluss (350f.) herausgestellt: Dass nämlich dieses letzte Jahrhundert keine Epoche des Niederganges, sondern einer glanzvollen kulturellen Hochblüte war. Deren Ausstrahlung auf Europa ist das unübersehbare Haupt- und Dauerthema. Die vorgestellte Vielfalt von biographischen Profilen, geistigen und künstlerischen Leistungsskizzen und die Rolle der Stadt Venedig als europäischer Festspielplatz entspricht der Mannigfaltigkeit der behandelten Phänomene. Diese werden nicht auf "den Untergang eines Staatswesens hin interpretiert", und schon gar nicht als "eindeutige Vorboten eines nahenden Untergangs" gedeutet, sondern auf ihre europäische Außenwirkung bezogen.

Der Rezensent vermisst Auskünfte, die er überlesen hat, wie beispielsweise den mit kräftigen Reformen der 60er Jahre zusammenfallenden Wiederaufstieg der venezianischen Seeschiffahrt Seite186-190 (auch deren Verteidigung gegen die Barbaresken gehört dazu). An der objektiven Stabilität des Staatswesens erlaubt die Darstellung (die weder die Modernisierung der patrizischen Latifundien - Seite 20, 180, 187, noch die Blüte heimischer Industrien wie des Verlagswesens Seite 219 -226 übergeht) keinen Zweifel. So zeigen die in bisherigen Darstellungen ganz verkannte strategische Selbstbehauptung im letzten Seekrieg gegen das Osmanische Reich (47-51), und der Bau der Murazzi die Kraftressourcen der Republik im zweiten und achten Jahrzehnt des Jahrhunderts. Zu Anfang und Ende (19f. und 350f.) wird zusammengefasst, dass dieses Staatswesen bis zum Frühjahr 1797 lebensfähig und lebensvoll war. Die anhaltende Zustimmung des politisch machtlosen Volks und der Eliten der Terraferma zum status quo der Verfassungsordnung, sowie der ständige Bezug auf die europäische Kulturbühne, nicht "ständig gegenwärtige Dekadenzerwartung" sind der basso continuo des Berichts. Reformen der zweiten Jahrhunderthälfte griffen teils zu kurz; teils waren sie durchaus erfolgreich (186-188).

Realität aber war auch, dass man im staatstragenden, demographisch schrumpfenden Adel nach 1718 den machtpolitischen Verzicht der Republik beklagte, und dass er in den letzten Jahrzehnten (zu Recht) von der Furcht besessen war, von Österreich überwältigt und wegannektiert zu werden wie Polen, und (zu Unrecht) beseelt vom Misstrauen gegen das eigene Volk. Das von Landwehr überall vermutete Dekadenzmotiv (seine Vokabel) klingt im Urteil zeitgenössischer Skeptiker an, die unter dem Zwischentitel Mäkler, Bummler und Causeure zitiert werden, nicht im Urteil des Autors. Das Stichwort "Finale" hat rein chronologischen Gehalt, und ein finale furioso ist alles andere als ein Indiz für Dekadenz und Erschlaffung. Das Kapitel "Das Fest klingt aus" handelt nicht von der Erschöpfung eigener Leistungskraft, sondern von den Fernwirkungen der französischen Revolution.

Also nicht innerer Verfall, sondern allein der revolutionäre Gewaltakt Bonapartes stürzen die Republik (332-344, bes. 350f.) und ruinieren die Stadt Venedig. Schließlich endet die Darstellung nicht damit, "dass Napoleon als letzter das Licht ausmacht", sondern die geistige Vitalität des kurzen, unblutigen jakobinischen Zwischenspiels in Venedig ist die letzte Nummer des Feuerwerks. Wenn der Rezensent in den Lebensskizzen von Carlo Goldoni, Carlo und Gasparo Gozzi, von Caterina Dolfin Tron, Giustiniana Wynne, Elisabetta Caminer und Francesco Algarotti mit ihren Ausstrahlungen, im "Krieg der Komödien" oder der Schilderung klassenloser Volksfeste nichts sehen will als "den letzten Auftritt eines überalterten Schauspielerensembles", so macht er sich selbst, nicht den Autor, zum Echo des Dekadenz-Zerrbildes, das die napoleonische Geschichtspropaganda mit beachtlicher Wirkung bis heute verbreitet hat (351f.).

Anmerkung der Redaktion:
Achim Landwehr hat auf eine Replik verzichtet.