KOMMENTAR ZU

Gerhard Wettig: Rezension von: Michael Kubina: Ulbrichts Scheitern. Warum der SED-Chef nicht die Absicht hatte, eine "Mauer" zu errichten, sie aber dennoch bauen ließ, Berlin: Christoph Links Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 3 [15.03.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/03/24493.html


Von Michael Kubina

Rezensionen sind in der Regel nicht dazu da, dem rezensierten Autor Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten. Aber es ist aus guten Gründen auch wissenschaftlicher Usus, dass nicht gerade jemand aus dem Personenkreis mit einer Rezension betraut wird, der im Zentrum der Kritik des zu rezensierenden Buches steht. Auch in den Richtlinien der sehepunkte findet sich eine entsprechende Regelung. Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung, für die ich natürlich jederzeit auch dem Rezensenten zur Verfügung stand und stehe, gibt es sinnvollere Ebenen.

Im Grunde rezensiert der Rezensent mein Buch auch kaum, stellt vielmehr den bekannten "Narrativ" seiner Publikationen gegen ein verzerrtes Bild des meinigen. Manche seiner mir unterstellten Aussagen sind schlicht das Gegenteil dessen, was im Buch gesagt wird, etwa wenn der Rezensent behauptet, ich schreibe, Ulbricht hätte den Mauerbau "veranlasst", und dann einen Widerspruch meiner Position zu der von ihm vertretenen suggerierend folgen lässt: "Nicht Ulbricht, sondern nur der Kremlchef konnte die Grenzsperrung beschließen." Nichts anderes findet sich in meinem Buch.

Leider fehlen selbst dort, wo des Rezensenten Kritik konkret wird, Seitenangaben, so dass der Leser die Aussagen des Rezensenten kaum überprüfen kann. Diese, Überprüfung erschwerende Vorgehensweise ist im Übrigen einer der wesentlichen Punkte meiner Kritik am Umgang des Rezensenten mit seinen Quellen, die ich nicht zuletzt in vier explizit quellenkritischen Exkursen im Buch ausführe. Doch davon, wie überhaupt vom Aufbau meines Buches, erfährt der Leser der Rezension nichts. Was er über den Inhalt erfährt ist grob einseitig, verzerrend und teilweise schlicht falsch, ja in der Hauptaussage gar das Gegenteil von der im Buch vertretenen Auffassung.

Ich beabsichtige nicht, jede Behauptung des Rezensenten hier richtig zustellen oder nun meinen "Narrativ" gegen den des Rezensenten zu halten. Mit allen Fragen, die der Rezensent in seiner Rezension aufwirft, setze ich mich explizit und differenziert in meinem Buch auseinander, komme aber eben zuweilen zu anderen Ergebnissen als der Rezensent in seinen Arbeiten. Pars pro toto sei hier nur eine Behauptung des Rezensenten herausgegriffen. Er schreibt: "Nachweislich unzutreffend ist die Annahme, Chruschtschow habe im März 1961 Ulbrichts Absicht zugestimmt, die Sektorengrenze zu schließen." Dies behaupte ich auch nirgends. Ich referiere nur die entsprechenden Aussagen anderer Autoren, um - an diesem wie auch anderen Beispielen ¬ - zu zeigen, wie schnell bei der extrem dünnen Quellenlage zur unmittelbaren Vorgeschichte des Mauerbaus Fehlschlüsse möglich sind (367 ff., 304 f.). Eine solche Behauptung stünde zudem in krassem Widerspruch zu meiner gesamten Argumentation zu den Entscheidungsfindungsprozessen im Frühjahr und Sommer 1961.

Abschließend bleibt nur jedem interessierten Leser zu empfehlen, das Buch selbst in die Hand zu nehmen und sich nicht von der sicherheitshalber sogar mit einer Tautologie vorgetragenen Warnung des Rezensenten abschrecken zu lassen, das Buch könne nur von einem solchen Leser mit Gewinn gelesen werden, der am Verlauf der Abwanderung "interessiert ist und die anderen Vorgänge hinreichend zu beurteilen vermag, um sie beurteilen zu können."