Von Martin Schulze Wessel, München
Die sehepunkte haben eine Rezension Klaus-Peter Friedrichs zu dem Buch von Hannah Maischein veröffentlicht. Das Buch ist 2015 als zweiter Band in der von Ulf Brunnbauer und mir herausgegebenen Reihe "Schnittstellen" erschienen.
Die Besprechung stammt von einem Autor, der durch seine eigene Doktorarbeit "Der nationalsozialistische Judenmord und das polnisch-jüdische Verhältnis im Diskurs der polnischen Untergrundpresse (1942 - 1944)", erschienen 2006 im Verlag des Herder-Instituts, einschlägig qualifiziert ist. Während es sich bei Friedrichs Studie um eine überaus gründliche historiographische Studie zur Rezeptionsgeschichte im Weltkrieg selbst handelt, ist Maischeins Arbeit dem Feld der memory studies zuzuordnen. Über den bisherigen Forschungsstand geht sie einen großen Schritt hinaus, indem sie den gesamten Zeitraum vom Zweiten Weltkrieg bis heute in den Blick nimmt und in einer Zusammenführung von bildwissenschaftlichen und geschichtswissenschaftlichen Methoden eine prägnante Interpretation des polnischen Diskurses mit seinen transnationalen Bezügen liefert. Maischein analysiert die verschiedenen Wahrnehmungspraktiken im westlichen und im polnischen Erinnerungsdiskurs. Durch diese Untersuchung verschiedener Selbst- und Fremdbilder Polens werden Gegensätze und Aporien in der Verständigung über die Shoah deutlich. Ihre Untersuchung beruht auf einem äußerst umfangreichen Fundus an visuellem Material aus Museen, Ausstellungen, und Gedenkstätten.
Friedrich referiert einige Ergebnisse der Studie Maischeins und kritisiert das Buch dann in seinen Begrifflichkeiten. Dies erfordert einen Kommentar. Friedrich schreibt:
"Nicht immer vermag die Begrifflichkeit zu überzeugen - und dies gilt schon für den sperrigen Buchtitel. Und haben wir es - wie es der Untertitel nahelegt - im besetzten Polen tatsächlich mit einer 'deutschen Judenvernichtung' zu tun? Die Rede von der 'Judenvernichtung' führt uns unnötigerweise in die Niederungen nationalsozialistischer Diktion, war das NS-Regime doch erklärtermaßen auf die 'Vernichtung des Judentums' aus. Wollte man die hier verwendeten, vermeintlich so klaren ethnischen Zuschreibungen gelten lassen, müsste man nicht mit zumindest gleicher Berechtigung von einer 'österreichischen Judenvernichtung' sprechen, da doch Österreicher in Schlüsselpositionen dafür verantwortlich waren (Adolf Hitler, Adolf Eichmann, Odilo Globocnik, Irmfried Eberl, Hermann Höfle, Ernst Lerch, Friedrich Lex, Helmut Ortwin Pohl, Franz Stangl, Albert Ulrich u.v.a.)?"
Ob man von "Judenvernichtung" sprechen sollte, darüber kann man streiten; die Argumente für und wider sind oft genannt worden. Im Hinblick auf die Systematik und Technizität des Mordens erscheint der Begriff der "Vernichtung" durchaus angemessen. Dem Rezensenten geht es jedoch vornehmlich um den Begriff der "deutschen" Vernichtung, den er in Frage stellt, weil Hitler und andere NS-Funktionäre Österreicher waren. "Vermeintlich klare ethnische Zuschreibungen", so der Rezensent, könnten nicht gelten. Wie für apologetische Texte nicht untypisch, schließt sich daran eine suggestive rhetorische Frage an: Müsste man dann nicht, so Friedrich, mit "zumindest gleicher Berechtigung" von einer "österreichischen Judenvernichtung" sprechen? Die Frage ist eindeutig zu beantworten: Man müsste es nicht - ja, man sollte es definitiv lassen. Will der Rezensent zurück zur Formulierung der 1950er Jahre, es habe sich um Verbrechen "im deutschen Namen" gehandelt? Zunächst ist es aberwitzig, eine nicht-deutsche Beteiligung an der Shoah mit dem Hinweis auf aus Österreich stammende hohe NS-Funktionäre und insbesondere nicht auf Hitler zu begründen.
Vor allem aber ist das ganze Argument schief: Auch bei Beteiligung nicht-deutscher Akteure handelte es sich doch um einen deutschen Machtapparat und daher selbstverständlich um eine deutsche Judenvernichtung oder einen deutschen Massenmord. Hinter diese Einsicht sollte die Zeitgeschichte nicht zurückfallen.
Anmerkung der Redaktion:
Klaus-Peter Friedrich hat auf eine Replik verzichtet.