STELLUNGNAHME ZU

Wolf-Rüdiger Knoll: Rezension von: Yana Milev: Das Treuhand-Trauma. Die Spätfolgen der Übernahme, Berlin: Das Neue Berlin 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 11 [15.11.2020], URL: http://www.sehepunkte.de /2020/11/34369.html

Von Yana Milev

Eine Stellungnahme der Rezensierten in 4 Stichpunkten

1. Verlag

Der Verlag Neues Berlin (VNB) ist ein Sachbuchverlag, kein Wissenschaftsverlag. Das Buch Das Treuhand-Trauma. Die Spätfolgen der Übernahme (THT), im VNB erschienen, ist ein Sachbuch, kein Wissenschaftsband.
Das rezensierte Buch THT versteht sich als erste Verdichtung auf 300 Seiten der 2017 von PD Dr. Yana Milev (YM) initiierten Forschung "Entkoppelte Gesellschaft. Liberalisierung und Widerstand in Ostdeutschland seit 1989/90. Ein soziologisches Laboratorium", die aktuell mit einer 1500-seitigen monografischen Trilogie Anschluss [1], Umbau [2], Exil [3], herausgegeben seit 2018 bei Peter Lang Internationaler Wissenschaftsverlag Berlin, vorliegt.
Ein Sachbuch erhebt keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, sondern auf breite Verständlichkeit in der Öffentlichkeit. Ein solches Anliegen signalisiert auch schon die Preisdifferenz; während das Sachbuch broschiert 18,- EUR kostet, was sich «jeder» leisten kann, sind die Wissenschaftsbände zu einem Preis zwischen 51,50 EUR (Anschluss), 88,30 EUR (Umbau) und 95,- EUR (Exil) im Angebot.

2. Stichproben

Der Rezensent, selbst Wissenschaftler und der wissenschaftlichen Methoden kundig, hätte bei seinen Stichproben vergleichend arbeiten können indem er durch unkomplizierte Recherche die Forschung von YM entdeckt und diese vergleichend in seine Beurteilung hätte einbinden können. Er hätte unschwer feststellen können, dass der Kapitelaufbau des THT in 3 Kapitel Anschluss, Umbau, Exil, exakt den Titeln der 3 Bände der monografischen Trilogie entspricht. Zu einer Klärung von Inhalten hätte hier ein Nachschlagen genügt um den geneigten Leser der Rezension darauf zu verweisen, dass detailreiche Vertiefungen zu Themen die im THT angesprochen werden, in der monografischen Trilogie vorliegen.
Allerdings wird die Tabelle der Betriebe (VEB, VEK) auch in Umbau unter der Überschrift «Liste der durch die Treuhand AG liquidierten volkseigenen Betriebe (VEB, VEK)» vorgestellt, so dass die Rezensierte dem Rezensenten an dieser Stelle Recht gibt: Obzwar alle DDR-Betriebe (VEB, VEK) durch die THA insolvent gesetzt wurden, blieb ein gewisser Bestand durch Neuerwerb erhalten und wurde saniert, bzw. modernisiert. Der mit 20% hochgerechnete Sanierungsbestand ändern nichts an dem Drama, dass der Osten die verlängerte Werkbank des Westens wurde und eine seriöse Neuetablierung der DDR-Industrie unter Einbezug der in der DDR erworbenen Fachkompetenz, flächendeckend verunmöglicht wurde.
Mit den inzwischen über 100 bei der Autorin des THT eingegangenen Leserbriefen ist ein eigenständiges Buch in Arbeit. Die Leserbriefe demonstrieren eindrücklich, dass die von der Autorin in THT beschriebenen Tatbestände und Zusammenhänge, von «Feldexperten» bestätigt werden, was gleichfalls den Effekt des THT auf der Sachbuchebene unterstreicht.

3. Gesetze 

Es ist verbürgt, dass der BRD-Staat ab 1990
a) mit über 40 Gesetzespakten in das Beitrittsgebiet einrückte unter der Bedingung der Annullierung von DDR-Verfassung (1949, 1968), DDR-Zivilgesetz (ZGB) und DDR-Strafrecht (StGB) [4].
b) Das Einrücken eines Staates heißt im Staatsrecht Staatensukzession, demgemäß sukzessionierte der BRD-Staat in das DDR-Beitrittsgebiet.
c) Die Staatensukzession von 1990 war kein staatsrechtlich paritätischer Akt da keine verfassunggebende Versammlung aller Deutschen zur Verfassungsneugründung und Staatsneugründung stattfand, wie in Art 146 GG gefordert.
d) Das Beitrittsgebiet übernahm das GG der BRD von 1949, dessen Artikel ab 1990 mit einigen Addenden angereichert und mit einer Präambel erweitert wurde.
e) Von den in das Beitrittsgebiet sukzessionierten BRD-Gesetzen sind 10% Reichsgesetze [5] zumal der wissenschaftliche Dienst des Bundestags angibt, dass die WV eine Vollständigwerdung im VRS Deutsches Reich darstellt [6].
f) Das Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (Ausfertigung) nennt sich auch Verordnungsermächtigung. Ob mir nun der Rezensent ankreidet aus Verordnungsermächtigung ein «Ermächtigungsgesetz» zu formulieren, liegt auf einer dünnen Argumentationslinie des Rezensenten.
g) Was die DDR-Bürger am 18. März 1990 gesetzlich wählten konnten sie nicht wissen, denn dies stand erst ein halbes Jahr später im Einigungsvertrag (EV). Dieser EV weist in seinen Artikeln auf eine Freisetzung von Werktätigen in Industrie, der Bahn, der Post, des öffentlichen Dienstes, wozu Einrichtungen der Wissenschaft, der Kultur, der Bildung, des Sports, des Hörfunks und des Fernsehens gehören, sowie auf eine Beschlagnahmung des volkeigenen Vermögens (VEV). Gerade das VEV war für die DDR-Bevölkerung ein Kampfpunkt in der Revolution 1989/90, nämlich dieses aus dem Besitz der DDR-Organisationen zu lösen und "dem Volk" in privatrechtlicher Anteilseignung zur Verfügung zu stellen (siehe auch Ur-Treuhand Modrow). Die Bezeichnung "Abwicklungsvertrag" ist nicht abwegig bedenkt man, dass über 4 Mio Erwerbstätige (von 9,5 Mio in 1988/90) freigesetzt wurden. Partiell Betroffene und in Beschäftigungsmassnahmen Eingebundene wurden nur zu 1/3 auf dem ersten Arbeitsmarkt wiederbeschäftigt. Bis heute wirken die massenhaften Entwertungen von Berufsbiografien nach.
Dass es sich hierbei um einen "historischen Glücksfall" handelt, wie der Rezensent meint, dem wird mit der gesamten Forschung von YM widersprochen. Es empfiehlt sich deshalb die Forschungsbände einer Rezension zu unterziehen. 

4. Personenangaben

Es bleibt nicht im Verborgenen, dass die vom Rezensenten gemachten Personenangaben zu YM diskreditierende Züge aufweisen. Der Rezensent schreibt, dass die in seiner Stichprobe begutachtete YM eine "biographische Prägung als Opfer der SED-Diktatur" als Beleg einer "vermeintlichen Unvoreingenommenheit" (gegenüber der WV) angibt. Auch wenn der Rezensent, der Rezensierten gänzlich unbekannt, sicherlich keine Untersuchungen zu ihrem biografischen Hintergrund vorgenommen hat, hätte er leicht das MDR-Werkstattgespräch [7] finden können, in dem einige biografische Fakten öffentlich gemacht wurden.
Die Autorin YM war zwischen 2009 und 2020 Research Associate am Seminar für Soziologie (SfS) der Universität St. Gallen (HSG). Dies ist eine unfinanzierte akademische Zugehörigkeit zu einem Institut gewesen, an dem sie sich 2014 habilitierte. Ansonsten hat YM das Projekt «Entkoppelte Gesellschaft» auf der von ihr gegründeten Plattform AGIO | Gesellschaftsanalyse + Politische Bildung ohne staatliche Forschungsförderung und ohne Stellenbesetzung, aus eigenen Honorar- und Drittmitteln etabliert.

Anmerkungen:

[1] Yana Milev, Entkoppelte Gesellschaft - Ostdeutschland seit 1989/90, Band 1: Anschluss, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Berlin, 2018
[2] Yana Milev, Entkoppelte Gesellschaft - Ostdeutschland seit 1989/90, Band 2: Umbau, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Berlin, 2019
[3] Yana Milev, Entkoppelte Gesellschaft - Ostdeutschland seit 1989/90, Band 3: Exil, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Berlin, 2020
[4] Tabelle der einrückenden Gesetze des Kernstaates in das Beitrittsgebiet zwischen 1990 und 1994, chronologisch per Ausfertigung ab 18. März 1990, in: Yana Milev, Entkoppelte Gesellschaft - Ostdeutschland seit 1989/90, Band 2: Umbau, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Berlin, 2019, S. 126-136.
[5] Manfred Görtemaker, Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium für Justiz und die NS-Zeit, Schriftenreihe (BD. 10076), Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2017
[6] Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich, 30.05.2015, In: https://www.bundestag.de/webarchiv/Presse/hib/2015_06/380964-380964, Stand vom 06. Februar 2021
[7] Forschungsgebiet Ostdeutschland: Yana Milev. Eine MDR KULTUR Werkstatt von Katrin Wenzel, MDR Kultur, 06.10.2020, In: https://www.mdr.de/kultur/radio/ipg/sendung-596544.html, Stand vom 06. Februar 2021


Anmerkung der Redaktion: Wolf-Rüdiger Knoll hat auf eine Replik verzichtet.