STELLUNGNAHME ZU

Heike Amos: Rezension von: Grit Bühler: Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen (1945-1949), Frankfurt/M.: Campus 2022, in: sehepunkte 23 (2023), Nr. 3 [15.03.2023], URL: https://www.sehepunkte.de/2023/03/37813.html

Von Gerhard Lechleitner

In der Rezension wird ausgeführt:

"In der Verfassung von 1949, Artikel 7, wurde die Gleichberechtigung verankert: "Mann und Frau sind gleichberechtigt." Weichenstellend war der dann folgende Satz: "Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben." Im Grundgesetz der Bundesrepublik von 1949 stand in Artikel 3 ebenfalls die Formulierung: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", jedoch fehlte der Zusatz."

Letzteres ist falsch!

Artikel 117 Absatz 1 des Grundgesetzes lautet schon in seiner Fassung von 1949: "Das dem Artikel 3 Absatz 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953." Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 18. Dezember 1953 - 1 BvL 106/53 - BVerfGE 3, 225 entschieden und als Leitsatz festgehalten: "Seit dem Ablauf des in Art. 117 Abs. 1 zweiter Halbsatz GG gesetzten Frist, sind Mann und Frau auch im Bereich von Ehe und Familie gleichberechtigt."

Die DDR-Verfassung hatte mit dem zweiten Satz von Artikel 7 nur einen zeitlichen Vorsprung von ca. 3 1/2 Jahren gegenüber dem Grundgesetz, aber ansonsten bestand kein wesentlicher Unterschied der Rechtslage. Welche Gesetze und Bestimmungen der Gleichberechtigung konkret entgegenstanden, konnte die DDR-Verfassung ebenso wie das Grundgesetz nicht in einem einzigen Satz festhalten. Solange der einfache Gesetzgeber eine Norm nicht ausdrücklich geändert hatte, mussten letztlich die Gerichte entscheiden, ob eine Norm nach diesem Maßstab noch anzuwenden war oder nicht, wie das Bundesverfassungsgericht in der Urteilsbegründung ausführt: "Auch der Anwendung von Art. 3 Abs. 2 GG hat sich die große Mehrzahl der Gerichte mit dem Ablauf der in Art. 117 Abs. 1 GG gesetzten Frist nicht verschlossen. Vielmehr ist in den seit dem Fristablauf verstrichenen acht Monaten schon eine umfangreiche Judikatur entstanden." (BVerfGE 3, 225 ff., 244)

Dass die Verfasserin des rezensierten Werks nicht erfasst habe, "was dieser zweite Verfassungssatz für die DDR-Frauen bedeutete.", ist mindestens eine gewagte Behauptung. Die Gerichte, die im Streitfall letztlich die Unvereinbarkeit einer Norm mit der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung feststellen mussten, waren in der Bundesrepublik unabhängig, in der DDR nicht.



REPLIK


Von Heike Amos

Grundsätzlich wiederhole ich:
In der Verfassung der DDR von 1949, Artikel 7, wurde die Gleichberechtigung festgeschrieben: "Mann und Frau sind gleichberechtigt." Weichenstellend war der dann folgende Verfassungssatz: "Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben."[1] In der Bundesrepublik stand im Grundgesetz von 1949 in Artikel 3, Satz 2 ebenfalls die Formulierung - "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."[2] In Westdeutschland fehlte jedoch dieser Zusatzsatz, und so blieben im Widerspruch zum Gleichstellungsgrundsatz stehende Gesetze und Rechtsnormen noch jahrzehntelang gültig. Erst 1976 fielen die letzten Rechtsnormen, die die bundesdeutschen Frauen im Ehe- und Familienrecht benachteiligten.[3] In der DDR wurde die Gleichstellung von Mann und Frau in Ehe und Familie gesetzlich im September 1950 fixiert - 25 Jahre früher als in der BRD.[4]

Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass die Autorin Grit Bühler die Bedeutung des zweiten Satzes im DDR-Verfassungsartikel zur Gleichberechtigung der Frau nicht voll erfasst hat.

Anmerkungen:
[1] GBl. der DDR 1949, S. 6.
[2] Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, 23. Mai 1949, in: BGBl. 1949, S. 1.
[3] Vgl. Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts, 14. Juni 1976, in: BGBl. 1976, I, S. 1421; Gisela Helwig, Frau und Familie in beiden deutschen Staaten, Köln 1982, S. 48. Vergleiche auch das sogenannte Lehrerinnenzölibat:  nach 1949 blieb die Benachteiligung von Lehrerinnen in Kraft. Denn noch 1950 beschloss der Bundestag ein Beamtengesetz mit benachteiligenden Sonderbestimmungen für weibliche Beamte, unter anderem die Verbeamtung von Frauen erst mit 35 und die Möglichkeit, wirtschaftlich abgesicherte verheiratete Beamtinnen zu entlassen. Selbst das Grundgesetz habe 1949 kein Ende der Diskriminierung von Lehrerinnen gebracht. Elisabeth Selbert, die schon den Gleichberechtigungsgrundsatz hart erkämpft hatte, hatte sich weiter vehement für die Gleichberechtigung einsetzen müssen. Zuletzt abgeschafft worden ist das Lehrerinnenzölibat schließlich 1956  im sehr konservativen Baden-Württemberg. Und das Bundesarbeitsgericht erklärte mit Urteil vom 10. Mai 1957, dass eine Zölibatsklausel in Arbeitsverträgen wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 1, 2 GG generell verfassungswidrig und damit nichtig sei.
[4] Vgl. Gesetz über den Mutter und Kinderschutz und die Rechte der Frau, 27. September 1950, GBl. der DDR 1950, S. 1037.