Rezension über:

Eberhard Czichon: Deutsche Bank - Macht - Politik. Faschismus, Krieg und Bundesrepublik, Köln: PapyRossa 2001, 323 S., ISBN 978-3-89438-219-3, DM 36,20
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Rezension von:
Harald Wixforth
Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Harald Wixforth: Rezension von: Eberhard Czichon: Deutsche Bank - Macht - Politik. Faschismus, Krieg und Bundesrepublik, Köln: PapyRossa 2001, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 1 [15.01.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/01/1418.html


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Eberhard Czichon: Deutsche Bank - Macht - Politik

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Manche Historiker halten über Jahrzehnte hinweg an ihrer Sicht der Dinge fest. Man kann diese Haltung als aufrechte Standhaftigkeit bezeichnen, aber auch als ein gewisses Maß an Ignoranz gegenüber neuen Quellenfunden oder Ergebnissen anderer Fachkollegen. Nach der Lektüre des neuen Buches von Eberhard Czichon über die Deutsche Bank und ihr Machtpotential in der deutschen Gesellschaft ist es durchaus zweifelhaft, ob der Autor nur der Gruppe der Standhaften zuzurechnen ist.

Offenbar ist es das Ziel des Kölner PapyRossa-Verlages, jeweils parallel zu grossen Veröffentlichungen über die Geschichte der Deutschen Bank eine Alternative zu den vom Institut selbst in Auftrag gegebenen Studien auf den Markt zu bringen. Dies war bereits anlässlich der 1995 erschienenen Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der Deutschen Bank der Fall, als Czichon sein Buch "Die Bank und die Macht" (Köln 1995) publizierte. Jetzt wiederholt sich das Szenario: Kurz nach dem Erscheinen des Buches von Harold James "Die Deutsche Bank und die Arisierung" brachte Czichon sein oben angezeigtes Buch über den Branchenprimus der deutschen Kreditwirtschaft heraus. Pluralität und alternative Sichtweisen sind sicherlich auch in der Geschichtswissenschaft begrüßenswert, doch müssen sie dazu führen, dass in der Forschung insgesamt ein Erkenntnisgewinn erzielt wird. Bei dem vorliegenden Buch ist dies jedoch nicht klar erkennbar.

Czichons Botschaft ist auch diesmal die gleiche wie in seinen bisher publizierten Werken: Ihm geht es erneut vor allem darum, die Person von Hermann Josef Abs zu diskreditieren, weniger um eine genaue und an hohen wissenschaftlichen Standards orientierte Aufarbeitung der Rolle, welche von der Deutschen Bank in der Kreditwirtschaft des nationalsozialistischen Regimes und der frühen Bundesrepublik gespielt wurde. Auch diesmal muss die längst verstaubte Monopolgruppen-These als theoretisches Instrumentarium herhalten, um den "Aufstieg" der Deutschen Bank und ihre "unangefochtene Spitzenposition in der NS-Kreditwirtschaft" zu erklären. Mit entscheidend für den Aufstieg des Geldinstituts sind auch diesmal nach Czichons Meinung weniger komplexe Entscheidungsfindungsprozesse und diverse strategische Überlegungen im Vorstand der Deutschen Bank gewesen, sondern vor allem die Findigkeit von Abs, das Geldhaus unter Ausnutzung jeder sich bietenden geschäftlichen Möglichkeit durch die Zeit der NS-Herrschaft zu lavieren. Auch diesmal schreckt der Autor nicht davor zurück, auf der Grundlage des ihm zur Verfügung stehenden Quellenmaterials in einigen Kapiteln, wie dem über die Expansion der Deutschen Bank nach Österreich, in das Sudetenland und das Protektorat Böhmen und Mähren, aber auch über ihre Rolle als Finanzier des Baues von Baracken und Produktionsanlagen im Konzentrationslager Auschwitz krude Schlussfolgerungen zu ziehen. Seine Ansicht, dass zum Beispiel die Deutsche Bank im Rahmen der Umgestaltung der sudetenländischen Kreditwirtschaft von vornherein nur Interesse für die Böhmische Union-Bank als Übernahmeobjekt gezeigt habe, dass ihre Verhandlungen mit der Böhmischen Escompte-Bank und Kreditanstalt dagegen nur eine Finte gewesen sei, um die Dresdner Bank zu täuschen, lässt sich auf der Grundlage des jetzt verfügbaren Quellenmaterials durch nichts belegen. Czichons Schlussfolgerung, angesichts der Kreditvergabe der Deutschen Bank und ihrer Filialen an Firmen, die am Bau des Konzentrationslagers Auschwitz beteiligt waren, könne man zu der Meinung kommen, "beim Bankenvorstand hätte es sich um eine kriminelle Vereinigung handeln können" (206), mutet ebenfalls sehr befremdlich an. Bisher hat die Forschung noch in keiner Weise und plausibel die Zuständigkeiten, den Kenntnisstand und den Informationsfluss innerhalb der Deutschen Bank und ihrer Filialen bei der in Rede stehenden Kreditvergabe klären können. Die Strategieplanung und die Handlungsspielräume der Deutschen Bank, das komplexe Verhältnis von Kreditwirtschaft und Politik, die Hilfestellung und die tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten der Banken bei der "Arisierung" - alle diese wichtigen Fragen, die gegenwärtig von der Forschung zur Rolle der Banken im NS-Wirtschaftssystem den Gegenstand von zahlreichen Diskussionen bilden, werden von Czichon einseitig behandelt und im Sinne einer Generalanklage gegen Abs als einem der wichtigsten Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank beantwortet. Nicht überraschend ist, dass Czichon an seiner Interpretation der Geschichte der Deutschen Bank auch für die Zeit der Bundesrepublik festhält und auch hier Abs als einen fast allgegenwärtigen "Drahtzieher" auf den Bühnen der Politik und Wirtschaft ausmacht.

In seinem Schlusskapitel frohlockt Czichon, dass nach dem Ende des "kalten Krieges" in der bundesdeutschen interessierten Öffentlichkeit ebenso wie in der historischen Forschung eine andere und differenzierte Bewertung der Person von Abs zu konstatieren sei als vor rund dreissig Jahren. Dies mag richtig sein, blickt man auf die aktuelle und kontrovers geführte Diskussion über seine Rolle im "Arisierungsgeschäft" der Deutschen Bank in den besetzten Gebieten. Dennoch: Czichons neues Buch leistet kaum einen Beitrag, um die Rolle der Banken im Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus erfassen, aber auch die Frage nach der Verantwortung der führenden Bankiers für begangenes Unrecht in dieser Zeit zufriedenstellend beantworten zu können.

Harald Wixforth