Rezension über:

Ralf Pröve: Stadtgemeindlicher Republikanismus und die "Macht des Volkes". Civile Ordnungsformationen und kommunale Leitbilder politischer Partizipation in den deutschen Staaten vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 159), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 580 S., 8 Abb., 25 Tab, ISBN 978-3-525-35475-9, EUR 58,00
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Rezension von:
Frank Göse
Historisches Institut, Universität Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Frank Göse: Rezension von: Ralf Pröve: Stadtgemeindlicher Republikanismus und die "Macht des Volkes". Civile Ordnungsformationen und kommunale Leitbilder politischer Partizipation in den deutschen Staaten vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 2 [15.02.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/02/2932.html


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Ralf Pröve: Stadtgemeindlicher Republikanismus und die "Macht des Volkes"

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Bereits der Titel der hier zu besprechenden Studie deutet einen interessanten Zugang zu einer Thematik an, zu der es gewiss nicht an Literatur mangelt. Den Spuren eines "städtischen Republikanismus" nachzugehen, regte besonders in den letzten Jahren die Forschung immer wieder an. Ralf Pröve brachte nun diese Problematik in Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Bereich, der zunächst nicht auf eine solche Verbindung verweisen mochte.

Den Verfasser hatte das in den Quellen zu Tage tretende, häufig widersprüchliche Erscheinungsbild von Bürgerwehren im ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angeregt, sich diesen Formationen wissenschaftlich zu nähern. Diese Ambivalenz zeigte sich zum einen in ihrer Funktion als ordnungsstiftendes Instrument in den Händen des wohlhabenderen Stadtbürgertums - gerade während der bekanntlich auch auf soziale Widersprüche zurückgehenden Unruhen der 1830er-Jahre oder der Revolution von 1848/49 wurde dies in aller Brisanz deutlich. Zum anderen aber fungierten die Bürgerwehren auch als "bewaffneter Arm der Revolution", als "Verfassungsschutz und Kontrahent des Stehenden Heeres" (14). Wegen der variierenden Bezeichnungen (Bürgerwehren, Bürgergarden, Communalgarden, Schützengilden) wählte Pröve als Arbeitsterminus den Begriff "civile Ordnungsformationen".

Eine wissenschaftliche Zuwendung zu diesen Institutionen erschien vor allem auch deshalb angebracht, da die Thematik bislang eher im Sinne von "Traditionspflege" angelegt und durch Vertreter dieser Organisationen selbst bearbeitet worden war. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der vorliegenden Darstellung steht nicht die organisationsgeschichtliche Analyse der Bürgerwehren, sondern ihre Einbindung in die zahlreichen Konflikte und Umbrüche einer Epoche, die in der Forschung zwar unter dem gängigen Begriff "Sattelzeit" diskutiert, dennoch aber immer noch zu stark durch die beliebten Zäsuren 1789 beziehungsweise 1806 geprägt wird.

Doch die Erforschung der Leitbilder der "civilen Ordnungsformationen" konnte hinreichend nur durch einen Ansatz in Angriff genommen werden, der diese Zäsuren überspringt. Die Zuwendung zu den bewaffneten Organisationen des Bürgertums als Möglichkeit, innovatives Neuland bei der Bürgertumsforschung betreten zu können, erwuchs aus der Überlegung Pröves, dass die "civilen Ordnungsformationen" als "empfindlicher Seismograf" (32) für die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen die Stadtgemeinden standen, fungiert haben. Die Motivationen und Handlungsspielräume der sogenannten "schriftlosen" Bürger gewinnen somit schärfere Konturen als diejenigen der zwar durch zahlreiche Denkschriften, Reden und Proklamationen wirkenden, dennoch aber nur eine vergleichsweise kleine Gruppe darstellenden liberalen Politiker. Denn die Ordnungsformationen reflektierten in ihrer sich zunehmend auch nach "unten" öffnenden Zusammensetzung die soziale Struktur der städtischen Gesellschaft.

Bekanntlich beschäftigt sich die historische Forschung seit langem mit solchen Ansätzen, die mit Stichworten wie "Republikanismus", "Kommunalismus", "Gemeindeliberalismus" et cetera beanspruchen, den Weg des deutschen Stadtbürgertums in die "Moderne" fassen zu können. Pröve greift diese Diskussion auf und erprobt in seiner Studie die Kombination eines ideen- und sozialgeschichtlichen Ansatzes. Denn zu Recht bemängelt er die in der bisherigen Forschung zumeist getrennt vorgenommene Bearbeitung der Themenfelder "Liberalismus" und der eher sozialgeschichtlich angesiedelten "Bürgertums"-forschung.

Im ersten Kapitel seiner Studie gibt der Autor einen kompetenten Überblick über die ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Umbrüche der "Sattelzeit". Verdienstvoll erweist sich dabei die Hinwendung zu den kleinen und mittleren Städten der Untersuchungsgebiete des Autors (Kurhessen und die Gebiete der 1815 gebildeten Provinz Brandenburg; zum punktuellen Vergleich wurden auch mecklenburgische und thüringische Städte hinzugezogen). Mit Bedacht verzichtet er deshalb im weiteren Verlauf seiner Darstellung darauf, Wirksamkeit und Selbstverständnis der Bürgergarden an dem sicher faszinierenden Beispiel Berlins eingehend zu untersuchen, das in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall darstellte. Denn trotz durchaus ermunternder Ansätze in den letzten Jahren bleibt immer noch ein erheblicher Abstand in der wissenschaftlichen Aufarbeitung zwischen den großen Metropolen und Reichsstädten einerseits und den Kleinstädten andererseits zu beklagen. Doch gerade die Lebenswelten der kleinen und mittleren Städte, die oftmals mit Attributen wie "rückwärtsgewandt" bedacht wurden, eignen sich für die hier verfolgte Thematik.

Die von Pröve eingehend diskutierten Modelle von "Gemeindeliberalismus" und "Stadtrepublikanismus" lassen sich, so die im weiteren Gang seiner Darstellung überprüfte These des Autors, gerade am Beispiel dieser - durch eine Vielzahl kleiner Kommunen geprägten - Städtelandschaften diskutieren. Zugleich kann Pröve damit die in der Literatur häufig anzutreffende Sicht, der zufolge die Stadtgemeinden der "rigiden landesherrlichen Staatsbildung" zum Opfer gefallen seien und es demzufolge keine Bestrebungen nach "politischer Partizipation, nach autonomer Selbstverwaltung" gegeben habe, korrigieren (22). Obwohl diese Tour d'Horizon weit ausholt und Pröve kompetent den jetzigen Forschungsstand wiederzugeben bemüht ist, verliert er dabei nie seine zentrale Fragestellung aus dem Blick. Schließlich erweisen sich die Diskussionen um Bürgersinn und Gemeindegeist, die Debatten um die Stellung des Grundbesitzes als Kriterium für die Partizipation am politischen Leben oder das Verhältnis zwischen Stadtgemeinden und staatlichen Obrigkeit auch für die Bestimmung des Platzes der Ordnungsformationen und ihrer inneren Strukturen als relevant.

Im Anschluss versucht der Verfasser sowohl die Diskussionen zum Begriff "Volksbewaffnung" zu rekonstruieren als auch den Grad der kommunalen Selbstverwaltung im Untersuchungszeitraum auszuloten. Die Verknüpfung dieser beiden Aspekte in einem Kapitel mag verwundern. Doch die im Zusammenhang der "Volksbewaffnung" geführten Auseinandersetzungen, die ja zugleich einen Anspruch auf politische Mitsprache deutlich werden ließen, verweisen natürlich auf die künftige Stellung der Bürger und ihrer Gemeinwesen im jeweiligen Staatswesen. Pröve kann herausarbeiten, dass der Diskurs um die "Volksbewaffnung" im untersuchten Zeitraum einen hohen Stellenwert in der bürgerlichen Öffentlichkeit eingenommen hatte. Die Erfahrungen in und mit den Bürgerwehren beziehungsweise -garden beeinflussten in nicht geringem Maße den Prozess der Demokratisierung innerhalb der städtischen Gesellschaften.

In den folgenden beiden Kapiteln wendet sich Pröve den konkreten Ordnungsformationen in seinen Untersuchungsgebieten zu. Am Beispiel Brandenburgs wird die Wirksamkeit der Bürgergarden nach der Katastrophe von 1806 dargestellt, als diese Formationen gleichsam ein Machtvakuum ausfüllen mussten. Das Beispiel Kurhessen stand für eine weitere Periode der Entwicklung der Ordnungsformationen, als deren widersprüchliche Stellung im Umfeld der Verfassungskämpfe der frühen 1830er Jahre offensichtlich wurde. Einerseits fungierten sie als Sicherung gegen die Artikulationen aufbegehrender Unterschichten, anderseits riefen diese an den liberalen Vorstellungen orientierten Formationen schon bald das Misstrauen der konservativen Kräfte hervor.

Eine brisante Zuspitzung der zuletzt genannten Problematik zeigte sich schließlich in der Revolution von 1848/49. Die eingangs benannte Doppelfunktion (ordnungsstiftende Institution oder Verfassungswacht) trat hier in besonderer Deutlichkeit hervor, denn in keiner der von Pröve untersuchten Formationen war die Beschränkung auf eine der beiden Wirkungsmöglichkeiten zu erkennen. Nach einer Behandlung der Schützengilden als Sonderfall "civiler Ordnungsformationen" resümiert Pröve seine Ergebnisse in einem umfangreichen Schlusskapitel, indem er die Bedeutung der "civilen Ordnungsformationen" für die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft konzise zusammenfasst.

Bei aller Zustimmung zu dem durch Pröve gewonnenen zentralen Befund, dass die "civilen Ordnungsformationen "eine fundamentale Politisierung der städtischen Bevölkerung" (478) bewirkt hatten, drängt sich allerdings mitunter der Eindruck einer gewissen Überbetonung ihrer Bedeutung auf. Doch dürften erst Untersuchungen hierüber genaueren Aufschluss vermitteln, die die Gewichtung anderer Erfahrungsräume und Artikulationsmöglichkeiten der Stadtbevölkerung in der Umbruchperiode im Vergleich zu den Ordnungsformationen analysieren. Dass die Erforschung dieser Institutionen aber in wesentlich deutlicherem Maße auch der Stellung der "schriftlosen" Stadtbewohner im Prozess der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft Konturen zu geben vermochte, stellt das große Verdienst der Studie von Ralf Pröve im Vergleich zu anderen Darstellungen zur Entwicklung der deutschen bürgerlichen Gesellschaft dar.

Als den guten Gesamteindruck dieser Studie noch befördernder Aspekt ist auch die Thematisierung der Volksbewaffnung und der stadtbürgerlichen Lebenswelt in Kunst und Kultur (Dramen, Gedichte, Karikaturen) hervorzuheben. Ein Personen- und Ortsregister dürfte den Zugang insbesondere auch für den landeshistorisch interessierten Leser - auch noch über die hier behandelte Fragestellung hinaus - erleichtern.

Frank Göse