Rainer Budde / Roland Krischel (Hgg.): Genie ohne Namen. Der Meister des Bartholomäus-Altars, Köln: DuMont 2001, 552 S., 240 Farb- und 150 s/w-Abb, ISBN 978-3-7701-5299-5, EUR 68,00
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Das vorliegende Buch wurde von Roland Krischel als Katalog für die gleichnamige Ausstellung im Wallraf-Richartz Museum, Köln, konzipiert. Es handelt sich hierbei zugleich um ein umfassendes Handbuch zum Werk und zum Wirken eines bedeutenden Künstlers, der heute unter dem Notnamen Meister des Bartholomäusaltars geführt wird. Dieser Umstand erklärt, warum sich im Katalogteil (251-559) zahlreiche Objekte befinden, die während der Ausstellung nicht zu sehen waren. Die 24 wissenschaftlichen Aufsätze im ersten Teil dieser Publikation (13-250) verdeutlichen, worum es dem Ausstellungsleiter in diesem Forschungsprojekt ging. Ausgehend von dem reichen Bestand an Gemälden im eigenen Haus (Katalog Nummer 51, 60, 62, 82, 123) sollten für die Ausstellung möglichst viele Werke aus der ganzen Welt in Köln zusammengeführt werden, um nach einer gründlichen Bestandsaufnahme und einer Untersuchung mit moderner Museumstechnologie zu einer Neubewertung des nur unklar definierten Œuvres dieses Meisters zu gelangen. Es ist unbestreitbar ein Verdienst dieses Projektes, dass man sich über die rein kunsthistorischen Betrachtung des Falles hinaus um Interdisziplinarität bemüht und einige wichtige Nachbardisziplinen miteinbezogen hat. Während sich die meisten Beiträge direkt auf den Meister des Bartholomäusaltars konzentrieren, untersuchen einige Aufsätze das weitere Umfeld oder analysieren vergleichbare Phänomene in anderen Städten. Durch die Einbeziehung der politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse in und um Köln (Toni Dietrich, 65-73; Gunther Hirschfelder, 74-81), sowie die aufschlussreichen Betrachtungen zur Netzwerkanalyse (Wolfgang Schmid, 52-64) und zur zeitgenössischen Zunftordnung/ Werkstattpraxis (Iris Schaefer, 108-116) bietet dieses Handbuch interessante Einblicke in das spätmittelalterliche Leben der Handelsmetropole Köln. Leider bringt der Titel diese methodische Vielfalt nicht genügend zum Ausdruck.
Der Aufsatzteil ist in vier Teilbereiche gegliedert: "Person und Künstler" - "Köln und der Niederrhein um 1500" - "Maltechnik und Werkstattbetrieb" - "Realien im Werk des Bartholomäusmeisters". Der maltechnischen Analyse wird hierbei von allen Unterpunkten der meiste Platz eingeräumt (117-193).
Die ersten beiden Aufsätze (Roland Krischel, 12-25; Kemperdick/Weniger, 26-43) beschäftigen sich eingehend mit der Forschungsgeschichte und dem noch existierenden Denkmalbestand, um dem schwierigen Problem der Herkunft und des Werdegangs des Meisters auf den Grund zu gehen - eine Frage, die völlig ohne archivalische Zeugnisse auskommen muss. Der dritte Aufsatz von Joachim Gaus (44-51) wendet sich der ikonografisch-theologischen Analyse des Thomas-Altars, eines Hauptwerks im Besitz des Wallraf-Richartz Museums, zu.
Der unvoreingenommene Leser stellt mit Verwunderung fest, dass Krischel und Kemperdick/Weniger in der Frage der Lokalisierung zu unterschiedlichen Positionen gelangen. Krischel, der den persönlichen Stil des Malers in seinem Beitrag auf sensible Art charakterisiert, ist der Meinung, dass der Meister des Bartholomäus-Altars aus den nördlichen Niederlanden (Utrecht?) stammt, dort ausgebildet wurde und die Stadt Köln möglicherweise sogar aus der Ferne belieferte. Kemperdick und Weniger vertreten hingegen den Standpunkt, dass der Meister nicht nur in Köln lebte und arbeitete, sondern auch dort ausgebildet wurde - eine These für die stilistische und technische Argumente (Unterzeichnung, Einfluss Lochners, et cetera) herangezogen werden. Wie Krischel betonen auch diese beiden Autoren, dass der Meister wesentlich aus dem Fundus der südniederländischen Malerei geschöpft hat und somit sowohl Stephan Lochner wie Rogier van der Weyden verpflichtet ist. Es bleibt dem Leser überlassen, aus der Diskrepanz zwischen diesen beiden Beiträgen seine eigenen Schlüsse zu ziehen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob jene Meinungsverschiedenheiten wirklich von gravierender Bedeutung für das Verständnis der hier behandelten Objekte sind. Vielleicht geht durch die Konzentration auf die Problematik "Utrecht oder Köln?" sogar eine viel interessante Dimension seiner Vita verloren. Hier sei auf die Ausstellung Jan van Eyck und seine Zeit. Flämische Meister und der Süden, 1430-1530 (Brügge, Groeningemuseum,15. März-30. Juni 2002) verwiesen, die einen ganz anderen Weg beschreitet. Das von Till-Holger Borchert konzipierte Projekt handelt von der künstlerischen Durchdringung verschiedener europäischer Kunstlandschaften und untersucht die weite Verbreitung frühniederländischer Malerei bis nach Portugal, Neapel, Spanien, Italien und Südfrankreich. Bei der Mobilität spätmittelalterlicher Künstler ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich Malstile, Bildmotive und Techniken vermischen und es zu hybriden Karrieren kommt, die eine eindeutige räumliche Zuordnung gelegentlich schwierig machen. In diesen europaweiten Kontext gestellt wirkt der niederrheinische Kulturraum, der politisch und wirtschaftlich aufs engste miteinander verknüpft war, geradezu intim (Hirschfelder, 79). Dieser räumliche Zusammenhang wird auch durch Reinhard Karrenbrocks Betrachtungen zur niederrheinischen und kölnischen Kultur im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts näher beleuchtet (92-107). Martin Kirnbauers Beitrag aus dem Bereich der Musikwissenschaften betrachtet das Zusammenwirken von realer und imaginärer Musik in zeitgenössischen Bildwerken (82-91).
Im dritten Teil der Aufsatzsammlung wird für den Meister des Bartholomäusaltars geleistet, was für die führenden Maler der frühniederländischen Malerei bereit lange praktiziert wird: die Analyse der wichtigsten Tafeln mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln. Nur wenn solche Forschungserkenntnisse vorliegen, kann man zuverlässige Aussagen über die Behandlung des Untergrunds, den Stil der Vorzeichnung, den Auftrag der Malschichten, et cetera machen und darauf aufbauend Rückschlüsse auf die Werkstattpraxis eines Meisters ziehen. Iris Schaefer und ihre Kollegen vom Wallraf-Richartz Museum haben den namensgebenden Bartholomäus-Altar einer solchen umfassenden Analyse unterzogen (117-137). Sie weisen ausdrücklich auf den Eklektizismus des Meisters bei der Wahl seiner Malmittel hin. Der Beitrag von Oltrogge, Hahn und Fuchs ist insofern hilfreich, als er die naturwissenschaftlichen Grundlagen für einen weiterführenden Vergleich zwischen Tafel- und Buchmalerei schafft, ohne die technischen Ergebnisse allerdings selbst auszuwerten (138-139). Hier wird der Forschungscharakter des Handbuchs deutlich, das dem Leser die Erkenntnisse moderner Analysetechniken zur weiteren Verwendung zur Verfügung stellt. Auch der Beitrag von Denise Allan und Yvonne Szafran versucht, einen Brückenschlag zwischen den zwei Medien herzustellen, in denen der Meister des Bartholomäusaltars gearbeitet hat (142-150). Die Untersuchungen Ulrike Nürnbergers liefern neue Ergebnisse zu den Unterzeichnungen des Meisters und erweitern unser Verständnis seines Zeichenstils und seiner Werkstattpraxis (151-161). Auch der Beitrag Ingo Sandners liefert weitere Informationen zu diesem Themenkomplex (162-173).
Die nächsten beiden Beiträge beschäftigen sich mit dem Kolorismus des Meisters und der für ihn typischen Bearbeitung des Goldgrunds (Jürgen Bleibler, 174-178; Annette Willberg, 179-185). Zum Spektrum der technischen Analyse gehören selbstverständlich auch dendrochronologische Daten, die Peter Klein und Alexandra Melster erarbeiten (186-193).
Das letzte Segment des Aufsatzteils wendet sich den Realien im Bild zu, das heißt den kostbaren Stoffen (Barbara Beaucamp-Markowsky, 194-202), Kostümen (Regina Urban, 203-212), Rüstungen (Matthias Pfaffenbickler/ Marcus Mrass, 213-221), Skulpturen (Michaela Krieger, 222-239) und Musikinstrumenten im Bild (Martin Kirnbauer, 240-250). Dieser Interessenschwerpunkt wurde auch in der Ausstellung aufgegriffen. Anders als in der kürzlich gezeigten Ausstellung zur oberrheinischen Kunst (Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle) wurden zweidimensionale Kunstgegenstände (Malerei, Buchmalerei, Grafik, Glasmalerei, Gravierungen) in Köln durch Skulpturen und kunsthandwerkliche Gegenstände verschiedenster Art wie Kronen, Siegel, Weihrauchgefäße, Paramente, et cetera ergänzt - vielleicht ein Versuch, die Malerei zumindest vorübergehend aus ihrer musealen Isolation zu befreien.
Der zweite Teil des Handbuches besteht aus 154 Nummern und widmet jedem Objekt in demokratischer Weise zwei Katalogseiten (Text links, Farbbild rechts), ganz gleich, ob es sich um ein Hauptwerk oder um ein Vergleichsstück handelt. Kleine Objekte und Bildfragmente kommen auf diese Weise gut zur Geltung. Größere Objekte wie der Kreuz-Altar (Katalog, 62) und der Thomas-Altar (Katalog, 82) werden hingegen stark verkleinert wiedergegeben und sind nicht in allen Details gut lesbar. Dies tut allerdings der Tatsache keinen Abbruch, dass hiermit endlich ein farbiges Nachschlagwerk zum Werk dieses wichtigen Meisters vorliegt. Im Katalogteil fällt in besonderer Weise auf, wie stark der Utrechter Raum durch illuminierte Handschriften, druckgraphische Wiedergaben und Skulpturen vertreten ist. Hier spiegelt sich das zu Anfang geschilderte Bestreben Krischels wieder, die Verankerung des Meisters im nordniederländischen Raum nachzuweisen.
Neil MacGregor bezeichnete den Meister des Bartholomäusaltars 1993 als "Opfer der Anonymität". Wenn auch die Identität dieses Malers nicht gelüftet werden konnte, so hat die Ausstellung und das dazugehörige Handbuch doch ganz wesentlich dazu beigetragen, dem "Genie ohne Namen" ein bleibendes Denkmal zu setzen und seine künstlerische Persönlichkeit deutlicher hervortreten zu lassen, als dies bisher der Fall war. Das Handbuch vermittelt auf weite Strecken hinweg die Ergebnisse erster Grundlagenforschung und fordert die Fachwelt dazu auf, dieses neu gewonnene Wissen in einen breiteren kunst- und kulturhistorischen Kontext zu stellen. Der ästhetische Archaismus und das Spiel mit Zitaten nach berühmten Kunstwerken sind um 1500 kein Einzelphänomen. Welche Rolle hierbei der Meister des Bartholomäusaltars spielt, bleibt noch zu beantworten.
Dagmar Eichberger