Matthias Schröder: Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942-1945. "Russland kann nur von Russen besiegt werden: Erhard Kroeger, Friedrich Buchardt und die Russische Befreiungsarmee", Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001, 256 S., 8 S. Bildteil, ISBN 978-3-506-77520-7, EUR 30,60
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Gert von Pistohlkors / Matthias Weber (Hgg.): Staatliche Einheit und nationale Vielfalt im Baltikum. Festschrift für Prof. Dr. Michael Garleff zum 65. Geburtstag, München: Oldenbourg 2005
Unabhängig von der im Auftrag der Baltischen Historischen Kommission seit Mitte der 1990er-Jahre von Michael Garleff geleiteten Initiative [1] hat sich in Münster unter Hartmut Rüß ein Kreis von jungen Historikern zusammengefunden, in dem die vorliegende Dissertation zum lange vernachlässigten Thema Deutschbalten und Nationalsozialismus entstanden ist. Sie behandelt mit den Lebensläufen der aus Riga stammenden Erhard Kroeger (*1905) und Friedrich Buchardt (*1909) zwei typische Karrieren junger Deutschbalten, die zunächst der "Bewegung" in ihrer Heimat angehörten und dann in der SS dienten. Ihr übergeordnetes Thema findet diese Studie jedoch in dem spezifischen Beitrag, den unter anderen Kroeger und Buchardt im Rahmen der NS-Ostpolitik geleistet haben. Anders als ihr estländischer Landsmann Alfred Rosenberg setzten sie auf ein starkes, gegen Stalin kämpfendes Russland unter der Führung des ehemaligen sowjetischen Generals Andrej Vlasov.
Dem Aufbau der Studie ist es geschuldet, dass sie sich wie drei voreinander unabhängige längere Aufsätze liest: Auf Kroegers beziehungsweise Buchardts Lebenslauf (1. Teil) folgt das Kapitel zur Vlasov-Bewegung (2. Teil). Wenigstens die sich immer wieder überkreuzenden Biografien hätte man auch systematisiert gemeinsam behandeln können. Dabei wäre dann zu entscheiden gewesen, ob der wichtige, jetzt am Ende des Bandes platzierte Abschnitt über die Legitimationsstrategien der Protagonisten nach 1945 nicht schon hier hätte mit einbezogen werden können, wird doch Kroegers SS-Karriere auch in der vorliegenden Fassung anhand der Materialien seines Verfahrens in Tübingen 1969 diskutiert. Als Vorteile dieser kombinierten Darstellung wären die Parallelen in den Lebensläufen deutlicher hervorgetreten und dem Leser einige Redundanzen und doppelt gebrachte Zitate erspart geblieben.
Mit Recht stellt Matthias Schröder fest, dass die hohe Zahl von Angehörigen deutscher Volksgruppen aus den von der Sowjetunion beanspruchten Gebieten, die in verschiedenen Funktionen die NS-Ostpolitik mitgestalteten, in der Forschung bislang wenig Beachtung gefunden hat. Seine Konzentration auf den deutschbaltischen Anteil an der Vlasov-Bewegung wiederum lässt diesen jedoch proportional gewiss als zu hoch erscheinen. Der Verfasser belegt zwar nachdrücklich deutschbaltische Initiativen in dieser Richtung, doch ist es fraglich, ob anhand dieser Episode von einer "eigenständigen deutschbaltischen politischen Fraktion innerhalb der NS-Ostpolitik" (12) gesprochen werden kann, zumal die deutschbaltische Opposition gegen die Landsleute in einer Anmerkung versteckt wird (185). Natürlich ist dies kein Buch über den gesamten Komplex der ostpolitischen Konzeptionen im Dritten Reich, doch vermisst man die für eine Bewertung unerlässliche Einbettung des Themas in deren Kontext.
Ein leider schwer zu meisterndes methodisches Problem liegt zudem in der Absicht Schröders, die diversen, zum Teil neu in die Forschung eingebrachten Erinnerungsschriften von Kroeger und Buchardt wissenschaftlich einordnen zu wollen. Auf Grund der spärlichen Quellenlage bleibt ihm oft nichts anderes übrig, als wiederum auf diese durchaus apologetischen Memoiren zurückzugreifen (174, 189, 201f.) beziehungsweise Quellen zu nutzen, deren Urheberschaft auf enge Verbundenheit mit den Protagonisten schließen lässt. So stammen auch die Informationen zum Treffen Himmlers mit Vlasov am 16. September 1944, an dessen Zustandekommen Kroeger maßgeblich beteiligt war, von ihm oder aus seinem Kreis (192f.).
Trotz dieser prinzipiellen Kritik, der noch einige Formalia hinzuzufügen wären - auffällige Inkonsequenzen in der Literaturnotation, nicht eindeutige Transkriptionskriterien, unaufgelöste Abkürzungen (NTS, HKL), fehlende Vernetzung der Kapitel untereinander -, erscheint Schröders Arbeit durchaus verdienstvoll Zum einen wird der "ideologische Monolith SS" (Michael Wildt) differenziert und nachgewiesen, dass auch deren Ostpolitik nicht aus einem Guss war. Zum anderen ist diese Studie ein wertvoller Mosaikstein in Bezug auf die Rezeption der Vlasov-Episode im speziellen und der deutschbaltischen Rolle im Dritten Reich im allgemeinen; die rezeptive Eigendynamik der deutschbaltischen Perspektive, die hier nur angedeutet werden kann, ist gewiss eine eigene Studie wert. Die Affinität zwischen Nationalsozialismus und Deutschbalten bereits in den 1930er-Jahren erklärt sich nach Schröders Darlegung vor allem auch aus einem Generationenkonflikt innerhalb der deutschbaltischen Elite, worauf schon Reinhard Wittram hingewiesen hat. Kroegers Kritik an der Verstädterung der Landsleute wies schon früh auf eine Schnittstelle mit der "reichsdeutschen" NS-Ideologie hin. Deutlich wird jedoch auch, dass Wittrams im Rückblick behaupteter Vorbehalt gegenüber dem rassistischen Potenzial der Ideologie relativiert werden muss. Zumindest lässt sich in Kroegers früher Publizistik Antisemitismus als Folie für die tagespolitische Analyse durchaus finden (39f.).
Gegenüber der nach 1945 unter anderem auch von Buchardt vorgebrachten Apologie "vernünftiger" Nazis, dass die Vlasov-Aktion ein Signal für eine alternative, erfolgversprechende Kriegführung im Osten unter Einbeziehung antibolschewistischer Russen gewesen sei, sammelt Schröder die potenziellen Bruchlinien zwischen dem General und seinen (auch) deutschbaltischen Förderern: Viel mehr als der Sturz Stalins blieb demnach als gemeinsame Zielvorstellung nicht übrig. Die "vernünftigen Bahnen", in die eine alternative Politik nach den Ideen Kroegers und Buchardts hätte führen sollen, bedeuteten zudem keineswegs einen Bruch mit dem Regime. Der "Kreuzzug" gegen den Bolschewismus blieb der verführerische gemeinsame Nenner, um dessentwillen der Vernichtungskrieg wenn nicht begrüßt, so doch billigend in Kauf genommen wurde.
Anmerkung:
[1] Erste Ergebnisse in: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich, Bd. 1, hrsg. von Michael Garleff. Köln u.a. 2001.
Karsten Brüggemann