Christian Koller: "Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt". Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914-1930) (= Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte; Bd. 82), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2001, 476 S., ISBN 978-3-515-07765-1, EUR 50,00
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"Außer Alkohol und Syphilis bringen die Franzosen ihren schwarzen Untertanen europäische Waffen, die Reveille und den Zapfenstreich. Sie lehren sie zur Trommel marschieren. Der französische Tambourmajor geht voran, es geht zum Ruhm, [...] zu den Geheimnissen der europäischen Zivilisation, zu den weißen Frauen." [1]
In seiner Dissertation untersucht Christian Koller den Diskurs über den Einsatz "nichtweißer", vorwiegend aus Afrika, Indien und Indochina stammender Kolonialtruppen im Ersten Weltkrieg und während der Rheinlandbesetzung. Eine Retrospektive auf die Zeit seit dem Krimkrieg und ein Ausblick bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dienen der besseren Einordnung. Mit der Konzentration auf die Debatte in Deutschland, Frankreich und Großbritannien - mit gelegentlichen Ausblicken auf das restliche Europa und die Vereinigten Staaten - will Koller von der Perspektive der bisherigen Forschung über den Kolonialtruppeneinsatz abweichen. Sein Augenmerk gilt nicht der Wandlung des Bewusstseins der Kolonialsoldaten sowie den Folgen ihres Einsatzes in Europa für die entstehenden Unabhängigkeitsbewegungen und die spätere Dekolonisierung[2], sondern dem Wandel des europäischen Bewusstseins durch die Präsenz der Kolonialtruppen (29).
Dieser Diskurs wird anhand zweier Fragestellungen durchleuchtet. Zunächst einmal erfasst Koller, wie die Kolonialsoldaten wahrgenommen werden, womit er einen Beitrag zur Feindbild- und Stereotypenforschung leistet, der indes wenig Neues bringt. Interessant ist allerdings - deutlich sichtbar an dem eingangs gegebenen Zitat -, die Einstufung vor allem der westafrikanischen Truppen als Angehörige martialischer Völker von ungebeugter, natürlicher Wildheit, in der sich die Zuschreibung ungebremster, ungestümer Sexualität widerspiegelt. Ziel des Kampfes wird in den Augen der Diskursteilnehmer, wie Koller nachweist, die "Ressource Frau"ö. Ähnliche Muster werden auch aus dem jüngsten Jugoslawienkrieg berichtet.[3] Sie zeigen die Aktualität der Diskussion um die Kolonialtruppen, die durch die Herkunft der Soldaten aus dem fernen Afrika exotisch erscheint, aber eigentlich ein Grundmuster jedes ethnischen Konfliktes in sich trägt. Wie bei diesem so auch bei anderen Stichwörtern, zum Beispiel der Bedeutung der Kolonialtruppen-Frage für die - faschistische - Rechte, fragt man sich, ob ein thematischer Zugang bei der Analyse nicht hilfreicher gewesen wäre als Kollers chronologischer. Die Geschlechterproblematik streift Koller bewusst nur am Rande und verweist auf seine anderweitigen Veröffentlichungen,[4] wo sie aber auch nur in unbefriedigender Kürze behandelt wird. Sie hätte einen sinnvoll(er)en Platz in diesem Band finden können. Wie viele vergleichende Arbeiten krankt auch diese daran, dass die Gliederung sich stark an den untersuchten Räumen orientiert, die systematisch nacheinander abgearbeitet werden, so dass der eigentliche Vergleich vorwiegend in den umfangreichen Querverweisen vorgenommen wird. So wird die zeitliche Abfolge, deren Entschlüsselung gegebenenfalls Transfers deutlich machen könnte, bestenfalls sekundär behandelt. Eine wirkliche thematische Verschränkung findet kaum statt.
Kollers zweite Fragestellung beschäftigt sich mit den Folgen, die sich aus der Sicht der Diskussionsteilnehmer durch den Einsatz der Kolonialtruppen ergeben haben mussten. In dieser Debatte verquicken sich Rassismus und Nationalismus und sogar eine - freilich immer aus nationalem Eigeninteresse vorgetragene - transnationale Argumentation über die europäischen Grenzen hinweg: Die Verwendung der "nichtweißen" Soldaten gefährde die "Solidarität der weißen Rasse" beziehungsweise die "Gemeinbürgschaft der arischen Völker" (16); die Völker des Südens würden zum Aufstand ermutigt und bald schon das europäische Joch abwerfen.
In der ganzen Darstellung stellt Koller der Debatte immer wieder die realhistorischen Hintergründe entgegen: Wurden die afrikanischen Truppen im Ersten Weltkrieg wirklich als "Kanonenfutter verheizt"? Sind Übergriffe und Vergewaltigungen durch Kolonialtruppen während der Besetzung des Rheinlandes wirklich nachgewiesen? Anhand solcher Fragen zeigt Koller die propagandistischen Verzerrungen des Diskurses; auf diesem schwierigen, spekulativen Terrain bewegt er sich dabei mit der gebotenen Vorsicht.
Koller kann bescheinigt werden, dass er das Thema kenntnisreich und ausgewogen bearbeitet hat, vor allem auch, weil er sich bemüht, die wenigen Stimmen, die der Rassenhetze kritisch widersprechen, etwa Carl Zuckmayer (334), zu Wort kommen zu lassen. Besonders hervorzuheben ist dabei sein extrem breiter Quellenzugriff. Neben der Auswertung umfangreichen Archivmaterials beschäftigte er sich auch eingehend mit der veröffentlichten Meinung. Sogar Lokalzeitungen wurden analysiert, um gerade für die Rheinlandbesetzung das Bild auch anhand der kleinen Tagesmeldungen zu komplettieren. Verdienterweise erhielt Koller für diese ausgewogene Darstellung den Walter-Markov-Preis für Geschichtswissenschaften.
Anders als viele, die den Begriff der Diskursanalyse im Munde führen und dazu beitragen, dass er mittlerweile zu einem bestenfalls noch werbewirksamen "Allerwelts- und Modewort"[5] heruntergekommen ist, hat Christian Koller seiner Dissertationsschrift einen Diskurs zu Grunde gelegt, der diese Bezeichnung wirklich verdient. Erstens dreht sich die Auseinandersetzung um den Einsatz von Kolonialtruppen nicht in erster Linie um das tatsächliche Geschehen. Das machen Kollers Querverweise auf die sich hinter den propagandistisch verzerrten Debattenbeiträgen verbergenden Ereignisse deutlich. Es geht vielmehr darum zu verdeutlichen, was aus der unerschöpflichen Menge des grammatikalisch Sagbaren tatsächlich gesagt, zu Papier gebracht und überliefert wurde, weil es der aktuellen politischen Situation entsprach und von Diskursverwalter protegiert wurde, die letztlich Einfluss darauf nahmen, was öffentlich wurde und was nicht. Dies gilt insbesondere für die Zeit des Ersten Weltkrieges, aber auch für die staatliche Öffentlichkeitsarbeit während der Rheinlandbesetzung. An einigen Stellen gelingt es Koller sogar, ein Licht auf diese für gewöhnlich im Schatten verbleibenden Verwalter zu werfen, ihre Antriebe und Beurteilungen in den Quellen nachzuweisen.
Zweitens ist es berechtigt, sogar von einem europäischen Diskurs zu sprechen, weil die einzelnen Beiträge in unterschiedlicher Weise an die vermutete Leserschaft in den anderen Staaten wie auch an die Kolonialsoldaten selbst adressiert und dort auch rezipiert wurden. Angesichts der vielfachen Verschränkung der Reaktionen, die Koller darstellt, wie auch der grenzübergreifenden Publikationstätigkeit einiger Diskursteilnehmer ist es bedenkenswert, ob hinsichtlich dieser Debatte nicht von einer "europäischen Öffentlichkeit" gesprochen werden kann, die sich zeitgleich mit einem einzigen Phänomen in einer überschaubaren Zahl von Argumentationsmustern auseinander setzte.
Ein bedauernswertes Defizit der Analyse kann - und will - indes auch Koller nicht ausräumen: Auch er verzichtet auf die Gegenperspektive der Kolonialsoldaten selbst. Das ist zweifelsohne gerechtfertigt, schreibt er doch die Geschichte der Diskussion um die Truppen und nicht die Geschichte der Truppen selbst. Dennoch bleibt die Befragung außereuropäischer Zeugen zur europäischen Geschichte, obwohl gewiss ein sehr schwieriges Unternehmen, ein Desiderat für die Zukunft.
Anmerkungen:
[1] Erich Lilienthal, 1923, 243.
[2] Zum Beispiel Timothy H. Parsons: The African Rank-and-File: Social Implications of Colonial Military Service in the King's African Rifles, 1902-1964. Portsmouth et al. 1999 (Social History of Africa).
[3] Vgl.: Herfried Münkler und Eberhard Sens im Gespräch: Postklassische Kriege, in: Lettre International (2002), H. 59. Auszugsweise: www.lettre.de/010aktuell/muenklerSens.html. Allgemein: Marlies W. Fröse (Hg.): Krieg, Geschlecht und Traumatisierung. Erfahrungen und Reflexionen in der Arbeit mit traumatisierten Frauen in Kriegs- und Krisengebieten. Frankfurt/Main 1999; Hilde: Der Krieg ist männlich. Ist der Friede weiblich? Wien 1996; Dragana Tomašević (Hg.): Das Leben ist stärker. Ein bosnisches Lesebuch, geschrieben von Frauen im Krieg, Linz 1996.
[4] Vor allem Christian Koller: Feind - Bilder. Rassen- und Geschlechterstereotype in der Kolonialtruppendiskussion Deutschlands, in: Karen Hagemann / Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): Heimat-Front. Militär- und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt/Main 2002 (Reihe Geschichte und Geschlechter; 35), 150-167.
[5] Helge Schalk: Diskurs. Zwischen Allerweltswort und philosophischem Begriff, in: Archiv für Begriffsgeschichte 40 (1997/8), 56-104, hier: 56.
Michael Stoyke