Rezension über:

Helge Blanke: Das Recht als Mittel der Machtpolitik. Eine Untersuchung zur nordwestdeutschen Grafschaftschronistik im Spätmittelalter (= Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter; Bd. 6), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, 338 S., ISBN 978-3-412-12001-6, EUR 35,50
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Rezension von:
Albrecht Cordes
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht Cordes: Rezension von: Helge Blanke: Das Recht als Mittel der Machtpolitik. Eine Untersuchung zur nordwestdeutschen Grafschaftschronistik im Spätmittelalter, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 9 [15.09.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/09/1355.html


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Helge Blanke: Das Recht als Mittel der Machtpolitik

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Die im Jahre 2000 bei Rolf Sprandel in Würzburg abgeschlossene Dissertation hat sich die reizvolle Aufgabe gestellt, fünf Chroniken aus Holstein, Oldenburg, Schauenburg, Kleve und der Grafschaft Mark im Hinblick darauf auszuwerten, wie darin Rechtsstandpunkte und rechtliche Argumente zu Gunsten der Herrschaft, mit der der Chronist sympathisiert, instrumentalisiert werden. Der nordwestdeutsche Untersuchungsraum ist gut gewählt, denn er setzt sich über die territorialen Besonderheiten in Schauenburg, Kleve und so weiter hinaus zu einem Fundus an gemeinsamen, für das ganze norddeutsche Selbstverständnis relevanten historischen Topoi zusammen. Inwieweit sich das auf die Ergebnisse der Arbeit auswirkt - es sei hier die Vermutung gewagt, dass es das tut -, müsste eine vergleichbare und vergleichende Studie süddeutscher Chroniken untersuchen.

Trotz der sorgfältig benannten unterschiedlichen Entstehungsumstände (Eigeninitiative oder Auftragsarbeit? 15-62: "Die Chronisten und ihre Chroniken") lassen sich die fünf Chroniken, die aus der Zeit um 1400-1450 stammen und deshalb auch zeitlich nahe genug beieinander liegen, zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammensetzen. Es wird, unter gelegentlicher und etwas unsystematischer Einbeziehung weiterer Chroniken, in den beiden Hauptteilen der Arbeit mentalitätsgeschichtlich ("Vorstellungswelten, Berichthorizonte", 63-162) und rechtshistorisch ("Gewalt und Recht", 163-304) wieder in Einzelteile zerlegt. Ein kurzes, aber weiterführendes Fazit (305-311) rundet die Arbeit ab.

Natürlich ist es keine Neuigkeit, dass Geschichtsschreibung in der von Blanke analysierten Weise zur Herrschaftsstabilisierung eingesetzt wird; die Wahrheitsbeteuerungen der Chronisten verstärken diesen Verdacht eher als ihn zu zerstreuen. Diese Instrumentalisierung der Geschichte und des Rechts sowie ihre diversen Funktionen zeigt Blanke eindrucksvoll; die dazwischen immer wieder eingestreuten Stellungnahmen zu aktuellen historiographischen Streitfragen (etwa, ob der Löwe nun Recht hatte, seinem kaiserlichen Vetter Barbarossa die Unterstützung zu versagen) wären dazu freilich nicht nötig gewesen. Insgesamt stellt Blanke seine Chronisten durchaus überzeugend in den Rahmen der sich stabilisierenden Territorienbildung. Vor allem dass es immer leichter wird, feindliche Fehden zu verdammen, immer schwieriger hingegen, die eigenen Gewalttaten zu rechtfertigen, lässt sich so erklären.

Der Rechtshistoriker - wen wird es wundern? - hätte sich freilich im strafrechtsgeschichtlichen Teil etwas mehr begriffliche Präzision und bessere Literaturkenntnis erhofft; über Fritz Kern und Rudolf His ist nun doch schon viel Zeit hinweggegangen. Und schließlich ist der Titel wohl eher eine Nebelkerze: Es geht nicht um das Recht als solches, das sich im 15. Jahrhundert in Gesetzgebungstätigkeit, Gerichtsorganisation und - zuständigkeiten und in gerichtlicher Urteilstätigkeit sicher nicht zuletzt auch als Form der Machtausübung (und, wenn es denn der anachronistische Begriff sein muss, auch als Machtpolitik) darstellen lässt. Vielmehr geht es um rechtliche Argumentation sowie Argumente zur Legitimation eigener und Diskreditierung fremder Gewalt. Diejenigen Liebhaber des Spätmittelalters, die trotz dieser sonderbaren Formulierung des Titels zu dem Buch gefunden haben, werden mit einer gut formulierten, auf intensiver Quellenkenntnis fußenden, inhaltlich überzeugenden historischen Arbeit belohnt.

Albrecht Cordes