Petra Schöner: Judenbilder im deutschen Einblattdruck der Renaissance. Ein Beitrag zur Imagologie (= Saecula Spiritalia; Bd. 42), Baden-Baden: Verlag Valentin Koerner 2002, XIV + 438 S., 64 Tafeln, ISBN 978-3-87320-442-3, EUR 120,00
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Die Verfasserin hat sich mit dieser 1999 als Dissertation an der Universität Bamberg eingereichten Studie ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Die Monographie will erstmals einen zusammenfassenden Überblick über die einschlägigen judenspezifischen Themen der Einblattdrucke des 15. und 16. Jahrhunderts. im deutschsprachigen Raum bieten, dies "unter gleichberechtigter Betrachtung von Text und Bild" (13). Schöner kann sich dabei auf Vorarbeiten von Literaturwissenschaftlern, Judaisten, Theologen, Historikern sowie Rechts- und Kunsthistorikern stützen, für ihr Material insbesondere auf umfangreiche Editionsbestände des vergangenen Jahrhunderts (Geisberg, Schreiber, Strauss) sowie auf jüngste Faksimile-Editionen von W. Harms. Die Verfasserin hat sich von der schieren Materialfülle nicht einschüchtern lassen, belastet ihr Vorhaben allerdings mit einer schweren Hypothek, indem sie zum einen eine repräsentative Auswahl bieten will, an der sich das Spektrum der Themen und Motive zeitgenössischen Sprechens über Juden ablesen lässt, zum anderen beabsichtigt, der wahrnehmungsprägenden Funktion des Einblattdrucks für den Alltagsdiskurs nachzugehen. In wieweit das methodisch wenig explizierte Konzept der "Imagologie" dazu beitragen kann, die komplizierten Wechselwirkungen zwischen dem "Massenmedium" Einblattdruck und kollektiven Perzeptionsmustern zu erfassen, oder auch das häufig widerstrebende Gefüge von Bild- und Textinformationen zutreffend zu deuten, hätte einer eingehenderen Klärung bedurft.
Dem Aufbau der Studie liegt eine thematische Gliederung zugrunde, die sich im wesentlichen an dem von H. Schreckenberger publizierten Bildatlas "Die Juden in der Kunst Europas" (1996) orientiert. Für die beabsichtigte Gesamtschau ist dies durchaus dienlich und bietet zudem den Vorteil, die Befunde in einen breiteren historischen Zusammenhang einordnen zu können. Freilich wären auch andere Gliederungskriterien denkbar gewesen (vgl. etwa: R. Mellinkoff, "Outcasts: Signs of Otherness in Northern European Art of the Late Middle Ages" 1993). Dieser nach Themenkreisen geordneten Beschreibung und Inhaltsanalyse einzelner Blätter wird ein Abriss der Geschichte der christlich-jüdischen Koexistenz im antiken bzw. mittelalterlichen Europa vorgeschaltet (17-51), die den nachfolgenden Einzelanalysen als Folie dienen soll. Das in knappen Zügen skizzierte Bild der Lage am Ausgang des Mittelalters folgt der von F. Graus nachdrücklich vertretenen Auffassung einer spannungsgeladenen "Krisenzeit" und hebt insbesondere die bedeutsame - freilich nicht unumstrittene! - Rolle der spätmittelalterlichen "Volksfrömmigkeit" als Faktor für das zunehmend von Hass und Feindschaft gegen Juden bestimmte Klima hervor. Dass in der beginnenden Frühneuzeit - bei aller Kritik, die von Seiten humanistisch gebildeter Theologen an den tradierten Frevelvorwürfen geübt wurde - in Teilbereichen der Gesellschaft, etwa im Rechtswesen oder in der Wirtschaft, die argumentativen Grundlagen für neuartige Feindbilder gelegt wurden, gerät auf diese Weise etwas aus dem Blick.
Im einzelnen werden folgende Themen behandelt: "Biblische Gestalten im Einblattdruck" (u.a. Tugendhafte Vorbilder im Alten Testament, Juden in szenischen Darstellungen der Passion); "Überwindung des Judentums durch das Christentum" (u.a. Ecclesia und Synagoga, Die bedrohte Glaubensburg); "Ritualmord" (u.a. Simon v. Trient); "Hostienfrevel" (u.a. das Beispiel Passau 1498, Hostienfrevelvorwürfe gegen Protestanten!); "Wunderzeichen und Missgeburten"; "Judensau"; "Judenwucher"; "Juden als Verderber der Christenheit"; "Sonderstellung der hebräischen Sprache" (u.a. Hebräische Schriftzeichen als Bildelemente). Die von der Verfasserin zu den genannten Oberthemen zusammengestellte Auswahl umfasst 57 illustrierte Einzelblätter; ein Anhang enthält die Textteile der Blätter nochmals vollständig transkribiert. Zwei Blätter aus dem Bestand der Staatsbibliothek Bamberg - eines zum Ritualmordprozess von Trient 1475 (Kat.-Nr. 33), das andere ein Wittenberger Druck mit Judensau-Motiv (Kat.-Nr. 58; Datierung fehlerhaft, lies: 1596) - werden hier erstmals publiziert.
Zu den wesentlichen Einsichten der Studie zählt zweifellos, dass die Figur des Juden in den Einblattdrucken keineswegs ausschließlich als Objekt der Diffamierung oder Dämonisierung erscheint. So können - wie u.a. zwei Blätter des Augsburger Malers Hans Burgkmaier illustrieren - weibliche wie männliche Gestalten des Alten Testaments durchaus als positive Identifikationsfiguren für ein christliches, stadtbürgerliches Publikum fungieren (53ff.). Dies gilt auch vereinzelt für jüdische Figuren des Neuen Testaments, so etwa in Darstellungen des "Urteils des Pilatus" (vgl. Kat. Nr. 21), einem wenig geläufigen Bildtypus, dessen plötzliche Aktualität in den humanistischen Disputen des 16. Jahrhunderts R. Berliner in seinem einschlägigen Aufsatz mit einer Fülle von Belegen aufgezeigt hat ("Das Urteil des Pilatus", 1934).
Beachtung verdienen die von der Verfasserin immer wieder beobachteten Diskrepanzen zwischen Text- und Bildaussagen einzelner Blätter: "Wo im Text scharf gegen die Juden polemisiert wird [...] bleibt der polemische Gehalt des Bildes weit hinter der im Text gegebenen Verunglimpfung zurück" (295), so etwa in Kat.-Nr. 62, "Die Rechnung Ruprecht Kolpergers", dem bekannten Holzschnitt des Nürnbergers Hans Meier von 1493 mit einem Text von Hans Folz. Die Chance, aus der beobachteten inhaltlichen Spannung weitere generalisierende Einsichten zu gewinnen, wird allerdings nicht genutzt. Klassische "antijüdische" Stereotypen - so eine weitere bedeutsame Einsicht Schöners - werden im Rahmen der religiösen Kontroversen der Reformationszeit sowohl von altgläubiger wie von reformatorischer Seite vielfach instrumentalisiert, um sich wechselseitig "judaisierender" Tendenzen zu bezichtigen.
In Hinblick auf die eingangs formulierten Zielvorgaben der Studie bleiben die Ergebnisse jedoch hinter den Erwartungen zurück: Schöner wird ihrem Anspruch, die "Judenbilder" als Bestandteil einer gesellschaftlichen Selbstdeutung zu begreifen, als Gruppen-Imago, das die Wahrnehmung und die Verhaltensweisen der Zeitgenossen prägte, nicht gerecht. Hierfür wäre das von ihr abgelehnte Verfahren einer eingehenden Einzelanalyse der Blätter naheliegend gewesen, das heißt die Einbettung in konkrete historische Zusammenhänge, in die räumlich begrenzten Diskursfelder einzelner Städte und Landschaften, wie es etwa C. Magin für das oben genannte Nürnberger Blatt von 1493 vorgeführt hat (in: Honemann u.a., "Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts", 2000). Vor allem den spannenden Beobachtungen, die die Verfasserin im Kapitel über die Verwendung hebräischer Schriftzeichen im Einblattdruck anstellt (259ff.; R. Mellinkoffs Überlegungen hierzu, in: "Outcasts...", s.o., wurden offenkundig übersehen), wäre dies zugute gekommen.
Norbert Schnitzler