Werner Busch: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion, München: C.H.Beck 2003, 223 S., 17 Farb-, 49 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-50308-5, EUR 34,90
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Werner Buschs Werk über Caspar David Friedrich ist im besten Sinne ein "traditionelles" Buch. Zu Recht stellt der Autor die in der Forschung dominierende Tendenz fest, Friedrichs Bilder entweder auf eine religiöse oder eine politische Aussage festzulegen oder ihnen, im Sinne postmoderner Diskursbeliebigkeit, eine Sinnoffenheit zu unterstellen, wodurch "ein anything goes nicht nur droht, sondern mit Lust betrieben wird" (46). Dabei werde zumeist versäumt, "die Art und das Maß der Sinnoffenheit bzw. Sinnbefrachtung an der Vorgabe des individuellen Werkes zu bestimmen." (48). Gerade hier setzt das Buch an: In geradezu klassisch kunsthistorischer Manier werden die Entstehung des Einzelwerks und seine Struktur analysiert.
Der Autor entfaltet seine Argumentation in sechs Kapiteln; zunächst beleuchtet er einzelne Werke, um sich dann übergeordneten Fragestellungen zu widmen. Busch setzt mit der Betrachtung von Friedrichs Sepien mit dem "Blick aus dem Atelier des Künstlers" ein. Die vorherrschenden Deutungen einer divergenten Gegenüberstellung von "Ich und Welt" beziehungsweise "Diesseits und Jenseits" machten nur Sinn, wenn beide Bilder vom selben "Standpunkt im Atelier aus aufgenommen" sind (17). Buschs Analyse der Perspektive erweist jedoch, dass eben dies nicht der Fall ist. Die Untersuchung zeitgenössischer Beschreibungen von Friedrichs Atelier, der Vergleich mit Kerstings Gemälde des Malers in seinem Atelier und schließlich die Betrachtung der gezeigten Atelierausstattung legen vielmehr den Anspruch der Darstellungen als Ausdruck eines Künstlerselbstverständnisses nahe. Die von Busch unternommene strukturelle Analyse der Bildräume, die primär dem Goldenen Schnitt unterworfen sind, demonstriert, wie der Maler Innen und Außen mit den Mitteln der Kunst verschränkt und so die auch von Busch konstatierte "Fragmentierung der Wirklichkeit" in Form einer vom Künstler gestifteten "Sinnfälligkeit durch Ästhetisierung" aufhebt (28). Mit dem Goldenen Schnitt ist eines der Leitmotive des Buches angesprochen. Bedauerlich ist, dass eine Diskussion dieses Kompositionsmusters und seiner Problematik als kunsthistorisches "Konstrukt" erst vergleichsweise spät erfolgt (101-123).
Buschs zweites Kapitel ist ganz dem "Tetschener Altar" gewidmet. Im Zentrum stehen dabei wiederum Komposition und Werkprozess. Busch leitet zunächst die Einzelmotive von direkten Naturstudien ab. Diese "Naturwahrheit" wird dann durch die vom Künstler gesetzte Kompositionsstruktur ergänzt und erweitert. Der Autor vermag nicht nur wiederum den Goldenen Schnitt als vorherrschendes Prinzip aufzuzeigen, sondern erstmals einen vermittels diesem zwischen Bild und Rahmen gestifteten Übergang. Wenn Busch abschließend feststellt, diese absolute Geometrie sei eine "ästhetische Ordnung", die einzig noch eine "Ahnung des Überirdischen" vermittle, ist dies ein erster Hinweis auf das argumentative Ziel des Buches (45).
Buschs drittes Kapitel behandelt den "Mönch am Meer" und die "Abtei im Eichenwald" als einander gegenseitig Sinn verleihende Pendants. Ein bereits hier, und erneut im Abschnitt zu den "Pendants", auftauchendes Problem ist der überwiegende Verzicht auf eine Diskussion, ob der Pendantcharakter tatsächlich intendiert war oder vom Interpreten - wenn auch grundsätzlich überzeugend - nachträglich an die Werke herangetragen wird. Für den mit Friedrich nicht absolut vertrauten Leser verschärft sich diese Schwierigkeit auf Grund der durchgehend fehlenden Maßangaben. Busch untersucht die der Strandlandschaft im "Mönch" zu Grunde gelegten Vorzeichnungen und kann - auch durch Fotos - das topografische Vorbild des Bildes und so erneut dessen "Naturwahrheit" belegen. Die Untersuchung zeitgenössischer Kritiken und der Überarbeitungen des Gemäldes führt Busch dann zu folgender Interpretation: Der demütige Mensch kann von der Allmacht Gottes nur eine Ahnung gewinnen (64). Hier ist auch Buschs immer wieder postulierte Absage an jedwede, an Friedrichs Bilder herangetragene Ästhetik des Erhabenen formuliert. Dem Problem einer Unterdeterminierung der Bildzeichen (67) im "Mönch" nähert sich Busch mit der Untersuchung der "Abtei im Eichenwald", die klarer zu lesen ist und einer ausgefeilten Komposition gehorcht. Das Gegenteil ist beim "Mönch" der Fall: "Denn keinesfalls befindet sich, [...] der Mönch auf der linken Senkrechten des Goldenen Schnitts, [...] Keine Linie des Goldenen Schnitts greift bei diesem Bild, auch kein anderes Ordnungsgebilde ist genutzt. Ästhetische Ordnung [...] ist absichtsvoll verweigert." (76). Unter Bezug auf die Philosophie Schleiermachers und mithilfe der zeitgenössischen Einschätzung der Mathematik als Ausdruck Gottes weist Busch nach, dass gerade der Verzicht auf ästhetische Ordnung eine Hoffnungslosigkeit markiere, die in der "Abtei" die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode ablöse. Die vom Künstler gesetzte ästhetische Ordnung macht diese Hoffnung für den Betrachter erfahrbar. Das Bildpaar verdeutliche somit ein "Glaubensparadox": "die Aufrechterhaltung der Hoffnung im Wissen um die Hoffnungslosigkeit" (80).
"Friedrichs Werkprozeß" präsentiert sich als heterogenes Kapitel. Sehr erhellend ist Buschs Auseinandersetzung mit Friedrichs Zeichnungen und den auf diesen notierten Worten, Zahlen und Markierungen. Er zeigt, dass der Maler durch die notierten Angaben nicht nur exakt Ort und Zeit ihrer Entstehung festhält, Licht- und Farbphänomene notiert, sondern auch die relative Entfernung der Gegenstände zueinander bezeichnet, die Horizontlinie markiert, et cetera: Es handelt sich um Studien, die mit der Absicht angefertigt worden sind, später als Gemäldevorlagen zu dienen (83). Das Eingehen dieser genauen Naturbeobachtungen in das Werk führt Busch an drei Beispielen meisterhaft vor. Dabei demonstriert er erneut das Neben- und Miteinander von Naturwahrheit und künstlerischen Ordnungsprinzipien und verdeutlicht, beispielsweise an den "Kreidefelsen auf Rügen" oder dem "Eismeer", die dem Betrachter durch diese Kompositionsprinzipien gelieferten, interpretatorischen Schlüssel.
Busch erläutert in der Folge neben Goldenem Schnitt weitere "Geometrische Figuren" (123-128). Deren Bedeutung für ein Verständnis der Bildaussage und der Frage, inwieweit die Zeitgenossen Geometrie als (Gottes Allmacht signifizierende) sinnstiftende Struktur erkannt haben, nähert sich Busch mit der Untersuchung von Theodor Schwarz' Roman "Erwin von Steinbach" (1834). Der Maler Kaspar, eine der Hauptfiguren, stelle dabei "eine in allem Detail vollzogene Angleichung an Caspar David Friedrich dar" (129) und erhebt in Gesprächen mit der Titelfigur die Geometrie als Ausdruck Gottes zur Basis seiner Kunst. Busch, dem Quellenwert des Romans vielleicht selbst nicht ganz vertrauend, ermüdet den Leser in dem Bemühen, die vielfältigen Beziehungen zwischen Schwarz und Friedrich minuziös nachzuzeichnen, anstatt diese lediglich zu konstatieren oder in einer Fußnote zu erläutern (130-133). Diese Vorsicht scheint angesichts der überzeugend aufgezeigten Bezüge zwischen Romanfigur und Maler unnötig. Das mithilfe der Aussagen von "Maler Kaspar" abgeleitete "Programm" Friedrichs unterstreicht nämlich lediglich, was bereits Buschs Bildanalysen erbracht haben: "Er [Friedrich] legt geometrische Figuren zu Grunde, sie können auch eine rhythmische Reihung markieren, sie sind mit mathematischer Logik und Kühle konstruiert, und gerade in ihnen offenbart sich der Kunstsinn des Werkes." (135).
Das Funktionieren der Konstruktionsprinzipien untersucht Busch im fünften Kapitel seines Buches anhand der "Pendants". Nach einer Betrachtung der Tradition dieser antithetischen Präsentationsform (142-146) beleuchtet Busch, wie der Betrachter in der Zusammenschau der oft gegensätzlichen Werke zu einer Synthese, das heißt zu Friedrichs Grundanschauung, kommen soll.
Diese wird abschließend von Busch in der vergleichenden Betrachtung von Schleiermachers Religionsphilosophie und Friedrichs Bildern verdeutlicht und kontextualisiert. Busch identifiziert dabei Schleiermachers Texte, neben dem Luthertum und dem Pietismus, als Basis und wichtigstes Movens von Friedrichs Religiosität. Religion ist individualisiert und in dem von beiden postulierten "staunenden Anschauen" (162) der Schöpfung Gottes erkennt der Autor die Annahme einer grundsätzlichen Passivität des Gläubigen. Friedrichs Werke als politische oder religiöse Handlungsaufforderung zu verstehen, schließe sich somit aus. Durch das Vorgeben einer Struktur werde der Künstler zum "Mittler" für den Gläubigen, der durch Versenkung in das Dargestellte die inhärenten Gesetze der Natur zu erkennen vermag und so eine "Vorstellung von der göttlichen Einheit" (165) gewinnen kann. Die naturwahr dargestellten Dinge sind so zugleich als Dinge wie als Zeichen zu verstehen (168). Dabei demonstriert Busch seine Überlegungen interessanterweise nicht nur an genuin religiösen Bildern, sondern untersucht beispielsweise das Gemälde "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" (172-185).
Letztlich gelingt Busch der Beweis, dass Friedrich den im Zuge von Aufklärung und Französischer Revolution zu verzeichnenden Verlust tradierter religiöser Symbolik durch eine individuelle, vom Künstler vermittels ästhetischer Strukturen neu gestiftete Ordnung zu kompensieren sucht. Der Preis dieser neuen Ordnung ist der Verlust von Allgemeingültigkeit und sinnstiftender Determiniertheit, insofern eben auch eine Offenheit der Werke für nachträgliche, nie als "endgültig" festzuschreibende Interpretationen. Damit steht am Ende ein Ergebnis, dass in der Friedrich-Forschung nicht neu ist: Die semantische Offenheit und Polyvalenz der Bilder, an die gleichberechtigt nebeneinander stehende Deutungen herangetragen werden können. Neu ist hingegen, dass Busch auf Grund seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Einzelbild nachweist, wie Friedrich dies erreicht. Zugleich demonstriert er, dass trotz dieser Offenheit eben nicht jede Interpretation zulässig ist, da sich viele Deutungen auf Grund der Struktur und des Entstehungsprozesses der Werke als nicht haltbar erweisen.
Buschs Buch über Friedrich ist eine höchst anregende und nachdenklich stimmende Lektüre. Neben den in vielen Details neuen Forschungsergebnissen bleibt für den Kunsthistoriker vor allem eine Aufforderung: Angesichts dekonstruktivistischer Diskurstheorien der Postmoderne das Einzelwerk wieder in den Blick zu nehmen und an diesem die in den letzten Jahrzehnten entwickelten Thesen zu überprüfen. Einiges wird diesem Vergleich standhalten, anderes nicht.
Ekaterini Kepetzis