Reinhold Baumstark / Frank Büttner (Hgg.): Grosser Auftritt. Piloty und die Historienmalerei. Publikation zur Ausstellung Großer Auftritt - Piloty und die Historienmalerei (München, Neue Pinakothek, 4.4. - 27.7.2003), Köln: DuMont 2003, 426 S., zahlr. Abb. im Text u. Farbabb. auf Taf., ISBN 978-3-8321-7291-6, EUR 36,00
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Mit dieser umfangreichen, opulent illustrierten Publikation liegt ein sehr informatives und gut rezipierbares Werk über den bedeutenden bayerischen Historienmaler Carl Theodor von Piloty (1826-1886) vor. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens waren Pilotys Bilder gefeierte Werke, die oft die tragischen Ereignisse der Geschichte zeigen. Später billigte der Blick durch die Brille der Moderne solcher Historienmalerei nur die Rolle des verachteten Widerparts zu. Es verwundert also nicht, dass Piloty erst wieder am Beginn des neuen Jahrtausends ein posthumer "Großer Auftritt", so der Titel der Ausstellung in der Neuen Pinakothek und des Katalogs, gewährt wird. Reinhold Baumstark und Frank Büttner, die Herausgeber und Autoren des Vorwortes, wollen Pilotys Werk nun seiner künstlerischen Qualität angemessen bewerten. Ausstellung und Publikation wurden in Zusammenarbeit mit einer Gruppe Studierender der Ludwig-Maximilians-Universität in München erstellt.
Die Gesamteinteilung in zwei einführende Aufsätze und eine Fülle von umfangreichen, mit hervorragenden Abbildungen versehenen Bildaufsätzen, die jeweils einem vergleichbaren Schema folgen, sowie einem nachgesetzten Aufsatz und zwei Quellentexten machen den Katalog zu einem grundlegenden Nachschlagewerk für das Œuvre Pilotys. Die durchgehend gute Lesbarkeit der Texte verdankt sich einerseits den strukturierenden Unterüberschriften und andererseits dem klaren sprachlichen Ausdruck der Autoren.
Frank Büttner gelingt es in seinem einleitenden Aufsatz (23-67) hervorragend, Pilotys Position in der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts zu verdeutlichen. Er weist auf den gemeinsamen Ursprung von Avantgarde und akademischer Historienmalerei hin, der im bürgerlichen Kunstbegriff mit den zentralen Aspekten Originalität und Autonomie zu finden ist. Exkurse verorten das Werk Pilotys im politischen und künstlerischen Kontext seiner Zeit stilistisch zwischen Realismus und Idealismus. Prägnant werden der theatralische Bildcharakter und Detailnaturalismus in Pilotys Bildern in Bezug zu seinen französischen und belgischen Vorbildern erläutert. Dem metaphysischen bürgerlichen Geschichtsbild entspricht, dass er durch eine Personalisierung im oft tragischen Helden in seinen Gemälden Geschichte dramaturgisch aufbereitet. Es ging Piloty, wie Büttner verdeutlicht, um eine schöpferische "Nachdichtung" der Geschichte.
Der biografische Aufsatz von Jürgen Wurst und Silke Streppelhoff (69-111) verdeutlicht, warum die Werke Pilotys beim Publikum Erfolg hatten: Sie zeigen Menschen in vermeintlich historisch-authentischer Situation in einem psychologisch zugespitzten Moment. Unterstützt wird die Wirkung von brillanter Maltechnik, raffinierter Komposition sowie theatralischer Licht- und Farbregie, in deren Rahmen die Figuren mit pathetischer Gestik wie auf einer Bühne agieren.
Pilotys Position in der Münchner Kunstwelt, seine Rolle als Akademielehrer (unter anderen von Hans Makart) und seine Bewertung in der zeitgenössischen Kritik werden eingehend geschildert. Leider bleibt dabei die Person des Malers blass. Ein so wichtiges Detail wie Pilotys Zugehörigkeit zum Protestantismus fehlt ganz. Diesen Aspekt liefert erst Juliane von Åkermann nach, die im Bildteil zu "Galilei im Kerker" auf die Auseinandersetzungen um die Stellung und theologischen Probleme der katholischen Kirche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verweist.
Die meist sehr guten Kurzaufsätze zu den Bildern bestehen in der Regel aus einer Darstellung des Bildinhalts und des historischen Hintergrunds, einer Bildbeschreibung und Werkgenese, der sich ein analytischer Teil anschließt. Dies ermöglicht dem Leser eine günstige vergleichende Rezeption. Jedoch ausgerechnet zu dem wichtigen Werk "Die Ermordung Cäsars" (275-285) gelingt es Angela Herr nicht, einen stringenten Textaufbau zu liefern. Dies ist umso bedauerlicher, als ihre vergleichende Analyse mit den Werken Jean Léon Gérômes zum selben Thema eine sehr gelungene Überlegung zum "fruchtbaren Moment" darstellt.
Pilotys Themenfindung und die Werkgenese werden - soweit die Quellen ausreichen - sehr detailliert und oft hervorragend analysiert; so beispielsweise von Claudia Schweighofer zu "Nero auf den Trümmern Roms" (235-247). Besonders hervorzuheben ist auch der Aufsatz von Carmen Michele "Die Schlacht von Ampfing", der besonders die historische Korrektheit der für die scheinbare Authentizität so wichtigen Kostüme nachweist (125-131).
Die Historienbilder erweisen sich als Spiegel der politischen Verhältnisse und Fragestellungen des 19. Jahrhunderts. Der propagandistische Aspekt der Historie zeigt sich, wie Alexander Langheiter darstellt, besonders bei "Der Morgen vor der Schlacht am Weißen Berg". Das Werk prägte als Schaubild für bayerische Schulen das Bildgedächtnis der Menschen und die Vorstellung von der Rolle ihres Herrscherhauses. Hierher gehören ebenfalls die "Lünetten des Mittelrisalits am Maximilianeum", deren didaktischer Charakter - wie Marika Menath darstellt - die Bestrebungen König Maximilians II. widerspiegeln (203-217). Das Gebäude beherbergt auch "Die Historische Galerie im Münchner Maximilianeum", für die Piloty zwei Werke lieferte. Die Problematik einer bildnerischen Erfassung von Universalgeschichte in einem didaktischen Programm analysiert Barbara Weis.
Dass die Historienbilder die Geschichtskenntnisse der Zeitgenossen überschreiten konnten und der schriftlichen Erläuterung bedurften, zeigt Jürgen Wurst in seinem hervorragenden Aufsatz zu Pilotys Monumentalwerk "Die Geschichte Münchens" (375-407). Diese Versammlung großer Geister wird von ihm mit historischen (zum Beispiel Raffael) und zeitgenössischen (zum Beispiel Paul Delaroche) "Gelehrtenversammlungen" verglichen.
Es gelingt den Autoren, Bezüge der Bilder zur Historiographie, den zeitgenössischen Vergleichsbeispielen, aber leider seltener zu kunsthistorischen Vorbildern herzustellen. Hier sei exemplarisch auf den Aufsatz von Barbara Weis verwiesen (133-149): Sie sucht für die Gruppenporträts auf dem Gemälde "Die Gründung der katholischen Liga" keinen Bezug zu vergleichbaren Werken aus dem 17. Jahrhundert (zum Beispiel bei Rembrandt van Rijn oder Frans Hals). Ausführlich dagegen behandelt diesen Aspekt Gudula Metzes hervorragender Aufsatz zu "Heinrich VIII. wirbt um Anna Boleyn" (301-317). Pilotys dezidiert kritischer Historismus ist nicht nur ein inhaltlicher, sondern eben auch ein kunst-historischer. Hinzu kommt, dass gerade die Vorbilder in der Historienmalerei vor 1800, wie etwa Nicolas Poussins "Der Tod des Germanicus", in Alice Laura Arnolds ansonsten detailliertem Text zu Pilotys "Der Tod Alexanders des Großen" zu knapp behandelt werden (351-373).
Pilotys Werk zeigt auch das persönlich motivierte Interesse des Künstlers am tragischen Helden, wobei ihm Theaterstücke als Inspirationsquelle dienen konnten. Letzteres gilt für das Gemälde "Die Gefangensetzung der Kinder König Edwards IV.", bei dessen Analyse Martin Hirsch auf den Aspekt des psychologischen Gespürs verweist. Dieses zeigt sich ihm zu Folge sowohl in Shakespeares Königsdramen, als auch in Pilotys Personendarstellungen (287-299). In diesem Zusammenhang ist der hervorragende Aufsatz von Claudia Steinhardt-Hirsch, "Thusnelda im Triumphzug des Germanicus" (319-349) zu nennen: Sie arbeitet die wechselseitige Beziehung zwischen dem Gemälde und dem zeitgenössischen "Historien-Theater" heraus. Wie sie betont, konnte Piloty durch die Orientierung am Theater das Manko einer fehlenden Bildtradition ausgleichen. Dabei deutet sie Pilotys tragischen Helden als spezifischen Beitrag zur Moderne, weil dieser die Ohnmacht des Menschen angesichts politischer Machtherrlichkeit repräsentiert.
Darüber hinaus sind die historischen Gestalten im 19. Jahrhundert auch als Personifikationen bestimmter Werte angesehen worden, worauf Jana Otmarowa in ihrem Aufsatz zu Pilotys sicher bekanntestem Werk "Seni vor der Leiche Wallensteins" hinweist (163-179). Wallenstein wurde beispielsweise mit Frieden und Religionsfreiheit identifiziert. Hier wird das Sinnbildhafte in Pilotys Bildern deutlich. Wie auch Juliane von Åkermann zu "Christoph Kolumbus" unterlässt sie es dennoch, die sinnbildhafte Ebene und den kunsthistorischen Bezug der in den Bildern auffallend platzierten Stillleben zu analysieren. Ähnlich greift Dinah Wijsenbeeks Analyse von "Wallensteins Zug nach Eger" zu kurz: Sie schildert zwar die Werkgenese, lässt aber die auffallenden Modifikationen der Vanitasmotive außer Acht.
Bis auf Schwachstellen, die besonders in den fehlenden Bezügen auf historische Vorbilder zu sehen sind, bietet "Großer Auftritt" als erste wichtige Publikation einen umfangreichen Überblick zu Pilotys Werk. Darüber hinaus gibt das Buch mit seinen hervorragenden Aufsätzen und Abbildungen dem Leser die Möglichkeit einer neuen Sicht auf das Phänomen der Historienmalerei im 19. Jahrhundert und ihrer künstlerischen, politischen und allgemein kulturellen Implikationen. Fazit: Ein gelungener "Großer Auftritt".
Andreas Baumerich