Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen: Wallstein 2003, 364 S., 15 Abb., ISBN 978-3-89244-629-3, EUR 35,00
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Die 2003 von Oliver Hochadel publizierte Monografie "Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung" subsumiert ihren Untersuchungsgegenstand fast vollständig unter dem gewählten Titel. Hochadel verfolgt in der vorgelegten Arbeit, die 2001 an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) als Dissertation erfolgreich verteidigt wurde, vor allem vier Aspekte der Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts, die über die Begriffe Wissenschaft, Öffentlichkeit, Elektrizität und Aufklärung benannt werden. Dabei wird einerseits die Elektrizitätslehre als spezieller Fall der Wissenschaften von der Natur im 18. Jahrhundert näher untersucht, zum anderen gilt der Begriff der Öffentlichkeit bei Hochadel als ein spezielles Kriterium dafür, dass von Aufklärung im 18. Jahrhundert gesprochen werden kann.
Hierzu untersucht Hochadel, wie die Wissenschaften von der Natur, im Speziellen die physikalische Lehre von der Elektrizität, sich im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem die Frage, wie sich die physikalische Naturforschung durch die Gewinnung von Öffentlichkeit gegenüber der bisher vor allem durch philosophisch-theologische Fragestellungen und Aspekte des Sammelns und Systematisierens geprägten Naturgeschichte abgrenzt. Es wird gezeigt, dass die Elektrizitätsforschung ein eigenständiges, sowohl institutionell getragenes als auch durch die Bestimmung ihres Forschungsgegenstandes abgegrenztes Profil gewinnt.
Würden sich Hochadels Untersuchungen nur auf diesen Untersuchungsgegenstand beschränken, so wäre die Monografie immer noch sehr lesenswert, neu wären diese Erkenntnisse jedoch in der wissenschaftshistorischen Forschung nicht. Was die Arbeit auszeichnet und besonders wertvoll macht, ist die Untersuchung, was eigentlich darunter zu verstehen ist, wenn man von Wissenschaft und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert spricht. Dass wissenschaftliche Publikationen und Berichte von Institutionen und Gesellschaften den Charakter der öffentlichen Wirksamkeit der Naturforschung des 18. Jahrhunderts bestimmten, ist hinlänglich bekannt und intensiv untersucht worden. Hochadel widmet sich jedoch darüber hinaus einem Bereich von Öffentlichkeit und Wissenschaft, der, zumindest für den deutschen Sprachraum, bisher - im Gegensatz zu England und Frankreich - fast vollständig unberücksichtigt blieb, nämlich der Untersuchung der Frage, wie die Forschung, Darstellung und Wirksamkeit der Elektrizitätslehre gerade von dem Bereich der nicht-institutionalisierten Wissenschaft getragen und vorangetrieben wurde. [1] Und genau in diesem Punkt leistet Hochadel wertvolle wissenschaftshistorische Pionierarbeit.
Im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht somit die Wissenschaftskultur der deutschen Aufklärung hinsichtlich des Verhältnisses der Bedeutung von Universität und Professoren einerseits und nicht-universitären Praktikern der Elektrizitätsforschung andererseits. Hochadels Monografie ist dabei in fünf Abschnitte unterteilt, die jedoch nicht in erster Linie nur die traditionelle Funktion der Strukturierung und Systematisierung des vorgelegten Textes erfüllen, sondern Schritte eines dargelegten Beweises sind.
Der erste Abschnitt dient Hochadel zur Erläuterung seiner These. Er wendet sich hierbei gegen die Verwendung eines normativen Aufklärungsbegriffes. Ein Kennzeichen von Aufklärung sieht Hochadel im Prozess der Verbreitung von Naturforschung in Bevölkerungsschichten, die nicht unmittelbar in institutionalisierte Lehr- und Forschungseinrichtungen, wie Universitäten und Akademien, eingebunden waren.
Die Naturkunde wurde dabei nicht nur in Form von Demonstrationen vor Mäzenen der Wissenschaften, wie bei den elektrischen Schauexperimenten an den Höfen gesellschaftsfähig, sondern physikalische Belustigungen und Erklärungen erlangten Interesse in weiten Kreisen der Bevölkerung. Die Elektrizitätsforschung wurde somit, so Hochadel, zur öffentlichsten Wissenschaft des 18. Jahrhunderts. Auch der Nutzen aus den Erkenntnissen der Elektrizitätsforschung, wie die Entwicklung der Theorie und Praxis des Blitzableiters, trugen zur Popularität und zur Verfestigung und Bestätigung der Erkenntnisse physikalischer Forschung bei. Die Elektrizitätslehre produzierte dabei jedoch erst über neu entwickelte Instrumente und Apparaturen die sinnliche Erfahrung ihres Gegenstandsbereiches und erreichte gerade durch die Vermittlung dieser sinnlichen Erfahrung ihr Publikum. Das Publikum selbst wurde dabei zum Bestandteil des Experimentes, und der Beobachter war ein Garant, ja sogar eine epistemische Instanz, für die hervorgebrachten Phänomene. Ausführlich beschäftigt sich Hochadel mit der herausragendsten Experimentalapparatur der Elektrizitätslehre, der Elektrisiermaschine. Er weist deren kulturelle Verbreitung als Instrument, Ware und Symbol auf und vermittelt ein anschauliches Bild über ihre Verwendung als Demonstrations- und Forschungsinstrument und als Apparatur für medizinische Anwendungen.
Die drei folgenden Abschnitte sind Beweisschritte, die in den letzten Abschnitt, die Konklusion, stringent münden. Dabei zielen die Beweisschritte auf drei spezielle Gegenstandsbereiche der allgemeinen These, die dann im letzten Abschnitt zusammengeführt und deren Abhängigkeiten durch die Darstellung offensichtlich werden.
Im ersten Schritt weist Hochadel am Fallbeispiel der Reichsstadt Augsburg nach, dass sich bei genauem Studium der überlieferten Quellen Belege finden lassen, die eindeutig Tendenzen der Aufklärung im naturwissenschaftlichen Kontext ausweisen. Hierzu wählt Hochadel vier Blickwinkel aus, die durch vier unterschiedliche Personen verkörpert werden: Erstens untersucht er die Bedeutung der Werkstatt von Georg Friedrich Brander für die Vermittlung naturwissenschaftlicher Aufklärung in Augsburg und, bedingt durch die Verbreitung der Instrumente von Brander, den Transport instrument-technischer Innovationen über die Grenzen Augsburgs hinaus. Zum Zweiten verfolgt Hochadel die Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens in den Augsburger Publikationen anhand der von Johann Andreas Erdmann Maschenbauer herausgegebenen Augsburgischen Intelligenzzettel. Dabei weist er nach, dass die Publikationen Maschenbauers einerseits die Elektrizitätsforschung des 18. Jahrhunderts weitreichend darstellen, darüber hinaus aber auch die Intelligenzzettel Kenntnisse über von Brander entwickelte Apparaturen einer breiten Öffentlichkeit verfügbar machen. Hochadel gelingt es dabei aufzuzeigen, dass die Wissenschaften beziehungsweise die Beschäftigung mit Naturphänomenen selbst als ein Träger von Aufklärung angesehen werden können. Zum Dritten verfolgt Hochadel die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Ausbildung am Gymnasium St. Anna durch Johann Christoph Thenn. Dabei wird sowohl die vielseitige Persönlichkeit von Thenn als Geistlicher, Naturforscher, Übersetzer und Schulreformer im Detail nachgezeichnet, als auch überzeugend dargestellt, dass Thenn neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse durch reformerische Bemühungen, auch wenn dies nicht immer gelingt, in der Schule umzusetzen versucht. Letztlich untersucht Hochadel die Einführung des Blitzableiters in Augsburg durch Jakob Langenbucher, vor allem hinsichtlich des Zusammenhanges seiner Etablierung mit der Erweiterung der Erkenntnisse in der Elektrizitätsforschung und dem sich verändernden Bild der öffentlichen Wahrnehmung und Bewertung seines Nutzens.
Der zweite Beweisschritt verlässt die Ebene der speziellen Untersuchung eines definierten raum-zeitlichen Bezugspunktes (Augsburg) und wendet sich der Bestimmung einer Personengruppe der Wissenschaft im 18. Jahrhundert zu. Im Mittelpunkt stehen dabei die umherziehenden Schausteller und Demonstratoren der Elektrizitätsforschung, insbesondere der Italiener Jakob von Bianchi. Trotz des vorhandenen Quellenproblems - zu den Schaustellern existieren meist keine direkten archivalischen Quellen und ihre Betätigung lässt sich meist nur aus indirekten Belegen, wie Verwaltungs- und Polizeiakten, aus Handzetteln zur Ankündigung ihrer Demonstrationen und aus Erwähnungen in Schriften von anderen Personen mühsam rekonstruieren - zeichnet Hochadel durch seine hervorragenden Archivstudien ein umfassendes Bild der Beschäftigung von Bianchi mit physikalischen Phänomenen und deren Vermittlung an ein öffentliches Publikum.
Der dritte Beweisschritt zeigt das Verhältnis von institutionalisierter und nicht-institutionalisierter Wissenschaft auf. Hierbei vergleicht Hochadel die Betätigungen von Martin Berschitz, einem über viele Jahrzehnte durch Mitteleuropa reisenden Schausteller der Elektrizität, mit dem Wirken des "Universitätsphysikers" Georg Christoph Lichtenberg. Die Untersuchung zeigt, dass im 18. Jahrhundert noch keine verfestigten inhaltlichen Bestimmungen der Elektrizitätsforschung als physikalische Wissenschaft existierten. Selbst Lichtenberg bestimmt die wissenschaftliche Beschäftigung mit Elektrizität über Abgrenzungskriterien zu der aus seiner Sicht nicht-wissenschaftlichen Forschung, wie sie Berschitz betreibt.
Die quellenkritische Absicherung der vorliegenden Monografie bewegt sich dabei auf einem sehr hohen Niveau. Hochadel hat für seine Monografie 120 kommunale und staatliche Archive in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf vorhandenes Quellenmaterial geprüft, wovon 71 Archivbestände aus 44 Archiven in die Untersuchung einflossen. Fast jede von Hochadel getroffene Aussage wird durch Quellenbelege abgesichert. Ein Personenverzeichnis hilft, in der umfangreichen Monografie Akteure der Wissenschaft um 1800 schnell zu finden.
Hochadels Monografie ist für jeden (Wissenschafts-)Historiker, der sich mit Naturwissenschaften und Aufklärung im 18. Jahrhundert sowie mit Fragen der Popularisierung der Naturwissenschaften beschäftigen will, unverzichtbar.
Anmerkung:
[1] Hochadel kommt hier zu Ergebnissen, welche zeitgleich auch im Sonderforschungsbereich "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" an der Universität Jena gemacht wurden: Auch in Jena wurde die Forschung um 1800 zu großen Teilen von Personen getragen, die nicht unmittelbar in das Gefüge der Universität eingebunden waren. Vergleiche hierzu: Gerhard Müller / Klaus Ries / Paul Ziche (Hg.): Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800 (= Pallas Athene; 2), Stuttgart 2001.
Heiko Weber