Rezension über:

Peter Arnold Heuser: Jean Matal. Humanistischer Jurist und europäischer Friedensdenker (um 1517 - 1597), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, XII + 566 S., ISBN 978-3-412-06003-9, EUR 54,90
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Rezension von:
Harald Horst
Diözesanbibliothek Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Harald Horst: Rezension von: Peter Arnold Heuser: Jean Matal. Humanistischer Jurist und europäischer Friedensdenker (um 1517 - 1597), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/05/4723.html


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Peter Arnold Heuser: Jean Matal

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Der Reformjurist und Ireniker Jean Matal ist in der Rechtsgeschichte bislang eher als Randfigur bekannt. Unbestritten ist seine Mitwirkung am Hauptwerk des Humanisten Antonio Agustín, den "Libri emendationum et opinionum" von 1543. Auch für die Digesten-Edition des Florentiners Lelio Torrelli auf der Grundlage des Codex Pisanus leistete Matal wertvolle Vorarbeiten. Nicht zuletzt Hans Erich Troje vermutete jedoch, dass der wirkliche, viel umfassendere Anteil Matals an diesen Werken bereits von deren Verfassern gar nicht angemessen herausgestellt worden sei. Seine Leistungen korrekt darzustellen sowie den weiteren Lebensweg Matals nachzuzeichnen, unternimmt die vorliegende, auf einer Bonner Dissertation basierende Studie.

Peter Arnold Heuser gliedert seine Darstellung in drei Abschnitte, die den Lebensphasen des burgundischen Gelehrten entsprechen. Für die erste Phase bis 1555 sind Quellen- und Forschungslage noch überschaubar, weshalb Heuser sie nur zusammenfassend skizziert (4). Jean Matal, um 1517 in Poligny (Franche-Comté) geboren, machte demnach während seines Studiums bei Ulrich Zasius (Freiburg im Breisgau) und Andrea Alciati (Bologna und Ferrara) Bekanntschaft mit der humanistischen Reformjurisprudenz. Nach dem Land ihrer frühesten Verbreitung auch "mos docendi gallicus" genannt, kritisierte diese den herrschenden, scholastisch-kommentierenden Umgang mit antiken Rechtsquellen und postulierte hingegen das humanistische ad-fontes-Prinzip auch für die Rechtswissenschaft.

Bereits in Bologna begegnet man einem großen Freundeskreis um Matal, den Heuser ausführlich vorstellt. Von Rom aus betrieb Matal gemeinsam mit Agustín Quellenstudien an Handschriften, wurde so ein ausgezeichneter Kenner italienischer Bibliotheken sowie gerne gehörter Berater bei Editionsvorhaben. Studien zu antiken Inschriften und Mythendarstellungen dienten dem Ziel, antike Rechtsquellen aus dem historischen Kontext ihrer Entstehungszeit heraus besser interpretieren zu können. Auch hier rückt Heuser die Leistungen Matals in der Entwicklung der Grundsätze moderner Epigrafik und Archäologie in ein neues Licht.

Eine Englandreise im Jahre 1555 gilt als Zäsur im Leben Matals: Er trennte sich von Agustín und kehrte unter Verlust all seiner wissenschaftlichen Unterlagen nicht nach Rom zurück. Im zweiten Abschnitt seines Buches beschreibt Heuser jene Phase der Umorientierung, die Matal in Kontakt mit humanistischen Irenikerkreisen brachte. Diese überwiegend spanisch-niederländischen Nonkonformisten versuchten, "die auseinander driftenden Konfessionskirchen miteinander zu versöhnen" und die Kirchenspaltung "im Geiste einer via media" zu überwinden (221). Insbesondere durch das Wirken Georg Cassanders am jülich-klevischen Hof schien dies lange Zeit erreichbar.

Nachforschungen zu einem Prozess um kirchliche Pfründen führten Matal 1563 nach Köln, wo er bis zu seinem Tod 1597 blieb. Auf dieser dritten großen Lebensphase Matals liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Studie. Der Humanist trat von Köln aus weniger denn je öffentlich in Erscheinung, führte allerdings eine europaweite Korrespondenz mit nahezu allen Geistesgrößen seiner Zeit. Anhand dieser Briefe als den einzigen verwertbaren Quellen erstellt Heuser eine soziologische Netzwerkanalyse der Ireniker am Niederrhein. Die - wie sie sich selbst nannten - "viri moderati" um Georg Cassander, Matal und dessen engsten Freund Pedro Ximénez (nicht der Jesuit gleichen Namens) standen zwar außerhalb der offiziellen kirchlichen Lehre, die auf konfessionelle wie politisch-militärische Konfrontation mit den Protestanten zielte. Dennoch blieben sie zeitlebens in der katholischen Kirche, versuchten ihr einen Weg des Friedens aufzuweisen und durch innere Reformen die Glaubensspaltung zu überwinden. Heuser zeigt in diesem zentralen Kapitel (335 ff.) die Linie auf, die von der humanistischen Reformjurisprudenz zur konfessionellen Irenik führt. Der Begriff der 'aequitas', der Billigkeit in der Anwedung antiker Rechtsgrundsätze auf konkrete Fälle, die im "mos gallicus" eine Renaissance erlebte, wird hier in Parallele gesetzt zur 'moderatio', dem zentralen Begriff der Friedensdenker. Sie stellten ein den Einzelfällen angemessenes Verhalten den Extrempositionen der streitenden Konfessionen gegenüber und versuchten, auch unter Berufung auf die gemeinsamen Schrift- und Traditionszeugnisse, die gegensätzlichen Positionen zu versöhnen.

Mit dem Tridentinum und dem zunehmenden jesuitischen Einfluss in der Kirche verhärteten sich jedoch die Glaubensfronten. Matal geriet dadurch - auch sozial - an den Rand der Gesellschaft, versuchte dennoch zeitlebens, von Köln aus irenisches Gedankengut zu fördern. Heuser beschreibt eindrücklich, wie Matal zwischen Autoren und Druckern vermittelte und so dazu beitrug, das Köln des ausgehenden 16. Jahrhunderts zur Hauptstadt der irenischen Literatur im Reich zu machen (411). Pure materielle Nöte scheinen Matal schließlich dazu veranlasst zu haben, seine ausgedehnten Kontakte in den Dienst politischer Nachrichtenübermittlung zu stellen. Die zentrale Lage Kölns zwischen vielen Kriegsschauplätzen machte die Stadt zu einem Nachrichtenknotenpunkt, von dem aus etwa Michael von Aitzing seine Messrelationen, die Vorläufer der modernen Zeitung, publizierte. Ihm und anderen Agenten arbeitete Matal zu, zog sich dabei immer mehr in ein stilles und privates Leben zurück. Die Hoffnung auf eine Überwindung der Glaubensspaltung gab er nie auf, doch gehört es zu seiner persönlichen Tragik, dass er sie durch seine geheime Tätigkeit vielleicht sogar noch gefördert hat.

Heusers detaillierte Studie über Jean Matal als Friedensdenker glänzt durch wichtige biografische Einzelergebnisse, geht aber weit über diesen Horizont hinaus. Von großer Bedeutung für die Erforschung der 'via media' am Niederrhein etwa ist die Erkenntnis, dass dieser "niederrheinische Reformkatholizismus" nicht nur in Düsseldorf (Cassander, Witzel), sondern auch in der freien Reichsstadt Köln Anhänger und Verfechter hatte. Heuser eröffnet hier die Diskussion, inwieweit deren irenische Tradition nicht nur von der 'devotio moderna' und dem christlichen Humanismus des Erasmus her geprägt ist, sondern auch vom aequitas-Denken des wieder entdeckten römischen Rechts beeinflusst wurde.

Bedauerlicherweise leidet die Lesbarkeit von Heusers Studie unter der Detailversessenheit, mit der er jeder noch so kleinen Nuance im Leben auch von Randpersonen (etwa der Kölner Altertumswissenschaftler, 297 ff.) nachspürt. An etlichen Stellen kommt es zu Doppelungen, etwa bei der Würdigung Michael von Aitzings als Erfinder der Messrelationen. Man fragt sich zudem, ob Matal an manchen Stellen nicht zu viel Ehre angetan wird. Beispielsweise suggeriert der Autor, dass Matal an eben jener Erfindung mindestens gleichen Anteil wie Aitzing gehabt habe (388). Dass Matal jener "unbekannte Gelehrte" sein könnte, von dem die bei Plantin 1586 erschienene Neuausgabe von Caesars "Bellum Gallicum" stammte (383), wird klugerweise nur zwischen den Zeilen - aber eben doch - angedeutet.

Bei aller Fülle des Materials, das Heuser gesichtet hat, wird hier deutlich, dass sich das Leben eines humanistischen Gelehrten anhand seiner nur fragmentarisch erhaltenen Korrespondenz nicht zur Gänze erfassen lässt. Doch ist es dem Autor unzweifelhaft gelungen, das Beziehungsgeflecht zu entwirren und zu beleuchten, in dem der gelehrte Geburtshelfer so vieler altertumskundlicher Werke gelebt hat. Heuser selbst zeigt hierbei zahllose Aspekte auf, die zukünftigen Studien vorbehalten bleiben werden. Man darf gespannt sein auf den Beitrag, den er selbst noch dazu liefern wird.

Harald Horst