Pieter Biesboer / Martina Sitt (eds.): Satire en vermaak. Schilderkunst in de 17e eeuw. Het genrestuk van Frans Hals en zijn tijdgenoten 1610-1670. Ausstellungskatalog Frans Hals-Museum, Haarlem 2003/04 / Hamburger Kunsthalle 2004, Zwolle: Waanders Uitgevers 2003, 232 S., 75 Farb-, 85 s/w-Abb., ISBN 978-90-400-8855-1, EUR 34,95
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Die Tradition, in welche sich die in Haarlem und Hamburg veranstaltete Ausstellung zur Haarlemer Genremalerei zur Zeit des Frans Hals und der diese begleitende Katalog einreihen, ist hochrangig: Verweist bereits der Titel der niederländischen Ausgabe - Satire en vermaak - deutlich auf die Epoche machende Amsterdamer Schau Tot lering en vermaak des Jahres 1976, so wird im Vorwort gleich eingangs der Bogen zur bis heute umfassendsten Ausstellung zur holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts geschlagen, die 1984 in Philadelphia, Berlin und London gezeigt wurde. Nach diesen beiden schulübergreifenden Ausstellungen wird nun erstmals der Genremalerei in Haarlem eine Ausstellung gewidmet. Hierbei sollte darauf hingewiesen werden, dass die 1993 gleichfalls im Frans Hals-Museum (sowie im Worcester Art Museum) gezeigte, herausragende Ausstellung rund um die Malerin Judith Leyster (1609-1660) bereits einen bedeutsamen Teil jener Haarlemer Genrebildkunst, nämlich den Schuleinfluss des Frans Hals, mustergültig zur Anschauung gebracht hatte.
Aus mancherlei Gründen durften Ausstellung und Begleitpublikation auf besonderes Interesse rechnen, wandte man sich mit der Stadt Haarlem doch der "Wiege der holländischen Kunst" (Bob Haak) zu. Dort waren es wesentlich die aus dem Süden geflüchteten flämischen Künstlerfamilien, die das Erbe Pieter Bruegels d. Ä. aus ihrer Heimat mitführten und zur Blüte der Kunst in Haarlem beitrugen (Frans Hals, Esaias van de Velde und andere). Weiterhin hatte sich in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten, nicht zuletzt in Folge der genannten Ausstellungen und der sie begleitenden Kataloge, die bis heute viel zitierte Referenzwerke sind, eine lebhafte und kontrovers geführte Diskussion um die Bestimmung der vieldeutigen Gattung Genremalerei, in Sonderheit aber der Ausdeutungsmöglichkeiten der dargestellten, (scheinbar) alltäglichen Szenen ergeben. Zuletzt wurde durch die Publikation monografischer Ausstellungskataloge, gewidmet den Protagonisten der Haarlemer Genremalerei - Frans Hals (1989/90), Judith Leyster (1993), Jan Steen (1996/97) und Jan Miense Molenaer (2002/03) -, das Material vorzüglich aufbereitet.
Die Voraussetzungen zu einer Bestandsaufnahme der Forschungssituation zur Genrekunst im Holland des 17. Jahrhunderts - dabei in kluger Beschränkung auf die "Haarlemer Schule" - schienen gegeben. Doch erfüllt der vorliegende, unter der Federführung von Pieter Biesboer und Martina Sitt entstandene Katalog die Erwartungen über weite Strecken nicht. Fünf sämtlich sehr knapp gehaltene Essays sind dem Katalogteil vorangestellt: Zunächst führt Biesboer in das Thema der Ausstellung ein, wobei er mit gerade einmal zwei Absätzen die künstlerische Situation im Haarlem der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts mehr andeutet denn umreißt, ehe er sich in der Folge darauf verlegt, wesentliche Sujets der Haarlemer Genremalerei in einer Knappheit zu skizzieren, die alle wesentlichen Forschungsprobleme unerwähnt lässt.
Wie stets, so ist auch diesmal der Beitrag von Cynthia von Bogendorf Rupprath sehr lesenswert, die sich den wechselseitigen Beziehungen der Maler des Frans Hals-Kreises widmet. Im Zentrum steht mit Jan Miense Molenaer ein interessanter und zuletzt stärker in den Fokus der Forschung gerückter Maler, dessen Motiventlehnungen aus Werken von Pieter Bruegel d. Ä., Frans und Dirck Hals plausibel dargelegt werden. Lobenswert ist, dass hier auch einmal das Verhältnis zu den zeitgenössischen Amsterdamer Genremalern (unter anderen Willem Duyster, Pieter Codde) in die Betrachtung eingeschlossen wird.
Es schließt sich der Aufsatz Martina Sitts an, die unter dem Titel "Verdichtete Eigenschaften" die "Charakteristika der Genreportraits von Frans Hals" [1] aufzuschlüsseln trachtet. Es empfiehlt sich, diesen Beitrag zusammen mit dem Katalogeintrag derselben Autorin zum Berliner Flötenspieler des Frans Hals (Kat. 19) zu betrachten, bildet genanntes Gemälde doch den Ausgangspunkt der Ausführungen der Autorin, die inhaltlich-ikonographische wie formale Aspekte gleichermaßen abhandelt: Durfte man bisher davon ausgehen, dass Frans Hals einen Knaben mit einer Blockflöte dargestellt hat, der mit seiner linken Hand den Takt schlägt und dessen Blick auf ein außerhalb des Bildfeldes befindliches muziekboek fällt - eine Szene, wie sie dutzendfach in der holländischen Bildkunst der Zeit verbildlicht wurde -, so wird nun erwogen, der junge Musikant nötige mit seiner Geste - als einem "Zeichen der Unnahbarkeit" (116) - den Beschauer innezuhalten (34)! Dass eine solche Lesung die Bildtradition, ja sogar die unmittelbar einflussgebende zeitgenössische Bildkunst - den Utrechter Caravaggismus (vor allem Hendrick Terbrugghen) - ausblendet, zugleich aber auch jedweder anderen Grundlage entbehrt, bräuchte nur beiläufig erwähnt zu werden, wenn sich dieser eigensinnige Zugang der Autorin zur Ikonographie der Genrestücke des 17. Jahrhunderts nicht häufiger beobachten ließe. [2] Das Hauptaugenmerk Sitts aber gilt der Darlegung der formalen Charakteristika der Werke des Frans Hals und der hieraus resultierenden Konsequenzen für die Bildwirkung und -aussage: Ausgehend von der fraglos zutreffenden Beobachtung einer bewussten Differenzierung von Flächigkeit und Räumlichkeit im Bilde gelangt die Autorin zu dem Schluss, dass dieser "Wechsel von Aufsicht auf die Malfläche und Illusion eines Bildraumes über die Strichführung" eine "Verunsicherung" (des Beschauers) bewirke, der im Inhaltlichen der "Gesamteindruck einer völlig unverbindlichen Aussage" der dargestellten Figuren entsprechen soll (35). Die resultierende "Uneindeutigkeit" der Figuren trage nun zur besonders präsenten Wirkung derselben bei, müsse der Betrachter doch "die divergierenden Informationen bezüglich Raum und Fläche, Ausdruck und Handlung wahrnehmen und reflektiert erleben" (35). Man wird bezweifeln dürfen, dass eine solche Rezeptionshaltung einem Genregemälde des 17. Jahrhunderts angemessen oder gar einem Zeitgenossen zuzutrauen ist, doch macht dieses Konzept eine dergestalt abenteuerliche Deutung wie jene oben zitierte des Berliner Flötenspielers verständlich.
Beiträge von Karel Bostoen und Louis Peter Grijp beschließen die Reihe der Aufsätze. Der Literaturhistoriker Bostoen thematisiert anhand von zwei Gemälden Molenaers exemplarisch die Beeinflussung der Genremalerei durch die zeitgenössische Literatur: Zunächst geht es um eine Darstellung der Schlussszene aus Brederos Tragikomödie Lucelle (Kat. 36), in der Folge um die Betrachtung des Trunkenen Eierhändlers (Kat. 31) und der möglichen literarischen Assoziationen des zeitgenössischen Beschauers - ein erhellender Exkurs. Der Musikwissenschaftler Grijp gibt zuletzt einen kursorischen Überblick über die mannigfaltigen Bedeutungen musikalischer Motive in Haarlemer Genrebildern, ehe auch die tatsächliche Musikübung im holländischen Goldenen Zeitalter und deren Widerspiegelung in der Bildkunst umrissen werden. Herauszuheben ist die Diskussion des möglichen Einflusses der weitverbreiteten Liederbücher der Zeit (Texte und Illustrationen) auf die Darstellungen in der Malerei.
Der anschließende Katalogteil umfasst 59 Werke von elf mehr oder weniger lang in Haarlem tätigen Meistern. Zunächst sind die Meister der kleinfigurigen "Lockeren Gesellschaften" - Esaias van de Velde, Willem Buytewech und Dirck Hals - in gutklassigen, sämtlich zwischen 1614 und 1631 geschaffenen Beispielen vertreten (Kat. 1-18). Darauf folgen vier Werke von Frans Hals, fünf von Judith Leyster und gleich elf von Jan Miense Molenaer. Nimmt man noch die fünf Werke des Hendrick Gerritsz Pot hinzu, so wird jener Kreis abgeschritten, der bereits 1993 Gegenstand der erwähnten Ausstellung rund um Judith Leyster war. Wenig überzeugend bleibt, dass in die Werkauswahl ein Familienporträt (Kat. 34), eine Theaterszene (Kat. 36) und eine Vanitas-Allegorie (Kat. 43) Aufnahme fanden; leider werden Grenzen und Kriterien der Genremalerei an keiner Stelle im Katalog diskutiert. Das letzte Drittel des Katalogteils ist der späteren Haarlemer Genremalerei bis 1670, da Jan Steen die Stadt nach zehnjährigem Aufenthalt verlässt, gewidmet. Neben Steen finden auch Adriaen Brouwer und die Brüder Adriaen und Isack van Ostade Berücksichtigung. Die drei letztgenannten Künstler werden in Werkauswahl und Einpassung in die Geschichte der Haarlemer Genrekunst jedoch recht stiefmütterlich behandelt.
Die einzelnen Katalogbeiträge sind von durchaus unterschiedlicher Qualität; zumeist beschränkt man sich auf knappe Texte, die abermals die Beschäftigung mit den wichtigen und stets lebhaft diskutierten Fragen zur Interpretation der Gemälde vermissen lassen. Allgemein akzeptiert man - und wohl ganz zu recht - das Vorhandensein moralisierender Implikationen; lediglich Elmer Kolfin deutet an, dem unterhaltend-satirischen Anteil der Darstellungen das Hauptgewicht zuerkennen zu wollen (Kat. 1, 2, 3, 39). Während einige Beiträge in ihrer beleglosen, frei assoziierenden Deutungslust den Werken des 17. Jahrhunderts arg zusetzen (Kat. 57, M. Sitt; Kat. 12, 58, M. Altner), wissen die gründlichen und materialreichen Beiträge von Cynthia von Bogendorf Rupprath (besonders Kat. 5, 7, 30, 32, 35) zu überzeugen.
Es bleibt abschließend festzuhalten, dass der Haarlem-Hamburger Katalog den Erwartungen nicht gerecht wird: Weder wird ein fundierter Überblick über die Haarlemer Genremalerei des Gouden Eeuw gegeben - kleinere Meister wie Cornelis Bega oder Cornelis Dusart werden nicht einmal erwähnt -, noch wird die Forschungssituation zur Gattung diskutiert oder gar zusammengefasst. Und ein letztes Ärgernis zum Schluss: Der unschöne Flickenteppich aus Gemäldedetails im Aufsatzteil sollte keine Schule machen.
Anmerkungen:
[1] Für Zitate wurde die deutsche Fassung des Kataloges, die unter dem Titel "Vergnügliches Leben. Verborgene Lust" vorliegt, herangezogen.
[2] Vgl. unter anderem die Deutung von Molenaers Gemälde Tanz auf der Dorfstraße (Rheinisches Landesmuseum, Bonn), wo der musizierende Zwerg - ohne jeden Beleg - als ein "mitgeführtes Attribut [der] blasierten Langeweile" (37) eines Bürgerpaares bezeichnet wird. Siehe hingegen die ausführliche Deutung von Dennis P. Weller in Jan Miense Molenaer. Painter of the Dutch Golden Age. Ausstellungskatalog North Carolina Museum of Art, Raleigh u.a. 2002/03, Kat. 6.
Marcus Dekiert