Rezension über:

Erwin Panofsky (Hg.): Korrespondenz 1937 bis 1949, hg. v. Dieter Wuttke (= Erwin Panofsky. Korrespondenz 1910 bis 1968. Eine kommentierte Auswahl in fünf Bänden; Bd. 2), Wiesbaden: Harrassowitz 2003, 1363 S., 47 s/w-Abb., ISBN 978-3-447-04564-3, EUR 180,00
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Rezension von:
Karen Michels
Kunstgeschichtliches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Karen Michels: Rezension von: Erwin Panofsky (Hg.): Korrespondenz 1937 bis 1949, hg. v. Dieter Wuttke, Wiesbaden: Harrassowitz 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/09/5062.html


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Erwin Panofsky (Hg.): Korrespondenz 1937 bis 1949, hg. v. Dieter Wuttke

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Panofsky und kein Ende? Nach dem opulenten ersten Band der Korrespondenz des großen Kunstgelehrten hat Dieter Wuttke nun einen zweiten vorgelegt, der 762 Briefe und andere Dokumente - eine Auswahl der in den Jahren 1937 bis 1949 entstandenen Korrespondenz - umfasst.

Endgültig tritt Panofsky als unermüdlicher Briefschreiber in Erscheinung, dessen Ausdrucksskala alle Bereiche, vom privaten Gesundheitsreport über beißend-witzige Kollegenkritik bis hin zur Skizze neuer wissenschaftlicher Ideengebäude umfasst. Nicht alles vermag den heutigen Leser gleichermaßen zu fesseln. Panofsky tritt als stolzer Vater hervor, der dem Korrespondenzpartner Bewunderung für die beiden wohlgeratenen Söhne abnötigt. Lange Passagen gelten dem Verhalten und dem Wohlergehen der diversen Hunde. Neue Freundschaften, wie die zu dem amerikanischen Schriftsteller Booth Tarkington, werden geschlossen und gepflegt. Bücher müssen bestellt, eigene Veröffentlichungen verschickt, Einladungen zugesagt, Verabredungen getroffen werden. Zahllose Dankesbriefe säumen den Weg des Lesers, deren humanistisch gesättigtes Floskelwerk man bald schon wiedererkennt: das Alltagsgeschäft eines Wissenschaftlers, der sich, das ist unübersehbar, aktiv beteiligt an den Bewegungen seines Faches. Interessanter wird es dort, wo sich - meist unter dem Schutzmantel der (Selbst-) Ironie - der Mensch Panofsky zu erkennen gibt: Mit rührender Treue hängt Panofsky an der in Deutschland zurückgebliebenen Haushälterin. Mit kaum nachlassendem Engagement bemüht er sich um die berufliche Eingliederung emigrierter Kollegen in die amerikanische Wissenschaftslandschaft.

Mit dem gebotenen Respekt, aber doch aller innerer Beteiligung begleitet er die Partnersuche der Söhne - und mischt sich überraschend nachdrücklich in dem Moment ein, in dem Hans ("Hanpan oder Munnimuck") sich anschickt, eine nichtjüdische Frau zu heiraten: "Ich würde ihr sagen müssen [...], dass, obwohl die Juden heutzutage Pariahs sind, ich persönlich Deine Einheirat in eine arische Kleinbürgerfamilie durchaus nicht als eine uns erwiesene Gnade ansehen kann." (315) Wie die Mehrzahl seiner deutsch-jüdischen Kollegen versteht sich Panofsky offiziell als Bürger einer universalen "Gelehrtenrepublik", in der religiöse Fragen keine Rolle spielen, in der die einstmals von Spinoza eingeforderte Toleranz das allgemeingültige Ideal darstellt. Im geschützten Raum der privaten Korrespondenz zeigt sich, dass er doch auch eine jüdische Identität besitzt. Seismographisch genau registriert Panofsky die zunehmende antisemitische Stimmung auch im Exilland - und äußert immer häufiger die Sorge, auch dieses in absehbarer Zeit wieder verlassen zu müssen: "Wir tun wahrscheinlich gut, irgendeinen Buschmann-Dialekt zu lernen, damit wir nach dem hiesigen Herauswurf (1941, taxiere ich bekanntlich) irgendwo vom Affenbrotbaum leben können" (148), schreibt er 1938 an den Sohn Wolfgang - es ist unschwer zu erkennen, dass sich hinter der witzigen Bemerkung eine gehörige Portion Verzweiflung verbirgt. Unter dem Eindruck des Krieges schließlich engagiert er sich sogar für den "United Jewish Appeal", der Hilfsgelder für die verfolgten Juden sammelte - was Panofsky "insofern diebischen Spaß macht, als ich Briefe an alle Juden schicken kann, die, wie Tolnay und Swarzenski, gerne glauben, dass niemand weiß, dass sie welche sind." (282)

Von den Auswirkungen der politischen Geschehnisse auf die psychische Verfassung des nach außen hin abgeklärten Intellektuellen und der apokalyptischen Stimmung im Haus berichtet auch seine Frau Dora, deren briefliche Äußerungen inkorporiert sind: "Ja überhaupt die Politik! Papi ist so erbittert wie lange nicht, und die Radionachrichten machen einen fast krank." (147) Neben der europäischen Entwicklung wird auch die amerikanische Politik dezidiert kommentiert und diskutiert und am Eintreten für F.D Roosevelt nie ein Zweifel gelassen - wobei das eigene Engagement immer wieder auch durch eine resignative Haltung gebrochen wird, die Voltaires "Candide" entlehnt ist: "cultivons notre jardin". (217)

Der entscheidende Erkenntnisgewinn dieses zweiten Korrespondenzbandes jedoch beleuchtet eine andere Sphäre: Das Verhältnis des deutsch-jüdischen Emigranten zu Deutschland und zu den dort verbliebenen Kollegen. Generell sind wir noch viel zu wenig darüber informiert, wie sich die deutsche Kunstgeschichte nach dem Herauswurf der vielen jüdischen Kollegen entwickelt hat: Die Frage, wie und in welchem Umfang die politischen Instanzen des nationalsozialistischen Deutschland Einfluss genommen haben auf die Arbeit an den Universitäten und Museen, auf die wissenschaftlichen Zeitschriften und die Forschungsförderung, ist bis heute nur für kleine Teilbereiche beantwortet. Panofskys Briefwechsel spiegelt diese Situation von der anderen Seite des Atlantiks aus. Eindeutige Stellungnahmen bestimmen hier ebenso das Bild wie Variablen, Veränderungen, etwa im Verhältnis zur nach London emigrierten KBW. Das Tableau der schwarz-weiß - Kontraste wird durch Figuren wie Wilhelm Pinder auf der einen und Bruno Snell auf der anderen Seite bestimmt. Pinder, dessen Parteinahme für die Nationalsozialisten seit der Untersuchung von Marlite Halbertsma eindeutig nachgewiesen ist, war noch in Deutschland in mehreren wissenschaftlichen Diskussionen Panofskys Gegenspieler gewesen. Seinem amerikanischen Kollegen Alfred Barr, Direktor des Museum of Modern Art, liefert er 1937 folgende Charakterisierung: "Pinder is very gifted, and, in certain respects, 'more modern' (als Georg Dehio, KM), but unreliable and subjective in a rather disagreeable way: he writes either with foam on his mouth, or with tears in his eyes." (39) Es verwundert nicht, dass Panofsky gerade auf die "Subjektivität" Pinders abhebt - stand er selbst doch in einer Tradition, die Wissenschaft im allgemeinen und auch die Kunstgeschichte im speziellen sowie deren Ergebnisse als objektiv begründet ansah.

Deutschland und die dort ehemaligen Kollegen jedenfalls, das ist dem zweiten Band der Briefedition zu entnehmen, geriet keinesfalls aus dem Blickfeld des Emigranten. Aus heutiger Sicht sind jedoch allein die technischen Probleme der Kommunikation mit den wenigen dort verbliebenen Vertrauten kaum nachvollziehbar: Wenn etwa der loyale Freund Bruno Snell, Gräzist an der Hamburger Universität und sich dort während der gesamten Nazi-Zeit seine politische wie menschliche Integrität bewahrend, Panofsky im August 1937 aus London schreibt, er nutze "die kurze Freiheit von deutscher Zensur", um ihm über das Schicksal der in Hamburg verbliebenen gefährdeten Kollegen, den "Sorgenkindern", zu berichten.

Nach Kriegsende sind die Beurteilungen deutscher Kollegen eindeutiger: Ganz genau, so geht aus den Briefen hervor, hat Panofsky über die Jahre die politischen Verhaltensweisen der im Lande Verbliebenen registriert. An den amerikanischen Kunsthistoriker Meyer Schapiro sendet er im August 1945 eine detaillierte Auflistung der schwarzen und der weißen Schafe - zu den ersteren werden (um nur die Kunsthistoriker zu nennen) Pinder, Schrade, Stange gezählt, zu den letzteren Pauli, Heydenreich und ein weiterer Schüler aus Hamburger Tagen, Udo von Alvensleben. (609 f.) Andere Personen werden in den Grauzonen positioniert, so "those half-hearted Nazis like Percy Ernst Schramm". (610)

Dass der Vorgang der Ablösung von Deutschland, der Verlust eines Teils der eigenen Identität und die erzwungene Konstruktion einer neuen, doch mit mehr Verletzungen und Schmerzen verlaufen ist, als es die Fassade des vermeintlichen Stoikers bisher hat glauben machen wollen, zeigt sich in dem Moment, als der Krieg zu Ende ist: so etwa im Falle Hermann Giesaus, mit dem der junge Panofsky gut befreundet gewesen war. Giesau war seit 1930 Provinzialkonservator der Provinz Sachsen gewesen und seit 1933 außerordentlicher Professor in Halle; 1933 war er in die SA, 1937 in die NSDAP eingetreten. Giesaus Versuch, nach dem Krieg mit Panofsky wieder in Verbindung zu treten, werden von der bekannten, kläglichen Argumentation begleitet. "Ich habe versucht", so Giesau in einem Brief vom Oktober 1947, "mich zu erinnern, wie unser Austausch vor 33 war, und da komme ich nicht mehr nach. Mein Erinnerungsvermögen war immer gering, auch in mich berührenden Dingen [...]. Ich habe Ihnen kein Wort des Abschieds gesagt, als sich die Verhältnisse 33 zuspitzten? Nun, meinen Sie, ich hätte warm gesessen und keine Probleme zu lösen gehabt? [...] Ich bin überzeugt, dass Sie weniger Gewissenskämpfe zu bestehen und seelische Leiden zu erdulden gehabt haben als ich, nachdem Sie über den Berg waren [...] Ich verstehe, dass Sie von den Deutschen nichts mehr wissen wollen, ich will es ebenso wenig wie Sie; aber vielleicht werden Sie Vieles langsam verstehen lernen und dann vielleicht sogar etwas Mitleid aufbringen für diejenigen, die diesen Rattenfänger in ihrer Heimat ertragen mussten." (880)

Wer wird von der Lektüre dieser überwältigenden Fülle von Briefen profitieren? Der Kunsthistoriker, der sich für die Genese bedeutender Texte seines Fachs interessiert; der Exilforscher, der hier einen bewusst betriebenen Akkulturationsprozess exemplarisch nachvollziehen kann; der Mentalitätshistoriker, der scharfsinnige Einblicke in die Unterschiede zwischen deutscher/europäischer und amerikanischer Lebensauffassung erhält; der Wissenschaftshistoriker, der Judaist... wer aber auch immer sich ein Herz fasst: Er muss Zeit, Geduld und Langmut mitbringen - und er muss mit dem vorzüglichen Apparat umgehen können, der den vorliegenden Band erneut begleitet. Auch das "Register der Namen und Sachen" stellt bereits für sich ein Gewebe dar, das in einzelne Fäden aufgelöst werden muss. Gelegentlich allerdings fühlt sich der Leser doch etwas überbehütet: Etwa wenn der Herausgeber den oben zitierten "Rattenfänger" mit einer Anmerkung versieht, die dessen Identität dankenswerterweise entschlüsselt: "Hitler".

Karen Michels