Rezension über:

Edward Corp: A Court in Exile. The Stuarts in France, 1689-1718, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XVI + 386 S., 25 fig., ISBN 978-0-521-58462-3, GBP 55,00
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Rezension von:
Raingard Eßer
University of the West of England, Bristol
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Raingard Eßer: Rezension von: Edward Corp: A Court in Exile. The Stuarts in France, 1689-1718, Cambridge: Cambridge University Press 2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9 [15.09.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/09/5428.html


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Edward Corp: A Court in Exile

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Der spektakuläre politische Fall von Herrscherhäusern im Europa des 17. Jahrhunderts scheint zurzeit in der historischen Forschung Konjunktur zu haben. Die vom Haus der Bayerischen Geschichte im letzten Jahr in Amberg organisierte Ausstellung "Der Winterkönig" und der daraus entstandene Katalogband [1] sind hier ebenso zu nennen wie die vorliegenden von Edward Corp herausgegebenen Studien über die Stuarts in Frankreich. Beide Bücher beschäftigen sich mit Monarchen auf der Flucht und im Exil. Was bei dem "Winterkönig"-Band am Ende einer langen, turbulenten, von manchen Historikern auch als tragisch bezeichneten Ereigniskette steht, haben Corp und seine Mitarbeiter ins Zentrum ihrer Analyse gestellt.

Obwohl die Geschichte Friedrichs V. und seiner Familie in Den Haag und in ihrem Sommerschloss in Rhenen insgesamt nur drei Schlusskapitel der großen Friedrich-Schau einnimmt, das Exil der Stuarts in Frankreich hingegen 358 Seiten füllt, die durch einen Anhang mit dem Personal am Hof in Saint-Germain ergänzt werden, bleibt doch die Studie der exilierten Pfälzer am Ende befriedigender als das Gruppenportrait der Familie Stuart und ihrer Höflinge. Das mag am Stil und an der Intention liegen, mit denen Corp (Professor für Britische Geschichte an der Universität Toulouse) und seine Kollegen Edward Gregg (Professor für Geschichte an der Universität von South Carolina), Howard Erskine-Hill (Emeritus Professor für Literaturgeschichte an der Universität Cambridge) und Geoffrey Scott, OSB (und Abt der Abtei Douai, Reading) die Geschicke von Jakob II., seiner Frau Maria von Modena und deren Kindern Jakob (hier hartnäckig als Jakob III. tituliert) und seiner im Jugendalter verstorbenen Schwester Louise-Marie und ihren Aufenthalt in Frankreich beschreiben.

Zweifellos geht es den Autoren, die bereits durch frühere Arbeiten zu den Stuarts im Exil hervorgetreten sind, um die Rehabilitierung der Familie in den Augen der Nachwelt. Es soll aufgeräumt werden mit der alten, vor allem von der whiggistischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in die Welt gesetzten Diskreditierung des Stuarthaushalts im Exil als eines verarmten, notorisch unzuverlässigen und kulturell ins Abseits gedrängten Hofes (4-8). Dessen Bild, so wird argumentiert, beruht bislang zum größten Teil auf den Informationen über die letzten Jahren in Saint-Germain, die die Witwe Maria von Modena allein ohne ihren nun zunächst in Lothringen, dann in Italien lebenden Sohn und ohne die frühere Protektion durch den inzwischen verstorbenen französischen König Ludwig XIV. fristen musste.

In ihrem Bemühen, ein ausgeglicheneres Bild des Stuart-Hofes zu vermitteln, als es ihrer Ansicht nach bislang der Fall ist, durchkämmen die vier Wissenschaftler ein weites Feld persönlicher und offizieller Korrespondenz (in englischen, schottischen, französischen, belgischen und US-amerikanischen Archiven), Inventarlisten aus Saint-Germain und State Papers aus London und Paris. Diese archivalische Rekonstruktion, die Corp bereits 1998 komplett vorgelegt hat (in: Archives 23 (1998), Nr.99, 118-146), ist zu bewundern, da das eigentliche Archiv der Stuart-Höfe in Saint-Germain und Bar-le-Duc während der Französischen Revolution fast vollständig zerstört worden ist.

Durch die detaillierte Rekonstruktion des Schlosses von Saint-Germain (des politischen Hauptortes der exilierten Stuarts) und seiner politischen Funktionsräume, durch die Analyse von Portraits, die die Stuarts in großer Zahl anfertigen ließen - nicht zuletzt um ihren Anspruch auf den britischen Thron im In- und Ausland visuell wach zu halten - und durch einen Überblick über die Festveranstaltungen vor allem in der Zeit Jakobs II. wird das Bild einer aktiv an ihrem Image als königlichem Hof arbeitenden Gesellschaft entworfen, die herzliche persönliche Verbindungen mit dem französischen Königshaus unterhielt, das die Freunde aus Großbritannien finanziell großzügig unterstützte. Dieser Hof umfasste nicht nur die königliche Familie selbst, sondern auch eine ständig größer werdende und zu versorgende Gruppe englischer und zunehmend schottischer Aristokraten, die nach 1690 und dann wieder vermehrt nach dem gescheiterten schottischen Aufstand von 1715 nach Frankreich flohen und deren Zusammenleben nicht zuletzt durch wachsende Rivalitäten um schrumpfende Ressourcen, aber auch durch den konfessionellen Gegensatz zwischen den älteren, überwiegend katholischen und den jüngeren protestantischen Exulanten mehr und mehr erschwert wurde.

Trotz des Facettenreichtums der hier besprochenen Themen - von höfischer Musik, Poesie und Malerei bis zum religiösen Leben in Saint-Germain - bleibt die Darstellung bedauerlicherweise sehr eindimensional und letzten Endes zu deskriptiv. Beziehungen zwischen den Stuarts und ihrem mächtigen französischen Gastgeber werden auf die persönliche Zuneigung der Monarchen und ihrer Familienmitglieder reduziert, um nicht sonderlich überzeugend zu demonstrieren, dass Ludwig XIV. ein ernsthaftes persönliches Interesse an der Restauration der Stuarts in Großbritannien gehabt habe und damit oft mit dem Rat seiner weniger Stuart-freundlichen Minister kollidierte (siehe Kapitel 6 und besonders das Resümee, 179).

In dieser Interpretation hat auch die Ausweisung Jakobs III. aus Frankreich mehr mit den Animositäten zwischen ihm und dem Thronfolger Ludwigs XIV. als mit der französischen Europapolitik nach dem Frieden von Utrecht zu tun. Vor allem Maria von Modena und Jakob II. werden zu selbstlosen Patronen ihrer Höflinge und besonders der verarmten irischen Soldaten auf der Flucht vor Wilhelm III. stilisiert, die ihre letzten persönlichen Schmuckstücke zur Unterstützung der Iren und ihrer Familien aufwendeten (siehe Kapitel 4 und Kapitel 14). Beziehungen zum weiteren französischen Umfeld bleiben weitgehend ausgeblendet, obwohl vor allem die englischen und schottischen Töchter exilierter Adeliger in die französische Gesellschaft einheirateten. Anti- (oder pro-) jakobitische Pamphletistik, wie sie Simon Groenveld gegen die Pfälzer in den Niederlanden ausfindig gemacht hat [2], scheint es in Frankreich nicht gegeben zu haben.

So bleibt der Stuart-Hof in Frankreich in der hier vorliegenden Darstellung allzu sehr auf sich selbst bezogen. Die Autoren sehen sich zweifellos in der Tradition der älteren, englischen "Court Studies", deren Faszination für kostbare Kunstgegenstände und Hofkultur im älteren Sinne oft den Blick auf die relevanten Fragen nach politischer Repräsentation, Instrumentarien der Herrschaftsinszenierung und symbolischer Kommunikation wie sie die neuere kulturwissenschaftliche Forschung aufgeworfen hat, verstellt. Das ist leider auch in diesem Band der Fall.


Anmerkungen:

[1] Peter Wolf / Michael Henker / Evamaria Brockhoff / Barbara Steinherr / Stephan Lippold (Hg.): Der Winterkönig. Friedrich V. Der letzte Kurfürst aus der Oberen Pfalz. Amberg - Heidelberg - Prag - Den Haag, Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2003, Stadtmuseum Amberg 9. Mai bis 2. November 2003 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur; Bd. 46/03), Regensburg 2003.

[2] Simon Groenveld: König ohne Staat: Friedrich V. und Elisabeth als Exilierte in Den Haag 1621 - 1632 - 1661, in: Der Winterkönig (wie Anm. 1), 162-186, hier 180.

Raingard Eßer