Heiko Stoff: Ewige Jugend. Konzepte der Verjüngung vom späten 19. Jahrhundert bis ins Dritte Reich, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 555 S., 16 Bildtafeln, ISBN 978-3-412-11103-8, EUR 54,90
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"Die Zeit ist immer gegen das, was sie erschaffen hat. Gegen das, was ist". [1] Vergänglichkeit ist eine der prägendsten Erfahrungen des modernen menschlichen Lebens und zugleich der Auslöser großer Unsicherheiten. Verlief das vormoderne Leben in gleich bleibenden Bahnen, waren Natur und Kultur konstante Größen und das eigene Leben durch Geburt und Stand vorherbestimmt, so beschleunigte die Industrialisierung den Wandel und damit auch die Erfahrung von Aufstieg und Verfall in allen Lebensbereichen. Wo Bezugsysteme sich auflösen, überkommene Ordnungen infrage gestellt werden, die Außen- und die Innenwelt rasanten Veränderungen unterworfen wird, da steht auch der Mensch zur Disposition. Wenn alles veränderbar ist, warum sollte dann nicht auch der Mensch selbst, sein nun nicht mehr als gegeben verstandener Körper, gestaltbar sein?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das anzuzeigende Buch, das aus der Dissertation des Verfassers, die an der Universität Hamburg eingereicht wurde, hervorgegangen ist. Es stellt einen Beitrag zur Körpergeschichte dar, die sich in den letzten Jahren in Deutschland auch akademisch etabliert hat. Mit seiner Konzentration auf wissenschaftstheoretische Diskurse kann das Werk in die Tradition der Arbeiten Michel Foucaults eingeordnet werden. Ähnlich wie der Schweizer Historiker Philipp Sarasin betrachtet Heiko Stoff einen in sich abgeschlossenen wissenschaftsinternen Diskurs, der vielfältige Wirkungen nach außen erzielte und damit prägend auf das Körperverständnis seiner Zeit wirkte. Leider fehlt dem Buch eine solche theoretische Selbstverortung, die sicher strukturierend auf die Analyse gewirkt und damit eine prägnantere Ergebnisformulierung ermöglicht hätte.
Inhaltlich setzt sich die Arbeit zum Ziel, so Heiko Stoff, "die Bewegungen der Verjüngung nachzuvollziehen und die Orte aufzusuchen, an denen sie besondere Wirksamkeit erlangte" (11). Er betrachtet damit eine der großen menschlichen Sehnsüchte, die sich durch die Zeit immer wieder artikulierte, nämlich den Wunsch nach Jugend und Gesundheit und ihrer Erhaltung. Allerdings richtet Heiko Stoff sein Augenmerk auf einen spezifischen Zeitpunkt, zu dem dieses Sehnen eine neue Qualität bekam. Der Körper war nicht länger eine Entität, sondern wurde zum Gegenstand zahlreicher Verbesserungsbemühungen, die sich auf wissenschaftliche Argumentationen stützten. Innerhalb des Verjüngungsdiskurses etablierten sich dabei, folgt man Heiko Stoff, zwei Richtungen: die künstliche Verjüngung, deren Ziel die chirurgische und hormontherapeutische Optimierung des Körpers war, und die natürliche Verjüngung, die den Körper durch naturheilkundliche, körperkulturelle und bevölkerungspolitische Praktiken stärken wollte (13).
Diese beiden konkurrierenden Ansätze stellen die Hauptaspekte der Arbeit Heiko Stoffs dar, die sich insgesamt in vier thematische Einheiten gliedert. Einer kurzen Einleitung, in der das Arbeitsvorhaben dargelegt, die benutzten Quellen vorgestellt und der historische Kontext des untersuchten Phänomens erörtert werden, folgt unter der Überschrift "Künstliche Verjüngung" der erste Hauptteil der Arbeit. Hier betrachtet Heiko Stoff, immer aus der Perspektive des Verjüngungsdiskurses und seiner Kritiker, sowohl die Verjüngerer selbst, als auch ihre Objekte, die Verjüngten, und die unterschiedlichen Methoden, die zur Durchführung der Verjüngung angewandt wurden. Es wird deutlich, dass die Anhänger einer natürlichen Verjüngung ihrer Klientel innerhalb einer selbstbewussten und finanziell potenten Konsumentenschaft suchten und in diesem Sinne ein individuelles Anrecht auf den jugendlichen Körper und seine Leistungsfähigkeit, aber auch die aktive Gestaltung dieses Körpers nach eigenen Vorstellungen propagierten. Damit waren sie aktiv an der Ausbildung eines konsumorientierten Köperbildes beteiligt. Zugleich jedoch ordneten sie sich verbal in einen gesellschaftlichen Diskussionszusammenhang ein, der eine Einordnung individueller Ansprüche in die Belange der Volksgesundheit und die Erhaltung des Volkskörpers forderte.
Das zweite Großkapitel "Jung und Alt auf Leben und Tod" setzt um, was der Titel vorgibt. Heiko Stoff liefert hier eine fast 100-seitige, umfassende Einordnung seines Themenbereichs in den zeitgenössischen, thematischen Kontext. Den Leserinnen und Lesern seines Werkes geht dabei leider allzu oft der Bezug zum eigentlichen Gegenstand seiner Analyse, nämlich dem Widerstreit zwischen natürlichen und künstlichen Verjüngerern, verloren. Es stellt sich die Frage, ob eine umfassende Darstellung des gesamten Themenbereichs um Leben und Tod, Jugend und Alter an dieser Stelle wirklich notwendig ist. Sie sprengt die inhaltliche Kohärenz und den Zusammenhalt der Analyse und schafft bei den Leserinnen und Lesern eher Verwirrung und Ungeduld als tiefere Einsichten. Eine Darstellung der einschlägigen Literatur im Rahmen der Einleitung wäre dem Fortgang der Argumentation und damit ihrer Nachvollziehbarkeit sicherlich dienlicher gewesen.
Unter der Überschrift "Natürliche Verjüngung" nimmt Heiko Stoff im dritten Kapitel den Faden seiner Analyse wieder auf. Anhand der Positionen unterschiedlicher Vertreterinnen und Vertreter dieser Richtung arbeitet er die Künstlichkeit der propagierten natürlich-verjüngten Körper heraus. Auch hier wird der Körper vom Natur- zum Kulturprodukt. Unterschiede liegen allein in der Form des jeweils bildenden Zugriffs. Während die künstlichen Verjüngerer einen Eingriff von außen vornehmen, wird den natürlichen Verjüngerern der eigene Körper zum Gegenstand permanenter Arbeit. Es wird geturnt, gefastet und sonnengebadet mit dem Ziel, den Körper zu optimieren und das individuelle Befinden zu steigern, zugleich aber auch einen Beitrag zur Erhaltung des eben schon erwähnten, in gesellschaftlicher Sorge stehenden Volkskörpers und seiner Gesundheit zu leisten. So kohärent die Darstellung der natürlichen Verjüngung ist, so sehr fehlt an dieser Stelle oder aber in einem unmittelbar folgenden Kapitel die in der Einleitung angekündigte Zusammenschau von natürlicher und künstlicher Verjüngung. So bleibt es den Leserinnen und Lesern weitgehend selbst überlassen, den auf Seite 13 postulierten Widerstreit aus der inhaltlichen Analyse herauszulesen.
Das letzte Großkapitel des Buches, "Sexualhormone. Vermännlichung, Verweiblichung, Verjüngung", wendet sich der Diskussion um die Bedeutung der Hormone und ihrer normalisierenden Wirkung zu. Nach dem Körper wurde nun auch die Sexualität als veränderbare Größe bestimmt. Jegliche Form sexueller Differenz wurde pathologisiert und einem Heilungsansinnen unterworfen, Verhütung zu einer öffentlichen Angelegenheit. Der Körper wird immer stärker als ein Konsumkörper bestimmt. Anhand dieser Entwicklung zeigt Heiko Stoff die diskursiven Verschränkungen von Überlegungen zur Verjüngung, Erbbiologie und Biochemie auf.
Das Buch von Heiko Stoff präsentiert eine umfangreiche Materialsammlung zu den Themenkomplexen Verjüngung, Leben und Tod, Jugend und Alter in der Zeit der langen Jahrhundertwende. Der Autor zeigt sich als hervorragender Kenner seiner Quellen. Er stellt seinen Leserinnen und Lesern eine Vielzahl verschiedener Positionen aus dem benannten Diskussionszusammenhang vor, entwickelt deren innere Logik und grenzt sie gegen konkurrierende Meinungen ab. Damit zeichnet er das faszinierende Bild eines innerdiskursiven Kampfes um Vormachtstellungen und Einfluss. Leider kommen angesichts der großen Liebe zu den Quellen und den in ihnen sich offenbarenden Details die theoretische Verortung der Arbeit, ihre analytische Gliederung sowie die abschließende Einordnung des vorgestellten diskursiven Widerstreits zu kurz. Damit lässt der Autor ein großes Erkenntnispotenzial, welches seinem Buch innewohnt, ungenutzt. Eine Darlegung der eigenen Vorgehensweise, eine Straffung des Materials mit einer Konzentration auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand der Verjüngung und eine Zusammenschau der diskursiven Strategien von natürlichen und künstlichen Verjüngerern hätten die Leserfreundlichkeit des Buches, aber auch seine analytische Aussagekraft gesteigert und der Argumentation mehr Stringenz verliehen.
Anmerkung:
[1] Javier Marias: Während die Frauen schlafen, Berlin 1999, 34.
Katja Patzel-Mattern