Walter Scheiffele: bauhaus, junkers, sozialdemokratie. ein kraftfeld der moderne, Berlin: form+zweck 2003, 302 S., 172 Abb., ISBN 978-3-935053-02-0, EUR 39,90
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Das bemerkenswerte intellektuelle Potenzial, das Hugo Junkers unter seinen Mitarbeitern konzentrierte, wie auch die Beziehung zwischen Bauhaus und Junkers-Werken in Dessau sind bereits mehrfach untersucht worden. [1] Walter Scheiffeles Buch verändert jedoch das Bild von jenem "Kraftfeld der Moderne", da er ihm wichtige Aspekte hinzufügt, die bisher keine angemessene Darstellung gefunden haben.
Die Arbeit ist übersichtlich gegliedert: Der Vorstellung der Protagonisten folgen jeweils Kapitel über die Prozesse, an denen sie teilhatten: Flugzeugentwicklung, Luftverkehr und Weltsprache, Arbeiterbewegung, Siedlungsbau, Massenhausfertigung und Bauforschung.
Die große Entdeckung dieser Arbeit ist zweifellos Heinrich Peus, Organisator der anhaltischen SPD und Partner des Dessauer Bürgermeisters Fritz Hesse in der sozialliberalen Koalition, die Dessau bis 1933 regiert. Peus setzt sich neben Hesse für die Übersiedelung des Bauhauses nach Dessau ein und ist an den meisten der genannten Entwicklungen beteiligt - nicht zuletzt als Redakteur des "Volksblattes für Anhalt". Das Wenige, was über Peus bekannt war, entstammte vor allem Hesses Autobiografie - während Scheiffele auf Grund von unveröffentlichten Quellen und Zeitungsartikeln ein umfassendes Lebensbild entwirft.
Dem Porträt des Politikers folgt das des vielseitigen Gelehrten Wilhelm Ostwald (Nobelpreis für Chemie1909). Dessen Beziehungen zum Bauhaus sind im Zusammenhang mit seiner Farbenlehre erst in den letzten Jahren näher untersucht worden [2] - seine Kontakte zur Dessauer Schlüsselfigur Peus hingegen bisher nicht, obschon Ostwald im dritten Band seiner Autobiografie den SPD-Politiker mit einer Lobeshymne ehrt.
Die sprachreformerischen Aktivitäten Ostwalds für die Weltsprache Ido gehen denen seines ehemaligen Mitarbeiters, des Schriftreformers Walter Porstmann - der wichtig für die Bauhaus-Typografen wird - voraus und beeinflussen Peus und über ihn auch Junkers in der Idee, dem "grenzenlosen" Charakter der zivilen Luftfahrt müsse eine ebensolche Sprache entsprechen.
Scheiffele berücksichtigt die Forschungserträge zum gewählten Themenspektrum teilweise, unter anderem auch Detlef Siegfrieds Buch "Der Fliegerblick: Intellektuelle, Radikalismus und Flugzeugproduktion bei Junkers 1914 bis 1934" (Bonn 2001), die wichtigste Ergänzung zum Thema: Während Scheiffele das intellektuelle und politische Feld zwischen seinen Titelthemen untersucht, bietet Siegfried eine nicht minder faszinierende Innenansicht der "Denkfabrik" des Junkerskonzerns, in der ab Mitte der Zwanzigerjahre junge Intellektuelle dominieren, die, geprägt vom linksradikalen und expressionistischen Milieu der ersten Nachkriegsjahre, als Mitarbeiter des visionären Erfinders einen pragmatischen Ausweg aus dem Widerspruch von utopischem Anspruch und politischer Realität gefunden haben. [3] Hier ergeben sich Übereinstimmungen mit Ostwalds und Peus' optimistischen Vorstellungen von der politik- und gesellschaftsverändernden Kraft von Wissenschaft und Technik.
Scheiffeles quellenreiche Untersuchung des Konflikts zwischen Gropius und Peus im Zusammenhang mit den Kosten der Siedlung Dessau-Törten (151ff.) vermag überzeugend die bis heute kurrente, einseitige Darstellung in Reginald Isaacs' Gropius-Biografie zu korrigieren. Überhaupt erschüttert die Darstellung des Dessauer Siedlungsbaus das Bild, das die bisherige, meist aus Sicht des Bauhauses verfasste Literatur aufgerichtet hat. Wenig bekannt und aufschlussreich ist etwa die Konkurrenzsituation, die in Dessau zwischen Gropius' Unternehmungen und denen der Loos-Schule (vertreten durch Leopold Fischer) entsteht (94-111).
Adolf Loos und der Gartenarchitekt Leberecht Migge treten für einen Siedlungsbau ein, in dem der (Wirtschafts-)Garten den Hausbau dominiert - also für das genaue Gegenteil dessen, was das Bauhaus in Dessau-Törten praktiziert. Unter Mitwirkung Migges entsteht die Gartensiedlung Dessau-Ziebigk, die bereits von den Zeitgenossen als Gegenentwurf zu Törten verstanden wird.
Zunehmend in Konkurrenz zum Bauhaus, arbeitet bei Junkers' eine Forschungsabteilung zum Metallhaus, deren visionärster Mitarbeiter der Bauhäusler Siegfried Ebeling ist, dessen Buch "Der Raum als Membran" (Dessau 1926) das Haus vor allem als Ort der Energieumwandlung auffasst. "seine auffassung von der energetischen autonomie des hauses wird man als einen der avanciertesten beiträge zur modernen architektur bezeichnen können." (196) Es gehört zu den Vorzügen von Scheiffeles Buch, auf Grund von Nachlassmaterial Ebelings Weg in den zwanziger und dreißiger Jahren umfassender dargestellt zu haben, als dies bisher geschehen ist.
Dem Autor sind - bei der Breite des Themenspektrums wohl unvermeidbare - Irrtümer unterlaufen, die richtig gestellt werden sollten, sofern sie in die Kompetenz des Rezensenten fallen: Der legendäre "Werkbundstreit" um die Typisierung fand 1914, nicht 1907 statt (37). Die Behauptung, "nicht von goethe und runge, sondern von helmholtz, maxwell und fechner geht er [Ostwald bei seiner Farbenlehre] aus" (49), trifft in dieser Pauschalität nicht zu. Runges "Farbenkugel" ist eine wesentliche Anregung für Ostwalds eigenen Farbkörper, einen Doppelkegel, Goethe verdankt er wahrnehmungspsychologische Einsichten, Helmholtz' Auffassungen werden von ihm teilweise verworfen. Die Idee, durch ein Lichtlenksystem das Tageslicht besser auszunützen, als mit herkömmlichen Fenstern (172f.), kann nicht erst in Junkers' Bauforschungsabteilung aufgekommen sein (1927), denn schon Leo von Klenze leitete über Spiegel das Tageslicht aus den Dachlaternen ins Innere seiner Alten Pinakothek in München (1836).
Walter Scheiffele ist eine eindrucksvolle, umfassende Darstellung des Bauhaus-Umfeldes gelungen, die das Spektrum der bisherigen, überwiegend innenansichtigen Literatur zum Bauhaus um Wesentliches ergänzt, nicht zuletzt, weil sie sich in großem Umfang auf unveröffentlichtes Material stützt. Das Buch ist fasslich geschrieben und streckenweise spannend zu lesen - dass es in radikaler Kleinschreibung verfasst ist, zeigt eine sympathische Anverwandlung seines Themas (hinsichtlich von Personen- und Eigennamen wird allerdings die Orientierung im Text erschwert).
Anmerkungen:
[1] Unter anderem in den zahlreichen Publikationen Hugo Erfurths, wie etwa: Junkers und das Bauhaus, Dessau 1996, sowie Simone Oelker, "kunst und Technik - eine neue Einheit"? Das Bauhaus und die Junkers-Werke in Dessau, in: Franz-Josef Brüggemeier, Gottfried Korff und Jürg Steiner (Hg.), mittendrin. Sachsen-Anhalt in der Geschichte, Ausst.-Kat. Kraftwerk Vockerode 1998, Dessau 1998, 359-397 und Manfred Sundermann (Hg.), Junkers. Dessau. Mechanische Stadt?, Dessau 2002.
[2] John Gage, Kulturgeschichte der Farbe, Ravensburg 1994; Ute Brüning (Hg.), Das A und O des Bauhauses. Bauhauswerbung: Schriftbilder, Drucksachen, Ausstellungsdesign, Berlin 1995; Albrecht Pohlmann und Helmut Materna, Wilhelm Ostwald: Farbenlehre, Maltechnik, Gemäldeuntersuchung, in: Beiträge zur Erhaltung von Kunstwerken 8 (1999), 44-60.
[3] Vgl. hierzu die Rezension von Michael C. Schneider, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 3, URL: http://www.sehepunkte.de/2003/03/1465.html
Albrecht Pohlmann