Herbert Eiden / Rita Voltmer (Hgg.): Hexenprozesse und Gerichtspraxis (= Trierer Hexenprozesse. Quellen und Darstellungen; Bd. 6), Trier: Paulinus Verlag 2002, 621 S., 3 Karten, ISBN 978-3-87760-128-0, EUR 34,80
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Hinter dem sehr kurzen Titel eines umfangreichen Buches verbergen sich einige für die Hexenforschung wesentliche Fragestellungen. Es lohnt sich daher, die zum erheblichen Teil rechtsgeschichtliche Aspekte aufgreifenden Beiträge des vorliegenden Sammelbandes zu studieren. Dieser ist aus einem Kolloquium hervorgegangen, das im Februar 1999, veranstaltet vom SFB 235 an der Universität Trier, stattfand (Teilprojekt: "Zauberei- und Hexenprozesse im Rhein-Maas-Moselraum unter besonderer Berücksichtigung räumlicher Aspekte, 15. - 17. Jahrhundert"). Um dem Inhalt gerecht zu werden, müsste man den Titel allerdings um einen weiteren Begriff ergänzen: Es geht nicht nur um die Prozesspraxis, sondern zentral auch um die Bedeutung von Gerichtsstrukturen für das Aufkommen von Hexenprozessen.
Die hohen Prozess- und Verurteilungsraten, die den in mehreren Aufsätzen behandelten frühneuzeitlichen Rhein-Maas-Moselraum kennzeichnen, erwuchsen mehrheitlich aus Gerichtsstrukturen, die durch das Fehlen starker staatlicher Gewalten beziehungsweise durch mangelhaftes Einwirken zentraler Justizbehörden gekennzeichnet waren. Diese Erkenntnis muss hinsichtlich einzelner Gebiete allerdings immer wieder mit Einschränkungen formuliert werden: So waren im Herzogtum Lothringen, so Robin Briggs in seinem Beitrag, herzogliche Amtsträger wesentliche Entscheidungsträger im Hexereiverfahren. Da diese in die Anklageerhebung eingebunden waren, gehörten sie eher zu den Förderern und nicht zu den Ausbremsern der Prozesse. Der Aufsatz von Christine Petry über das "Parlement de Metz" zeigt wiederum, dass mit der Errichtung dieses lothringischen Obergerichts im Jahre 1633, das heißt nach der französischen Machtübernahme im Herzogtum, die Zahl der Hexenprozesse entscheidend gesenkt wurde. Die Integration des lothringischen Gerichtswesens in die französische Justizverfassung mit der Konsequenz, dass jedes Urteil in Kriminalsachen durch den Oberhof geprüft wurde, produzierte zwar beträchtlichen Widerstand. Langfristig wurden Hexenprozesse als Ketten- oder gar Massenprozesse jedoch über die Appellationspflicht, wie im gesamten Königreich seit 1624, unmöglich gemacht.
Im Vergleich dazu konnten sich Hexenverfolgungen im Herzogtum Luxemburg, im Hochstift Trier und im Gebiet der Reichsabtei St. Maximin, wie Rita Voltmer darlegt, noch über einen längeren Zeitraum immer wieder entfalten. Dass die Verfahren sehr stark durch die Aktivitäten von Untertanen geprägt waren, lässt sich über das Wirken der dortigen Hexenprozessausschüsse demonstrieren. Das Funktionieren der eigens zur Durchführung und Verbreitung von Hexenverfolgungen in den Lokalitäten gebildeten Konsortien wird ausführlich beschrieben, ebenso werden die Möglichkeiten erläutert, Prozesse über Manipulationen und die Umgehung von Verfahrensregeln für eigene Interessen nutzbar zu machen. Dass Hexenprozesse instrumentalisierbar waren, zeigt sich darüber hinaus auf einer anderen Ebene, die die Autorin in einem zweiten Beitrag in den Blick nimmt. Die Konstruierbarkeit des Hexereidelikts brachte auch für adelige Gerichtsherren, die ihre Jurisdiktionsrechte bedroht sahen, Gelegenheiten zur Interessenwahrnehmung hervor, da Hinrichtungen Fakten schufen und Hoheitsrechte untermauerten.
Hinweise auf eine Instrumentalisierung der Hexenprozesse in verschiedenen Kontexten führen mehrere Autoren an. Robin Briggs geht auf herzoglich inszenierte Anklagen zur Bekämpfung unliebsamer Gegenspieler in Lothringen ein. Hans de Waardt legt in seinem Überblick über die Prozesse in Brabant dar, dass Herren und Amtmänner dazu neigten, ihren persönlichen Feinden Schaden über die Ingangsetzung von Inquisitionen zuzufügen. Insbesondere die intensive Anwendung der Folter ließ sich dabei immer wieder zur Konstruktion zauberischer Missetaten gebrauchen. Sie war eines der Verfahrenskennzeichen, wie Jos Monballyu in seinem Beitrag erläutert, auch in der Grafschaft Flandern. In einem Vergleich zu anderen Kriminalverfahren, den Elisabeth Biesel in ihrer Untersuchung der Strafjustiz in Toul zieht, hebt sich die hohe Zahl an Torturen deutlich ab, wenngleich hier noch über die Hälfte der Hexereiverfahren ohne die Folter vonstatten ging. Folter und Besagungen werden auch im Aufsatz Ulrich Seiberts über die Prozesspraxis im Fürstbistum Lüttich als entscheidende Grundlagen benannt. Hier wird allerdings erneut der mäßigende Einfluss einer entwickelten territorialen Strafgerichtsverfassung als Erklärung für relativ gebremste Verfolgungen angeführt.
Peter Oestmann, der im Sammelband die wichtigsten Thesen seiner Forschungen über das Reichskammergericht unterbreitet [1], beschreibt wesentliche strukturelle Gründe, warum diesem hohen Reichsgericht keine ähnliche Bedeutung zukommen konnte wie den französischen "parlements", obwohl es durchaus dazu neigte, dem "processus ordinarius" Geltung zu verschaffen. Da es keineswegs selten vorkam, dass das Reichskammergericht lokale und territoriale Richter vom Vorwurf der Nullitäten freisprach, erscheint es meines Erachtens aber eher irreführend, das Reichskammergericht schlicht zu den "Gegnern" (Oestmann, 445) der Hexenprozesse zu zählen. Ebenso kann von einer durchgängigen Ablehnung einer wie auch immer gearteten "crimen-exceptum-Theorie" nicht die Rede sein. Im einzigen meines Wissens vom Reichskammergericht überlieferten Votum in einer Hexerei-Nichtigkeitssache qualifizierte der damit befasste Reichskammergerichtsassessor Hexerei eindeutig als ein "crimen exceptum": [2] Obwohl dies, so der Votierende, allein nicht ausreiche, um die Aussage eines Komplizen als hinreichendes Indiz für Torturen zu bewerten, könne man im Falle mehrerer solcher Aussagen oder der Existenz eines weiteren Verdachtsmoments zur Folter schreiten. [3] Genau dies entsprach aber gängiger Praxis in vielen Hexenprozessen. Nichtsdestoweniger ist Oestmann darin zuzustimmen, dass ein vor allem über Mandate nachvollziehbares weitgehendes Beharren des Reichskammergerichts auf den Beweisführungsgrundsätzen der Carolina immerhin einige Untergerichte in die Schranken wies.
Dass auch die 1542 von Papst Paul III. gegründete römische Inquisition behutsam in Hexereisachen agierte, dürfte vielfach Erstaunen hervorrufen. Belege hierfür finden sich in Rainer Deckers Beitrag, dem Studien im Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom zu Grunde liegen. Über die Praxis des höchsten Gerichtes der spanischen Niederlande, des Großen Rates zu Mecheln, informiert uns ein Rechtsstreit, dem Boris Fuge nachgeht. Anhand der Verfahrensakten werden mehrere Möglichkeiten, sich rechtlich gegen den Hexereiverdacht zu wehren, die neben der Nichtigkeitsbeschwerde bestanden, skizziert. Einige offene Fragen nach den genaueren prozessrechtlichen Grundlagen dieser Möglichkeiten dürften aus der "unklaren Rechtssituation" (Fuge, 121) resultieren, die der Autor konstatiert.
Die von Fuge untersuchten Verfahren, die zu Ungunsten des Verfolgungsopfers endeten, machen noch einmal klar, dass die Juristen an der Spitze eines Gerichtssystems keineswegs zwangsläufig gegen Hexenverfolgungen operierten. Etwaige Vorstellungen, an den Oberhöfen habe allein wegen des höheren Bildungsgrades der Richter eine vergleichsweise skeptische Justizelite gewirkt, wären unhaltbar. So rekonstruiert Gerald Mülleder die Überformung dörflicher Zaubereivorstellungen mit dämonologischen Mustern durch Mitglieder des Salzburger Hofrates im Zauberer-Jackl-Prozess. Umgekehrt wurden zuweilen auch vor Ort Strategien zur Vermeidung größerer Prozesswellen mithilfe rechtlicher Gutachten ausgebildet und durchgesetzt, wofür Alison Rowlands das Beispiel Rothenburg ob der Tauber anführen kann. Insgesamt aber, so lässt sich noch einmal betonen, führte insbesondere eine Aktivierung mehrerer Gerichtsebenen zu einer Verschärfung der Verfahrensregeln und Beweiskriterien. Eine auf diese Weise entstehende Selbstkontrolle der Justiz wirkte sich oftmals hinderlich auf Hexenverfolgungen aus.
Wenngleich ein wesentliches Fazit des Bandes in dieser Feststellung besteht, bedeutet dies keineswegs, dass der Inhalt damit erschöpft ist. Viele Beiträge liefern detaillierte Informationen zu verschiedensten Gerichtspraktiken. Im Aufsatz von Martin Scheutz wird zum Beispiel das Prozedere bei der Durchführung und Protokollierung von Verhören herausgearbeitet; ebenso werden quellenkritische Schlussfolgerungen gezogen, die bei der Interpretation solcher Texte zu berücksichtigen sind. In Johannes Dillingers Beitrag finden zudem bestimmte Verfahrenselemente wie die Wasser- oder die Nadelprobe Erwähnung, die die meines Erachtens in ihrer Pauschalität etwas fragwürdige These belegen sollen, der frühneuzeitliche Hexenprozess sei "selbst als Magie zu bezeichnen" (Dillinger, 570).
Auf einen letzten Beitrag verweisend, soll das "crimen-exceptum"-Problem schließlich noch einmal aufgegriffen werden. Thomas Robisheaux untersucht, wie Benedict Carpzovs "Practicae novae imperialis Saxonicae rerum criminalium" von protestantischen Juristen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelesen und benutzt wurden. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die von Carpzov im zweiten, rechtstheoretisch ausgerichteten Band der "Practicae novae" erhobenen Forderung, Hexerei als ein "delictum exceptum" zu behandeln, eher wenig rezipiert wurde. Wesentlich mehr Einfluss auf die Rechtspraxis im Kriminalprozess hatten die im dritten Band Carpzovs publizierten Verfahrensanleitungen. Diese aber waren dem regulären Prozess und insbesondere der Einhaltung der Carolina geschuldet.
Eine Reihe von derartig interessanten Ergebnissen, die das mit einem Orts- und Personenregister versehene Buch bietet, verdeutlicht, wie fruchtbar eine eingehendere Beschäftigung mit den prozessrechtlichen Grundlagen der Hexenprozesse sein kann. Die Publikation gibt jedoch auch Anlass zur Vertiefung bestimmter Fragestellungen und zu weiteren Forschungen. So sind insbesondere weitere Studien zur Bedeutung des "crimen-exeptum"-Begriffs für die Prozesspraxis wünschenswert. Auch stehen systematische Vergleiche der unterschiedlichen Gerichtsstrukturen und Verfahrensgrundlagen im frühneuzeitlichen Europa, die den Verfolgungen zu Grunde lagen, noch aus.
Anmerkungen:
[1] Peter Oestmann: Hexenprozesse am Reichskammergericht, Köln / Weimar / Wien 1997.
[2] Der Text wurde in einer Sammlung von Voten des Reichskammergerichts veröffentlicht, siehe Adrian Gylmann: Symphorema supplicationum pro processibus super omnibus ac singulis Imperii Romani constitutionibus in supremo Camerae Imperialis Auditorio impetrandis [...], Frankfurt a.M. 1601, hier Bd. 2, 75-83.
[3] "Quamvis autem regulariter dictum socii criminis non facit indiciam ad torturam, etiam in criminibus exceptis, tamen hoc fallit si alia concurrit praesumptio vel si plures contra aliquem deponunt"; ebd., 79 f.
Ralf-Peter Fuchs