Ulrich Volp: Tod und Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike (= Vigiliae Christianae. Texts and Studies of Early Christian Life and Language. Supplements; Vol. LXV), Leiden / Boston: Brill 2002, XII + 337 S., 18 Abb., ISBN 978-90-04-12671-8, EUR 85,00
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Während der Umgang mit Tod und Trauer in der christlich-abendländischen Tradition bis in die Neuzeit ganz selbstverständlich durch kirchliche Institutionen geprägt war, ist insbesondere im Zuge fortschreitender Säkularisierung ein signifikantes Zurücktreten christlicher Elemente an Trauerprozessen und -ritualen in unserer Gesellschaft zu beobachten, das sich in den letzten Jahrzehnten nochmals verstärkt hat. Dies betrifft sowohl liturgische Elemente als auch das Bestattungswesen im Allgemeinen. Professionelle Bestatter übernehmen neben rein logistischen Aufgaben zunehmend auch zeremonielle und rituelle Funktionen, die zuvor vor allem von den Kirchen ausgeübt wurden. Weltliche Trauerfeiern und Leichenreden haben Konjunktur.
Die vorliegende Studie des Bonner Kirchengeschichtlers Ulrich Volp, die im Wintersemester 2000/2001 der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation vorgelegt wurde (Erstgutachter: Wolfram Kinzig), zeigt indirekt auf, dass sich mit diesem heute von den Kirchen oft beklagten Prozess der Säkularisierung von Trauer- und Begräbnisriten das Christentum letztlich zu seinen Ursprüngen zurückbewegt, auch wenn dies nicht die eigentliche Fragestellung der Arbeit ist. Ulrich Volp hat sich zum Ziel gesetzt, "grundlegende Veränderungen des rituellen Umgangs mit Tod und den Toten in den ersten Jahrhunderten des Christentums zu bestimmen" (3). Dabei will er vor allem jene Voraussetzungen in den Blick nehmen, "die nicht unmittelbar mit Eschatologie und Jenseitsvorstellungen in Verbindung stehen" (264), da dieses Gebiet bereits vergleichsweise gut erschlossen sei. Konkret bedeutet dies, dass Ulrich Volp in Anlehnung an Arnold van Genneps (Les rites de passage, Paris 1909) Unterscheidung ritueller Akte in Trennungs-, Übergangs- und Angliederungsprozesse "regelmäßig wiederkehrende Elemente des Prozesses Sterben-Tod-Bestattung" (11) bestimmt (vergleiche die Tabelle Seite 14). Anhand dieser Systematisierung untersucht Ulrich Volp zunächst den rituellen Umgang mit Toten in der Umwelt des antiken Christentums (Kapitel 2, 10-95), um sich dann den - literarischen wie nichtliterarischen - christlichen Quellen zum Thema Trauerriten zu widmen (Kapitel 3, 96-239). In diesem Teil unterscheidet er zwischen Kontext und Voraussetzungen der Rituale (101-156) sowie den Ritualelementen selbst (156-239). Im Anschluss daran vergleicht Ulrich Volp den Umgang der frühen Christen mit Tod und Trauer mit den entsprechenden nichtchristlichen Ritualtraditionen, um so "Konstanten und Veränderungen in der Ritualentwicklung und die Charakteristika der christlichen Entwürfe" (9) herauszuarbeiten (Kapitel 4, 240-263). Nach Zusammenfassung und (deutschem wie englischem) Ausblick (Kapitel 5, 264-272) folgen Nachweise von Quellen, Literatur und Abbildungen sowie detaillierte Register, die den materialreichen Band gut erschließen.
Den kulturellen Kontext des frühchristlichen Umgangs mit Tod und Trauer steckt Ulrich Volp grob mit dem Bereich des Imperium Romanum in neutestamentlicher Zeit ab. Dabei geht er im Einzelnen auf die ägyptischen, jüdischen, klassisch griechischen und römischen Ritualtraditionen ein. Die Ausführungen basieren im Wesentlichen auf den Einsichten der Sekundärliteratur, die Ulrich Volp kundig und umfangreich zusammenträgt, wenn er sich auch nicht immer auf dem letzten Stand der Forschung befindet (vergleiche zum Beispiel auf Seite 29 f., Anm. 55 die Literatur zur Frage der Trennung von Judentum und Christentum). Dies ist allerdings angesichts des Umfangs des betrachteten Materials zu vernachlässigen, zumal keine grundlegenden Titel fehlen beziehungsweise die Darstellung dadurch nicht verzerrt wird.
Hinsichtlich der altägyptischen Bestattungskultur (18-28) besteht der auffälligste strukturelle Unterschied gegenüber der griechisch-römischen Tradition in der Beteiligung von Priestern an den Trauerritualen, obwohl durchaus ein Bewusstsein für die Verbindung von Tod und Unreinheit bestand (vergleiche besonders 25-28). Die Betrachtung von Tod und Trauer im antiken Judentum (29-46) beschränkt Ulrich Volp ohne nähere Begründung auf den syro-palästinischen Bereich, obwohl es meines Ermessens gerade für die frühchristliche Ritualentwicklung instruktiv gewesen wäre, die jüdischen Trauerriten im Mutterland mit denen in der Diaspora zu vergleichen. Die jüdischen Sekundärbestattungen werden im Zusammenhang einer vorausgehenden "reinigende[n] Zwischenzeit" (41) gedeutet. Funktionsträger der Synagogengemeinden konnten zwar unter Umständen bei der Bestattung zugegen sein, doch die "institutionelle Verantwortlichkeit" (45) kam grundsätzlich den Angehörigen zu. Bei der Untersuchung der griechischen Tradition legt Ulrich Volp den Schwerpunkt auf die klassische Zeit, berücksichtigt dabei nur vereinzelt auch den Hellenismus und klammert die Mysterienkulte mit dem Hinweis auf deren mangelnde Erforschung leider ganz aus (17). Auch in Griechenland war die Beteiligung von Priestern des Tempelkults unüblich (65 f). Spezifika der römischen Funeralkultur gegenüber der Umwelt beruhen hauptsächlich auf dem unterschiedlichen Umgang der verschiedenen sozio-politischen Schichten mit Tod und Trauer (Öffentlichkeit, Kremation / Inhumation), doch gilt als Konstante, dass auch in Rom eine strenge Unterscheidung zwischen Tempelkult und religiösem Umgang mit dem Tod zu verzeichnen ist. Im Ausschluss von Funktionsträgern vom Trauerkult erkennt Ulrich Volp eine "auffallende Gemeinsamkeit zwischen römischen, älteren jüdischen und griechischen Auffassungen" (94). Eine römische Besonderheit - besonders der "Mittelschicht" - bildeten die so genannten collegia funebria / funeraticia. Diese Begräbnisvereine schufen einen "neuen Typ von Öffentlichkeit zwischen einem großen funus publicum und einer intimen Familienbestattung" (93).
Unter dem Titel "Kontext und Voraussetzungen" (Kapitel 3.2, 101-156) erläutert Ulrich Volp die räumlichen Bedingungen - genaue Farben, Musik und Sprache - im Kontext der christlichen Rituale. Bereits hier werden zwei Besonderheiten christlicher Trauerriten gegenüber der Umwelt deutlich, auch wenn sich die christlichen Gemeinden zunächst den Konventionen beziehungsweise lokalen Traditionen der Umwelt anpassten. Ein entscheidender Unterschied betrifft die Funktion der Gemeinde bei Begräbnissen: "Die Sorge um Bereitstellung und Verwaltung von Gräbern und geordneten Bestattungen war Teil des sozialen Engagements christlicher Gemeinden" (111). Dieser (materielle) Einsatz war nach Ulrich Volp vor allem durch das christliche Liebesgebot beziehungsweise die karitative Fürsorge für ärmere Gemeindemitglieder motiviert. Indem die Gemeinden (wohl ab dem 3. Jahrhundert) eigene Begräbnisstätten oder Katakomben unterhielten, übernahmen sie Aufgaben, die in der Umwelt durchweg der Familie des Verstorbenen vorbehalten waren (115). Die zweite Devianz innerhalb der christlichen Tradition besteht in der Neubewertung der Unreinheit von Leichen, die sich unter anderem in einer schwindenden Scheu vor unreinen Grabräumen niederschlägt (siehe die Tendenz zu Bestattungen innerhalb der Stadtgrenzen oder in der Nähe von Märtyrergräbern beziehungsweise die bauliche Nähe von Kirchenbauten und Gräbern; Reliquienfrömmigkeit; vergleiche 116-125).
Diese Einsichten werden im anschließenden Teil zu den Ritualelementen noch vertieft, "thanatologisch-chronologisch" (157) angeordnet nach Sterben, Tod, Bestattung und Totengedenken (Kapitel 3.3, 156-239). Spätestens seit der Zeit Cyprians konnte das Sterben mit Taufe (Taufaufschub; Nottaufe) und Abendmahl (viaticum) in Verbindung gebracht werden, wobei jeweils der Aspekt der Reinheit hineinspielt. Während die Totenklage ein fester Bestandteil nichtchristlicher Trauerriten ist, wurde sie von den Kirchenvätern vehement bekämpft, was nach Ulrich Volp vor allem mit der Abgrenzung von paganen Vorstellungen der Unreinheit des Todes zusammenhängt (neben der Kritik an der Unbeherrschtheit der Gefühle sowie optimistischen Jenseitsvorstellungen). In Leichenreden wird hingegen die Thematisierung der Trauer durch die Betonung der christlichen Kardinaltugenden ersetzt.
Auch wenn die antike Bestattungsform zahlreichen Wechseln unterworfen war und es immer ein Nebeneinander von Kremation und Inhumation gab, entsprach die christliche Erdbestattung dem allgemeinen Trend der Spätantike (191-193). Sie wurde unter anderem schöpfungstheologisch beziehungsweise mit dem Vorbild Christi begründet. Zugleich handelte es sich um die kostengünstigere, unauffälligere und bescheidenere Bestattungsart (193).
Anders als in der paganen und jüdischen (!) Tradition, wo Bestattungen nicht nur selbstverständlich eine Angelegenheit der Familie waren, sondern die Teilnahme von Priestern aufgrund der antiken Reinheitsvorstellungen sogar undenkbar war, bestanden christlicherseits offensichtlich keine solchen Bedenken. Spätestens ab dem 4. Jahrhundert lassen sich christliche Elemente bei Bestattungsfeiern nachweisen, an denen auch kirchliche Funktionsträger rituell beteiligt waren. Die Übernahme von Aufgaben, die traditionell dem Bereich der "Familienreligion" angehörten (vergleiche zum Familienbegriff Seite 69, Anm. 275, zur Familienreligion besonders die Seiten 242-247), durch die christlichen Gemeinden und ihre Würdenträger ist nach Ulrich Volp wesentlich durch Familienmetapher als Grundbestand christlicher Theologie bei gleichzeitigem Wandel des (römischen) Familienverständnisses begründet (vergleiche besonders 244-246).
Pagane und jüdische, vor allem körperlich-kultische Reinheitsvorstellungen werden im frühen Christentum ethisiert oder theologisiert. Dabei kommt es zu einer Verschiebung der Unreinheitsebenen beziehungsweise zu einer Umwertung der Vorstellungen, ohne die Sprache von rein / unrein als solche aufzugeben. Insbesondere der christliche Auferstehungsglaube dürfte zu einer Neubewertung von Gräbern und Tod geführt haben. Die Beteiligung von kirchlichen Funktionsträgern an Trauer- und Bestattungsritualen wird besonders ab dem 4. Jahrhundert konfliktträchtig, als das Christentum mehr und mehr in die Öffentlichkeit tritt, und erfordert es so, diese Praxis theologisch zu reflektieren.
Speziell der Zusammenhang von Auferstehungsglauben und Reinheitsvorstellungen zeigt, dass Ulrich Volps selbst gewählte Beschränkung auf die rituellen Aspekte von Tod und Trauer unter weitgehender Ausblendung theologischer beziehungsweise eschatologischer Fragen letztlich künstlich ist und beides ineinander gehen muss. So wird zwar die (nachträgliche) theologische Reflexion für die Umwertung von Reinheitsvorstellungen aufgezeigt, es bleibt jedoch unklar, weshalb es überhaupt erst zu dieser massiven Umkehrung traditioneller Vorstellungen kam (vergleiche Seite 265 immerhin den Hinweis auf die generelle Ablehnung jüdischer Reinheitsgebote). Auch der Zusammenhang von karitativen und theologischen Gründen für die sukzessive Einmischung der christlichen Gemeinden in den Bereich, der vorher der Familienreligion oder dem öffentlichen Kult zukam, müsste noch stärker profiliert werden.
Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass weder diese allgemeine Anfrage noch die zuvor benannten kleineren Monita den Wert der Untersuchung als ganzer schmälern. Anhand umfangreicher Zitate der Primärquellen (in der Originalsprache und in deutscher Übersetzung), die Ulrich Volp umsichtig hinsichtlich ihres normativen Wertes für die tägliche Praxis beurteilt, sowie zahlreicher Abbildungen von Trauerritualen wird anschaulich und differenziert dargestellt, wie sich das frühe Christentum in einer zentralen existentialen Frage innerhalb seiner paganen Umwelt partiell enkulturiert hat. An konfliktfreien Stellen konnte es dabei durchaus an die Bräuche der Umwelt anknüpfen, bildete jedoch in gewichtigen Fragen eine eigene rituelle Identität aus. Der Rezensentin sind nur wenige Fehler in der sorgfältig redigierten Untersuchung aufgefallen, die sie im Übrigen mit Gewinn gelesen hat (vergleiche neben einem Akzentfehler im Griechischen Seite 21 besonders überschüssige Abstände am Seitenanfang, zum Beispiel auf den Seiten 64; 90; 140; 186; 225).
Heike Omerzu