Martin Knoll: Umwelt - Herrschaft - Gesellschaft. Die landesherrliche Jagd Kurbayerns im 18. Jahrhundert (= Studien zur neueren Geschichte; Bd. 4), St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2004, 449 S., ISBN 978-3-89590-151-5, EUR 39,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Anselm Tiggemann: Die "Achillesferse" der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Kernenergiekontroverse und Geschichte der nuklearen Entsorgung von den Anfängen bis Gorleben 1955 bis 1985, Lauf a.d. Pegnitz: Europaforum-Verlag 2004
Almut Leh / Hans-Joachim Dietz: Im Dienst der Natur. Biographisches Lese- und Handbuch zur Naturschutzgeschichte in Nordrhein-Westfalen (1908-1975), Essen: Klartext 2009
Wolfram Siemann / Nils Freytag / Wolfgang Piereth (Hgg.): Städtische Holzversorgung. Machtpolitik, Armenfürsorge und Umweltkonflikte in Bayern und Österreich (1750-1850), München: C.H.Beck 2003
Hans-Werner Frohn / Friedemann Schmoll (Bearb.): Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906-2006, Münster: Landwirtschaftsverlag 2006
Carl Alexander Krethlow (Hg.): Hofjagd, Weidwerk, Wilderei. Kulturgeschichte der Jagd im 19. Jahrhundert, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015
Norbert Schindler: Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte, München: C.H.Beck 2001
Elisabeth Vavra (Hg.): Der Wald im Mittelalter. Funktion - Nutzung - Deutung, Berlin: Akademie Verlag 2008
Martin Knoll / Uwe Lübken / Dieter Schott (eds.): Rivers Lost, Rivers Regained. Rethinking City-River Relations, Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 2017
Martin Knoll: Die Natur der menschlichen Welt. Siedlung, Territorium und Umwelt in der historisch-topografischen Literatur der Frühen Neuzeit, Bielefeld: transcript 2013
Verena Winiwarter / Martin Knoll: Umweltgeschichte. Eine Einführung, Stuttgart: UTB 2007
Um die hohe Bedeutung der Jagd in den europäischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit erfassen zu können, ist eine sehr breit angelegte Herangehensweise erforderlich. Umfangreiche Quellenbestände verschiedenster Provenienz sind durchzuarbeiten, ebenso eine Fülle an Fachliteratur, die von der Kunst- und Kulturgeschichte über die Rechts-, Kriminalitäts- und Verwaltungsgeschichte bis hin zur Forst-, Agrar- und Umweltgeschichte reicht. Martin Knoll hat sich diesen Mühen unterzogen. Das Ergebnis überzeugt. Es wird der Vielschichtigkeit der Jagd im 18. Jahrhundert gerecht und zeichnet sich durch mehrfachen Wandel der Perspektive aus.
Knoll schildert in seinem Buch auf einer ersten Ebene die herrschaftliche Jagd als Zeitvertreib und Vergnügen des höfischen Adels sowie als Mittel der Selbstdarstellung absolutistischer Macht. Diese Seite konfrontiert er mit der Kehrseite der Medaille: mit der "Last" und dem "Verderben" (199 f.) derer, die Prachtentfaltung und Jagdlust der Herren durch harte Arbeit und Mühsal erst ermöglichten, sowie dem passiven und aktiven Widerstand, den sie leisteten. Eine weitere Ebene bildet die Darstellung des materiellen und personellen Aufwandes, den die damals gebräuchlichen Jagdtechniken erforderten, und die Beschreibung der institutionellen Voraussetzungen der kurfürstlich-bayerischen Jagd, also der landesherrlichen "Jägerei", die von einem Oberstjägermeister angeführt wurde. Darauf baut eine Gegenüberstellung von Kosten und Erträgen der landesherrlichen Jagd auf. Die Vielschichtigkeit der Darstellung setzt sich fort in der Beschreibung der Art und Weise, in der Landschaft, Wald und Wildbestand den Bedürfnissen der Jagd angepasst wurden, und in einem Resümee der Diskussionen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Bayern zwischen Aufklärern und Vertretern der Jagd geführt wurden. In diesen Kontext gehört auch ein Exkurs zum Mensch-Tier-Verhältnis in jener Zeit.
Die Jagd als zentrales Element höfischen Alltags und landesherrlicher Repräsentation ist einer der Schwerpunkte des Buches und zugleich ein gutes Beispiel für die Art und Weise, in der Knoll die verschiedenen Ebenen oder Schichten miteinander verbindet: "Das Leben am Hof war geprägt von rastloser Betriebsamkeit im Müßiggang" (57). Von Musik begleitete Mahlzeiten, Lustfahrten mit Kutsche, Gondel oder Schiff, Spiele, Opernaufführungen, Maskeraden, Illuminationen, Feuerwerke, Gottesdienste, Wallfahrten, Reisen und eben die Jagd sorgten für die alltägliche standesgemäße Beschäftigung der kurfürstlichen Familie und des höfischen Adels. Fast alle größeren Jagdereignisse waren eingebettet "in theatral inszenierte, musikalisch untermalte barocke Spektakel" (59), die der Repräsentation des Landesherrn vor dem höfischen und nicht höfischen Adel, ausländischen Fürsten und Gesandten sowie dem einfachen Volk dienten. Besondere Berühmtheit erlangten die auf dem Starnberger See abgehaltenen Feste. Ihr "Markenzeichen" und Höhepunkt war "der Todeskampf eines einzelnen, parforce in den See gehetzten Hirsches unter den Augen der auf der Lustflotte versammelten Hofgesellschaft" (100).
Jagd und Repräsentation zählten auch zu den Gründen für die "gleichsam nomadische Lebensweise" des Hofes (57, 376). Man begab sich von der Residenz im Zentrum Münchens oder von Nymphenburg aus ständig in eines der nahe gelegenen Lust- und Jagdschlösser oder verbrachte zu Eingestellter Jagd, Parforcejagd, Reiherbeize oder Fuchsklopfen Tage, oft auch Wochen, in verschiedenen Landesteilen. Auf diese Weise prägte sich der Kurfürst dem Gedächtnis der Landbewohner ein, nahm residenzferne Landesteile symbolisch in Besitz und festigte damit seine Macht.
Eingestellte Jagden bestimmten in den Gegenden, in denen sie stattfanden, über Wochen das Leben der Untertanen und Beamten. Sie erforderten lange Vorbereitung, einen hohen Material- und Personaleinsatz sowie umfangreiche Scharwerksdienste. Parforcejagden setzten, sollten sie fürstlichen Ansprüchen genügen, den Unterhalt eines Trupps spezialisierter Jäger und einer großen Meute geschulter Hunde voraus. Sie fanden meist in großflächigen geschlossenen Gehegen oder Jagdparks statt, die von einem Zaun umgeben und durch ein System sternförmig angelegter Schneisen und Fahrwege, oft auch Alleen und Blickachsen, gut erschlossen waren.
Umfangreiche landschaftsgestalterische Eingriffe dieser Art sorgten für "optimale Einsehbarkeit und Passierbarkeit des Geländes" (371) und erleichterten so die Verfolgung des Wildes. Meist waren sie auf zentral gelegene Lust- oder Jagdschlösser ausgerichtet und standen damit im Dienst herrschaftlicher "Machtdidaxe": Vom Zentrum, dem Aufenthaltsort des Fürsten, ausgehend, wurde der Wald durchglänzt von absolutistischer Macht. Durch "die geometrische Unterwerfung von Natur" blieb der Herrscher selbst in seiner Abwesenheit präsent (404).
Die aufwändigste Anlage dieser Art in Bayern war der Forstenrieder Park im Westen Münchens; eine - wie Knoll sie nennt - "jagdliche Erlebnislandschaft" (73), zu der auch Schloss Nymphenburg gehörte und die bis zum Starnberger See reichte. Um im Park stets über die erforderliche hohe Zahl an Tieren zu verfügen, wurden alljährlich im ganzen Land Hirsche, Rehe und Wildschweine gefangen und in speziellen Transportkisten herbeigeschafft. Der Fang der Tiere und mehr noch ihr Lebendtransport über weite Entfernungen beschäftigten wochenlang zahlreiche Beamte, Jäger und Untertanen samt ihren Fuhrwerken und Pferden.
Der starke Einfluss jagdlicher Interessen auf das staatliche Handeln im Ancien Régime wird in Knolls Ausführungen zum Oberstjägermeisteramt besonders deutlich. Dieses war in Bayern wie in fast allen deutschen Territorien auch für die Forstverwaltung zuständig. Die "Jägerei" bildete innerhalb der kurfürstlichen Behördenorganisation einen "monolithischen Block" (174), der sich durch besondere Herrschernähe auszeichnete und damit nur schwer angreifbar war. Der Konflikt, der zwischen diesem Block und den anderen landesherrlichen Behörden bereits im 17. Jahrhundert schwelte, wurde seit Mitte des 18. Jahrhunderts durch zwei aktuelle Strömungen verschärft: erstens durch die Angst vor einer drohenden Holznot und Energiekrise, die der Forderung nach einer eigenen, nicht mehr der Jägerei und ihren Bedürfnissen untergeordneten Forstverwaltung Auftrieb verlieh; zweitens durch das Auftreten von Kameralisten und Aufklärern, die sich für eine "Hebung der Landescultur" einsetzten und von der Aristokratie ein Abrücken von ihrem mehr und mehr als unzeitgemäß empfundenen Jagdgebaren forderten. Es dauerte jedoch bis gegen Ende des Jahrhunderts, bis das Oberstjägermeisteramt zum Nachgeben gezwungen und jene Reformen in Angriff genommen werden konnten, die einer tief greifenden Umgestaltung von Forst- und Landwirtschaft den Weg ebneten. Auch wenn von der Jägerei keine positiven Impulse mehr ausgingen, so konnte sie doch als Reformhindernis bis kurz vor 1800 entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen.
Der Versuch, Kosten und Ertrag der landesherrlichen Jagd abzuschätzen, hat mit offensichtlichem Schlendrian in der Rechnungsführung der landesherrlichen Behörden und einem noch nicht vereinheitlichten, schwer überschaubaren System paralleler Kassen zu kämpfen. Knoll kommt wie schon Eckardt [1] zu dem Ergebnis, dass die Einnahmen weit hinter den Ausgaben zurückblieben. Überraschend ist jedoch, dass der Aufwand für die Jagd nur im selben Maß wie die Gesamtausgaben zunahm und ihre Steigerung hinter einem anderen wichtigen Bereich landesherrlichen Vergnügens und Repräsentation, nämlich der Hof- und Kammermusik, zurückblieb. Unbehagen verursacht, dass es Knoll bei der Aussage, die landesherrliche Jagd sei unwirtschaftlich gewesen, belässt und nicht die Frage stellt, ob sich der Aufwand auf anderer Ebene als der finanziellen vielleicht doch gelohnt habe. Das ist umso erstaunlicher, als er die repräsentative Funktion der Jagd selber ausführlich darstellt und damit - auch wenn der Begriff nicht fällt - das symbolische Kapital anspricht, dass mit ihr erworben werden konnte. [2] Diesem Gewinn wären freilich wieder der Unmut und Widerstand gegenüberzustellen, den die herrschaftliche Jagd bei der Landbevölkerung und den Aufklärern hervorrief.
Ein weiterer Schwerpunkt des Buches von Knoll sind wie schon bei Eckardt die Belastungen, die die landesherrliche Jagd für die ländliche Bevölkerung mit sich brachte, sowie der passive und aktive Widerstand, den sie auslöste. Das Spektrum reicht vom Nichterscheinen zu oder der Verweigerung von jagdlichen Scharwerksdiensten über die Beschädigung der Zäune, die die Jagdparks umgaben, bis hin zur Wilderei und zu tätlichen Angriffen auf das Jagd- und Forstpersonal. Gegen ihren Willen mitwirken musste die Landbevölkerung bei der Wildfütterung. In "zynischem Kalkül" (80) der Jagdverwaltung waren ihr nur wenig wirksame Mittel erlaubt, das Wild von Feldern und Gärten fern zu halten. Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Wildschäden zunahmen, wurden nicht diese, sondern die "vermehrte[n] Wildschadensklagen und stark steigende[n] Ersatzzahlungen als vorrangiges Problem angesehen." Man tat den Schaden "entweder als Gegenstand unbegründeter Klagen ab und kriminalisierte die Klageführer oder lastete ihn als Folge eines schlampigen oder unterlassenen Einsatzes erlaubter Abwehrmittel den Klägern selbst an" (246 f.).
Für die Wilderei zeigt Knoll eine ganze Reihe von Motiven auf: bäuerliche Selbsthilfe gegen Wildschäden, Protest gegen den Ausschluss vom Jagdrecht, Armut und Not, Nebenerwerb und schließlich auch Selbstdarstellung und Vergnügen, auf das Beamte, Offiziere, Bürger und Studenten nicht verzichten wollten. Er betont den Gegensatz in der Bewertung des Deliktes, der auch im Bayern des 18. Jahrhunderts den Kurfürsten von seinen Untertanen, weiten Teilen des Adels und der Beamtenschaft trennte, und der ein guter Nährboden für das Netzwerk von Helfern und Abnehmern war, auf das sich die Wilderer stützen konnten. Sein Resümee bleibt allerdings recht allgemein: Die gesellschaftliche Realität der Wilderei präsentiere sich "als multifaktorielles Gefüge, dessen Changieren hinsichtlich juristischer, moralischer und sozioökonomischer Kategorien die Charakterisierung als Grauzone zulässt" (332).
Knoll leistet mit seinem Buch über die landesherrliche Jagd in Bayern Außerordentliches. Es zeigt am Beispiel eines frühmodernen Flächenstaates auf, welch hohe Bedeutung die Jagd in den europäischen Gesellschaften der Frühen Neuzeit hatte: im Alltag, der Festkultur und Repräsentation der höfischen Gesellschaft, in der Verwaltung der absolutistischen Staaten, in der Behandlung der Wälder und im Leben der Untertanen. Indem er all das in großem Facettenreichtum herausarbeitet, macht er zugleich deutlich, dass die Erforschung der frühmodernen Jagd zu Unrecht vernachlässigt wurde und sein Buch eine empfindliche Forschungslücke schließen hilft.
Angesichts all dessen, was Knoll bietet, und der ungeheuren Menge an Quellen und Sekundärliteratur, die er durchgearbeitet hat, wäre es unfair, noch mehr zu fordern. Dennoch muss der Hinweis erlaubt sein, dass der Titel etwas zu viel verspricht. Von der Trias "Umwelt - Herrschaft - Gesellschaft" kommt mit der Umwelt gerade der Aspekt zu kurz, der an erster Stelle steht. Knoll verliert sich in wenig ergiebigen Versuchen "Modelle der historischen Waldentwicklungsforschung und der historischen Agrarökologie" (402, 346) zu erweitern. Bei den Eingriffen in die Wälder zu jagdlichen Zwecken stellt er nicht die Folgen für die Natur, sondern Repräsentation und Machtdidaxe in den Vordergrund. Wo es um den Einfluss des Menschen auf wild lebende Tiere geht, nimmt neben der anthropozentrisch-pädagogisch orientierten Jagdkritik der Aufklärung zwar das historische Wildtiermanagement großen Raum ein. Doch sind hier die von den Quellen gesetzten Grenzen zu eng, um entscheidend über schon Bekanntes hinaus zu gelangen.
Anmerkungen:
[1] Hans Wilhelm Eckardt: Herrschaftliche Jagd, bäuerliche Not und bürgerliche Kritik, Göttingen 1976.
[2] Vgl. bereits Katja Hürlimann: Rezension zu: Martin Knoll: Umwelt - Herrschaft - Gesellschaft. Die landesherrliche Jagd Kurbayerns im 18. Jahrhundert, St. Katharinen 2004, in: H-Soz-u-Kult, 26.08.2004, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-119.
Winfried Freitag