Gerd Schwerhoff: Die Inquisition. Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit, München: C.H.Beck 2004, 128 S., 2 Abb., 1 Karte, ISBN 978-3-406-50840-0, EUR 7,90
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"Inquisition sells". Dieser Umstand ist auch Gerd Schwerhoff, bislang eher mit Forschungen zur Kriminalitätsgeschichte und zur Blasphemie denn als Habitué der europäischen Inquisitionsarchive hervorgetreten, bewusst, wie aus seinen einleitenden Bemerkungen hervorgeht. Dem kommerziellen Appeal steht dabei gerade in Deutschland wohl kaum zufällig ein eklatanter Mangel an seriösen Titeln zum Thema entgegen. Obwohl sich der beste Beitrag zur Entwicklung des Inquisitionsverfahrens [1] in einer deutschen Zeitschrift für Rechtgeschichte findet, kann - bislang zumindest - von einer wettbewerbsfähigen deutschen Inquisitionsforschung kaum die Rede sein. Das nun in der nützlichen Reihe "Wissen" von C.H. Beck erscheinende Bändchen kann daher kaum wissenschaftliche Originalität beanspruchen, präsentiert aber in kompakter Form durchaus ein Minimum an Fakten und europäischen Forschungsfragen, was sicherlich nicht zu verachten ist. Da die Reihe den Autoren gebietet, auf einen ausgedehnten bibliografischen Apparat zu verzichten, ist dem Bändchen nur eine einseitige Literaturliste beigegeben, über deren Qualität sich durchaus streiten lässt, da sie offensichtlich aus rein sprachlichen Gründen auf die Erwähnung spanischer und italienischer Literatur verzichtet. So ist unverständlich, warum trotz Platzmangels ausgerechnet die zwar in grell peppigem Stil daherkommende, auf Deutsch verfügbare, aber bedenklich revisionistische und - schlimmer noch - vor Fehlern strotzende Studie von Peter Godman hier zu Ehren kommt. [2] Ein weiterführendes, teilweise kommentiertes Literaturverzeichnis (mit einer kritischen Anmerkung zu Godman) sowie ein Anmerkungsapparat finden sich auf der Website Schwerhoffs. [3] Diese geben im Wesentlichen "the state of the art" wider, wenngleich die portugiesische Literatur unterbelichtet bleibt und für Italien einschlägige Titel, wie jene von Cantimori, Fragnito und Brambilla, fehlen. [4]
Aufgrund der genannten editorischen Zwänge sind die Quellen Schwerhoffs nicht immer leicht auszumachen, doch drängt sich bei der Lektüre der Eindruck auf, dass vornehmlich die sprachlich leichter zugänglichen Beiträge (deutscher, englischer und französischer Provenienz beziehungsweise Übersetzungen) zur Kenntnis genommen wurden. Zwar wird Prosperis monumentales Werk [5] auf der Website gelobt, scheint aber nicht wirklich in die Analyse eingeflossen zu sein. Überhaupt fallen die Anmerkungen zu Italien eher durch gewisse Unsicherheiten auf: So mutiert einer der herausragenden Köpfe der römischen Inquisition, Kardinal Giulio Antonio Santoro - wohl unter dem Eindruck einer griechischen Ferieninsel - schon mal zu Santorini (105); bei dem im Zusammenhang mit Galilei als "Redondo" Zitierten (102) handelt es sich vermutlich um Pietro Redondi. [6]
In seiner Einleitung umreißt Schwerhoff kurz die noch immer wirkungsmächtigen populären und gelehrten Mythen, denen er im Schlusskapitel dann noch etwas eingehendere Beobachtungen widmet. Er stellt fest, dass die flächendeckende Institutionalisierung der Inquisition als ein wesentliches Phänomen der eben problematischen "Modernisierung" aufgefasst werden kann, dass Ketzerverfolgung nicht die alleinige Kompetenz der Inquisition, sondern auch anderer weltlicher und geistlicher Gerichte war. Die Institution entstand nicht en bloc, vielmehr setzte die Entwicklung eines neuen Verfahrenstypus und Deliktes (Häresie) sich langsam zur Inquisition zusammen. Allerdings fällt auf, dass die Ausformulierung und Definition theologischer Inhalte über die Jahrhunderte die Definition der Häresie veränderte beziehungsweise diese auf Bereiche des "misto foro" ausgedehnt wurde. Zwar begleiteten Häresien die Entwicklung des Christentums von Anfang an, doch war die Frage, wie ihnen entgegenzutreten sei, lange unklar. Letztlich sind die Entwicklung des Inquisitionsverfahrens und seine Anwendung nicht ohne die Verfestigung kirchlicher Strukturen und ihrer "juristischen" Systematisierung durch die Entwicklung des kanonischen Rechts, schließlich die Rezeption römischen Rechts denkbar. Auch hier konnten weltliche Herrscher, wie Friedrich II., durchaus wegweisend sein.
Fast die Hälfte des Bandes ist der Entwicklung der Inquisitionstribunale im Mittelalter gewidmet, als die wesentlichen rechtlichen und verfahrenstechnischen Grundlagen gelegt wurden und die bis in die Frühe Neuzeit maßgebenden Manuale entstanden. Nach einem Überblick über die regionalen Schwerpunkte (Südfrankreich, Italien, Deutschland) folgen Überlegungen zu den charakteristischen Prozessstufen und Urteilspraktiken. Schwerhoff stellt klar, dass das Ziel der Gerichte eher die Umkehr und Buße der Angeklagten zum Ziel hatte als Todesurteile, die nur durch die Übergabe an den weltlichen Arm vollstreckt werden konnten. Letztlich war der Einsatz der Inquisitionstribunale überall von politischen Faktoren sowie der Kooperation und Konkurrenz mit anderen bischöflichen und weltlichen Gerichten gekennzeichnet. Auch lokaler Widerstand in Form von Gewaltakten oder Falschaussagen begleitete das Vorgehen der Inquisitoren. Bezeichnend ist, dass die Ketzerbekämpfung in Südfrankreich langfristig an königliche Gerichte überging, während im deutschen Reich die päpstlichen Inquisitoren zunehmend an den Rand gedrängt wurden.
Der zweite Teil des Bandes behandelt die neuzeitlichen Inquisitionsgerichte, das heißt die Einrichtung der Inquisition als staatliche Institution in Spanien und Portugal sowie die römische Inquisition. Die wesentlichen Phasen der spanischen Inquisition werden im historischen Kontext der konfessionellen Vereinheitlichung und Disziplinierung im Rahmen des Staatsausbaus verortet. Das spanische Beispiel zeigt zudem, wie die ursprünglich zur Bekämpfung judaisierender Conversos ins Leben gerufene Inquisition sich territorial ausweitete und gesellschaftlich verankerte, um schließlich gegen andere Gruppen wie Moriscos oder die Altchristen (vor allem Verbal- und Sexualdelikte) selbst vorzugehen. Der qualitative Sprung gegenüber den mittelalterlichen Gerichten, die im wesentlich punktuell und zeitlich begrenzt mit päpstlicher Delegation agierten, wird hier besonders deutlich. Die wahre Institutionalisierung im Sinne einer dauerhaften territorialen Etablierung und eines klaren Instanzenzuges wurde zunächst in Spanien erreicht.
Die römische Inquisition schließlich entstand 1542 zur Abwehr der protestantischen Häresie. Eine eigene Indexkongregation zur Überwachung des Buchmarktes kam einige Zeit später hinzu. Im politisch zersplitterten Italien blieb die päpstliche Inquisition bis ins 18. Jahrhundert die einzige fast alle Territorien erfassende zentrale Institution. Um die Implantierung des Gerichts überall zu gewährleisten, mussten allerdings Kompromisse mit den weltlichen Fürsten eingegangen werden, die sich Kontroll- und Mitspracherechte sicherten (zum Beispiel in Form der Savi all'eresia in Venedig). Bürokratisierung und Systematisierung sind auch die Kennzeichen der römischen Inquisition. Vor allem ihre Anfangsphase bis circa 1600 war dabei entgegen aller neo-revisionistischen Legenden von durchaus brennendem Eifer gekennzeichnet. Ein eigenes Kapitel ist schließlich dem Zusammenhang von Inquisition und Hexenverfolgung gewidmet, das die Entstehung der Vorstellung des Teufelspaktes im inquisitorischen Milieu nachzeichnet. Den Beziehungen zu übergreifenden theologischen, medizinischen und philosophischen Denkströmungen (zum Beispiel Aristotelismus) geht Schwerhoff allerdings nicht nach. Auffällig ist, dass Hexenprozesse auf der iberischen Halbinsel, wo Inquisitoren in der Regel Juristen und keineswegs Theologen waren, eher ein Randphänomen blieben, während es im Wirkungsbereich der römischen Inquisition durchaus zu Hexenprozessen kam. Allerdings machten sich ab dem frühen 17. Jahrhundert gerade in Rom auch skeptische Stimmen bemerkbar, vor allem gegenüber den Praktiken im deutschen Reich. Letzteres schließlich zeigt, dass Inquisition und Hexenprozesse nicht unbedingt deckungsgleich sein müssen, wenngleich an dieser Stelle die genauen juristischen Zuständigkeiten und die Prozesstypen leider nur angedeutet und nicht näher behandelt werden.
Anmerkungen:
[1] Winfried Trusen: Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 74 (1988), 108-230.
[2] Zur Kritik an Godman vgl. die Rezension von Peter Schmidt, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 82 (2002), 853 f., wonach "grundlegende Sachverhalte der Behördengeschichte und des Verfahrensablaufs falsch dargestellt werden." Ein vernichtendes Urteil fällt auch Gigliola Fragnito, in: Rivista Storica Italiana 114 (2002), 584-600.
[3] Siehe hierzu www.gerd-schwerhoff.de.
[4] Elena Brambilla: Alle origini del Sant'Uffizio: penitenza, confessione e giustizia spirituale dal Medioevo al XVI secolo, Bologna 2000; Gigliola Fragnito: La bibbia al rogo: la censura ecclesiastica e i volgarizzamenti della scrittura, 1471-1605, Bologna 1997; Delio Cantimori: Eretici italiani del Cinquecento. Ricerche storiche, 3. Aufl. Firenze 1978 (Neuausgabe Turin 2002 mit einer Einleitung von Adriano Prosperi).
[5] Adriano Prosperi: I Tribunali della coscienza. Inquisitori, confessori, missionari, Torino 1999.
[6] Pietro Redondi: Galileo eretico, Torino 1983.
Nicole Reinhardt