Marjorie Grene / David Depew: The Philosophy of Biology. An Episodic History (= The Evolution of Modern Philosophy), Cambridge: Cambridge University Press 2004, XXI + 416 S., ISBN 978-0-521-64380-1, GBP 19,99
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Marjorie Grene, 'grand dame' der Wissenschaftsphilosophie, hat sich mit dem Kommunikationswissenschaftler David Depew zusammengetan, um der Reihe "The Evolution of Modern Philosophy" eine "Philosophy of Biology" beizusteuern. In dieser von der Cambridge University Press verlegten Reihe ist bereits eine "Philosophy of Physics" erschienen, als Nächstes folgen Bände zur Ästhetik, Psychologie, Politischen Philosophie, Religion und Mathematik. Die Reihenherausgeber Paul Guyer und Gary Hatfield verstehen die "Evolution" der Philosophie offenbar als ein radikal interdisziplinäres Geschehen, in das verschiedene Fachwissenschaften einzubeziehen sind. In diesem originellen Aufriss kommt der Biologie gewiss ein herausgehobener Platz zu, ist sie doch die Disziplin, für welche die Evolution zentral ist.
In der Tat skizzieren Grene und Depew in einem rasanten abschließenden Kapitel ihrer "Philosophie der Biologie in historischen Episoden" eine "ökologisch-historische" (348) Synthese von Biologie und Philosophie, in der sie (mit meist überflüssigen Seitenhieben auf die ihrer Meinung nach "barbarisch reduktionistische" Wissenschaftsoziologie) demonstrieren, wie der Biologie entlehnte Einsichten über das historische Zusammenspiel von Komplexität und Funktionalität neue Perspektiven zum Beispiel in die fruchtlosen Streitereien zwischen Genesis und Geltung zu bringen vermögen. Hier entwerfen sie in Grundzügen, warum gerade auch für fundamentale philosophische Reflexionen eine "Episodic History" die geeignete Herangehensweise darstellen könnte. Bis dahin ist es allerdings ein langer Weg, und die elf vorangehenden Kapitel halten nicht alle dieses Niveau, sondern sind bisweilen episodisch.
Trotz seinem im Untertitel reklamierten Eklektizismus wird mit dem Buch eine (selektive) Gesamtdarstellung versucht und die Entwicklung eines Hauptstranges biologischer Theoriebildung von Aristoteles' teleologischer Naturphilosophie über Descartes, Kant und Darwin bis zur synthetischen Evolutionstheorie und dem Human Genome Project (um die vorangehende Ausblendung der Humanbiologie wenigstens teilweise zu beheben) nachgezeichnet. Diese weit ausholende Geste bringt ungewöhnlich reiche Ernte vor allem dort, wo in einem solchen Reihenband vielleicht eher konventionelles Lehrbuchwissen erwartet würde. Die 35 Seiten zu Aristoteles demonstrieren, dass Grene auch 40 Jahre nach ihrem "Aristoteles-Porträt" noch immer zu den versiertesten Kennern der Materie zählt. Ihre Darstellung legt wichtige konzeptionelle Weichenstellungen bei Aristoteles in ihrer epistemologischen Tragweite gegen eine oftmals verflachende Rezeptionsgeschichte frei.
Auch das Kapitel über Kants Philosophie der Biologie, das für ein englischsprachiges Publikum an sich schon eine Überraschung darstellen dürfte, liefert weit mehr als Kants berühmte Absage an einen Newton des Grashalms. Die Autoren betten eine präzise Interpretation seiner Analyse von Lebewesen als Naturzwecken in der "Kritik der Urteilskraft" in Kants Auseinandersetzung mit Blumenbach und den zeitgenössischen Lebenswissenschaften ein, um so seine Bestimmung der Teleologie als regulative Idee zu rehabilitieren. Ebenso überzeugend schildern sie, wie Debatten auf dem Gebiet der Geologie und Paläontologie im England des frühen 19. Jahrhunderts Linien ins epistemische Feld zogen, die dann auch die Auseinandersetzungen um Darwin prägten. In diesen Kapiteln zeigen die Autoren, wie philosophische und wissenschaftshistorische Reflexionen einander befruchten.
Die Evolutionstheorie steht eindeutig im Zentrum des Bandes. Ihr sind fünf der zwölf Kapitel gewidmet, inklusive zwei Kapitel "Before Darwin" zum ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine durchaus (zum Beispiel mit Bachelard) zu rechtfertigende Reorientierung der Geschichte der Biologie durch ihren Fortgang führt im Fall der Debatte zwischen Cuvier und Geoffroy jedoch zum unreflektierten Präsentismus, wenn die Beziehung zu Darwin als Folie der Darstellung gewählt wird, obwohl die Autoren eingangs selbstkritisch konstatieren "[the] debate shows no such relation at all" (146).
Weniger überzeugend sind ausgerechnet jene Kapitel geraten, die eigentlich das Heimspiel für eine solcherart ideengeschichtliche Philosophie der Biologie sein sollten. Insbesondere das Kapitel zu Darwin bleibt hinter dem wissenschaftshistorischen Forschungsstand zurück, weil es sich weitgehend darauf beschränkt, Theorieformulierungen aus Darwins Veröffentlichungen miteinander zu vergleichen. Wie stark sich gerade Darwins Werk jedoch der historischen Konstellation intellektueller wie materialer Austauschbeziehungen verdankt, verschwindet dabei hinter einer blassen Werkgeschichte, wie zuvor schon das aus ähnlichen Gründen schwache Kapitel zu Descartes und Harvey. Auch der allzu kursorische Abriss zu Karl Pearsons Statistik, Gregor Mendels Kreuzungsversuchen, Thomas Hunt Morgans Drosophila-Experimenten und dem Hardy-Weinberg-Gesetz auf zusammen zehn Seiten gerät zu einer Rekapitulation von Theoriebausteinen, die vom historisch-intellektuellen Kontext dieser so verschiedenen Arbeiten absehen muss.
An Passagen wie diesen tritt eine internalistische Variante historisch gewendeter Wissenschaftsphilosophie in den Vordergrund, deren Insuffizienz andere Abschnitte des Bandes so hervorragend offen legen. Umso erstaunlicher ist es dann, wenn die Autoren kurz vor Schluss des Buches als "aktuelle Themen" der Philosophie der Biologie nicht mehr aufzulisten haben als ein Aufwärmen der Debatte um den Spezies-Begriff, die Frage der Reduzierbarkeit von Biologie auf Chemie und Physik (obwohl sie selbst eingestehen, dieses Thema sei "faded away", 312) beziehungsweise die endgültige Austreibung der Teleologie aus der wissenschaftlichen Biologie. Wenn die Autoren hier von einer "well deserved extinction of neo-teleology" (321) als ihrem Anliegen sprechen, wechseln sie unverhofft ins Genre der Streitschrift.
An dieser Stelle wünschte man sich, die Autoren hätten schon zuvor ihre Auswahl weniger durch etablierte Rezeptionswege als durch intellektuelle Neugierde (wie sie offensichtlich ihre Behandlung von Aristoteles und Kant anleitete) begründet und um so wichtige Diskurse wie die Zelltheorie, Claude Bernards Begriff des Inneren Milieus, Bergsons Dynamisierung der Ontologie, die theoretische Biologie eines Bertalanffy oder die Epistemologie der Lebenswissenschaften von Georges Canguilhem erweitert. Läge nicht gerade in diesen Debatten Potenzial für das Projekt einer ökologisch-historischen Wissenschaftsphilosophie? Ließe sich nicht zuletzt auch an eine solche Linie viel leichter mit einem vitalistischen "Realitätsprinzip" anschließen, wie die Autoren dies im abschließenden Kapitel skizzieren? Hier favorisieren Grene und Depew eine Wissenschaftsphilosophie, die darauf zielt, das Leben der Wissenschaft zu verstehen ("In short, what we are trying to understand, as philosophers, is the life of science"; 352, Hervorhebungen im Original). Das versetzte die Biologie als Wissenschaft des Lebens in der Tat in eine herausgehobene Erkenntnisposition.
Grene und Depew haben eine Philosophie der Biologie vorgelegt, die in ihren Episoden von Aristoteles bis zur molekularen Genetik biologische Theoriebildung als historisch-epistemologische Reflexion avisiert. Wie alle evolutionären Projekte ist auch dieses noch unabgeschlossen.
Cornelius Borck