Rezension über:

Stephan Freund: Von den Agilolfingern zu den Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen Kirchenorganisation, Reichsintegration und Karolingischer Reform (700-847) (= Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 144), München: C.H.Beck 2004, XLVIII + 429 S., ISBN 978-3-406-10739-9, EUR 35,00
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Rezension von:
Roman Deutinger
Bayerische Akademie der Wissenschaften, München
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Roman Deutinger: Rezension von: Stephan Freund: Von den Agilolfingern zu den Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen Kirchenorganisation, Reichsintegration und Karolingischer Reform (700-847), München: C.H.Beck 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/7950.html


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Stephan Freund: Von den Agilolfingern zu den Karolingern

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Der Untertitel gibt den Gegenstand der vorliegenden Jenaer Habilitationsschrift weitaus präziser an als der Haupttitel: Ihre drei Teile widmen sich der Entstehung der bayerischen Bistumsorganisation im frühen 8. Jahrhundert (A), der Rolle der bayerischen Bischöfe beim Machtwechsel von 788 (B) und der Umsetzung der kirchlichen Reformgesetzgebung in den bayerischen Diözesen zu Beginn des 9. Jahrhunderts (C). Trotz des zeitlichen Kontinuums und der einheitlichen landesgeschichtlichen Perspektive handelt es sich dabei um drei recht unterschiedliche Themenfelder, und so vermag Freund zwar allen dreien interessante neue Gesichtspunkte und Erkenntnisse abzugewinnen, auf einen gemeinsamen Nenner lassen sich diese Ergebnisse aber nicht bringen.

Die Kernthese des ersten Teils (A) lautet: Im Gegensatz zur traditionellen Sicht ist der Versuch Herzog Theodos von circa 716, eine eigenständige bayerische Bistumsorganisation zu errichten, nicht gescheitert, sondern tatsächlich zum Abschluss gekommen. Das Auftreten der drei Bischöfe Emmeram, Korbinian und Rupert ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Aktivität des Bonifatius in Bayern im Jahr 739, die man bisher stets als Neugründung von Bistümern aufgefasst hat, war deshalb lediglich eine Re-Organisation: Wenn Bonifatius in diesem Jahr neue Bischöfe für Regensburg, Freising und Salzburg weihte, so nicht deshalb, weil es bis dahin gar keine Bistümer gegeben hätte, sondern weil die vorhandene kirchliche Ordnung den hohen Ansprüchen des päpstlichen Legaten nicht genügte.

Die Entmachtung Tassilos durch Karl den Großen, so die Hauptthese des zweiten Teils (B), haben die bayerischen Bischöfe nicht in dem Maß gefördert, wie es die bisherige Forschung sehen wollte. Vielmehr gibt es Indizien dafür, dass Karl in den ersten Jahren nach 788 sogar Schwierigkeiten hatte, in Bayern Fuß zu fassen. Erst ein längerer Aufenthalt des Frankenkönigs in Regensburg 791-793 leitete hier die entscheidende Wende ein. Im Einklang mit der bisherigen Auffassung stellt Freund für diese Integrationsphase (Erz-)Bischof Arn von Salzburg als wichtigsten Kontaktmann Karls in Bayern vor. Die Entscheidung für Salzburg (statt Regensburg) als Metropolitansitz bei der Errichtung einer bayerischen Kirchenprovinz 798 sei jedoch nicht so sehr auf dieses enge persönliche Verhältnis zurückzuführen als auf ältere Weichenstellungen des frühen 8. Jahrhunderts. Abgesehen davon, dass dem Rezensenten allein schon die klassische Frage "Warum nicht Regensburg?" falsch gestellt erscheint, vermag die Argumentation in diesem Detail allerdings nicht recht zu überzeugen.

Der dritte Teil (C) stellt dann ganz die Person des Regensburger Bischofs Baturich (817-847) in den Mittelpunkt, dessen Tod auch den - ansonsten nicht so recht zu motivierenden - Abschluss der gesamten Untersuchung markiert. Trotz einer - besonders im Vergleich zu Freising - wenig ermutigenden Überlieferungslage gelingt es, neue Erkenntnisse zu seiner Biografie zu gewinnen und sein Wirken als Diözesanbischof genauer als bisher zu rekonstruieren. Entscheidend für seine Karriere war demnach neben seiner Herkunft aus ostbayerischem Adel die Zugehörigkeit zum Kreis um Alkuin, Arn und Hraban und damit die Nähe zum Herrscherhof. Als Bischof versuchte Baturich anscheinend besonders eifrig, die Beschlüsse der Reformsynoden zu Beginn der Regierung Ludwigs des Frommen umzusetzen. Das lässt sich am besten hinsichtlich des bischöflichen Grundbesitzes und der Entwicklung des Regensburger Skriptoriums beobachten, weniger gut im Hinblick auf Seelsorge und karitative Tätigkeit. Politisch hingegen bleibt Baturich, wie seine bayerischen Amtskollegen, eine wenig profilierte Gestalt, auch wenn er nominell den Titel eines Erzkapellans König Ludwigs des Deutschen trug.

Obwohl Freund gerade in den ersten beiden Teilen ein viel beackertes Feld erneut umgepflügt hat, ist in seiner Arbeit doch mehr herausgekommen als eine bloße Zusammenfassung des Forschungsstandes. Zwar gibt es durchaus Partien, die in diese Richtung tendieren; im Bemühen um Vollständigkeit sind nämlich neben den drei Hauptthemen zahlreiche kleinere Fragen zur bayerischen Kirchengeschichte jener Zeit behandelt, was im Rahmen des Gesamtthemas nicht in jedem Fall nötig gewesen wäre. Die Klostergründungen Odilos und Tassilos wären hier als Beispiel zu nennen. Doch auch dafür kann man dankbar sein angesichts der Tatsache, dass es an neueren Überblicken zu diesem Thema mangelt. Das Hauptverdienst der - übrigens flüssig zu lesenden und auch in den Details stets sorgfältigen - Arbeit liegt jedoch vor allem darin, auf scheinbar restlos abgegrasten Gebieten neue, durchweg anregende Perspektiven aufzuzeigen. Selbst wenn sich der Leser nicht in jedem einzelnen Punkt überzeugen lassen wird, so hat das Buch doch das Zeug dazu, die Diskussion zu diesen altbekannten Problemen neu zu beleben.

Einige grundsätzliche methodische Schwierigkeiten konnten jedoch auch in dieser Studie nicht gelöst werden. Für die Frühzeit der bayerischen Kirche ist die Quellenbasis bekanntlich mehr als schmal; von den einzelnen Überlieferungssplittern auf historische Vorgänge und von diesen wiederum auf Kausalzusammenhänge zu schließen, ist unter dieser Voraussetzung ausgesprochen heikel. Ein Beispiel: Freund setzt die Ankunft Emmerams, Korbinians und Ruperts in Bayern ungefähr gleichzeitig um 715 an, durchaus im Einklang mit einzelnen neuerdings geäußerten Forschungsmeinungen. Da dieser Zeitansatz aber bei allen dreien in den Quellen genauso gut oder vielmehr genauso schlecht abgesichert ist wie irgendein anderer, bleibt es ganz unsicher, ob die Berufung der drei Bischöfe wirklich mit dem Versuch einer Bistumsorganisation zusammenhängt, der sich dank eines päpstlichen Schreibens sicher auf 716 datieren lässt, und ob Theodos Romreise wirklich als Reaktion auf Emmerams Ermordung zu betrachten ist. Zu Recht charakterisiert Freund seine Rekonstruktion der Ereignisse an dieser Stelle als bloßes "denkbares Szenario" (22).

Ähnliche Schwierigkeiten tun sich im dritten Teil auf: Hier soll Baturich "exemplarisch für seine Amtsbrüder" (242) betrachtet werden. Das ginge an, wenn tatsächlich allein die vorhandene Überlieferung zu seiner Person zur Grundlage gemacht würde und erst in einem zweiten Schritt die dabei gemachten Beobachtungen mit Erkenntnissen zu anderen Diözesen verglichen würden. Doch allzu oft können Lücken in Baturichs Biografie wegen der schlechten Quellenlage allein aufgrund allgemeiner Überlegungen geschlossen werden. Ginge es darum, eine Baturich-Biografie zu schreiben, wäre dieses Verfahren durchaus legitim; will man jedoch das Exemplarische an seinem Werdegang feststellen, so droht ein klassischer Zirkelschluss: Wenn man kirchenrechtliche Normen und Aussagen über andere Bischöfe vermutungsweise auf Baturich überträgt, weil einschlägige Zeugnisse zu seiner Person fehlen (besonders 247 f., 299 ff., 305-311, 345 f., 377 ff.), dann entspricht das auf diese Weise gewonnene Bild ja ganz zwangsläufig unseren allgemeinen Vorstellungen von einem "bayerischen Reichsbischof" (405).

Der Rezensent möchte nun nicht behaupten, er kenne eine Lösung für diese methodischen Probleme, die ja, das sei wiederholt, in der Quellenlage begründet liegen. Er hätte sich aber gewünscht, dass sie etwas deutlicher angesprochen worden wären, um die brüchige empirische Grundlage und den folglich stark hypothetischen Charakter der Ergebnisse nicht vergessen zu lassen. Trotz dieses Vorbehalts: Die Lektüre des Buchs ist ein Gewinn - und das übrigens nicht nur für bayerische Leser.

Roman Deutinger