Rezension über:

Ludwig Uhlig: Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers (1754-1794), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 408 S., 16 Abb., ISBN 978-3-525-36731-5, EUR 42,90
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Rezension von:
Tanja van Hoorn
Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA), Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Tanja van Hoorn: Rezension von: Ludwig Uhlig: Georg Forster. Lebensabenteuer eines gelehrten Weltbürgers (1754-1794), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/7187.html


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Ludwig Uhlig: Georg Forster

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Die Gattung Biografie hat Konjunktur: sei es als literarische Biografie, in der Leben, Werk und Zeitgeschichte mithilfe narrativer Verfahren zu einer kunstvoll strukturierten Form verwoben werden (Dieter Kühn, zuletzt über Maria Sibylla Merian), sei es als populärwissenschaftliche Biografie, die das Leben einer historischen Persönlichkeit erzählt, um auf deren Werk neugierig zu machen (Michael Zaremba über Johann Gottfried Herder), sei es schließlich als literaturwissenschaftliche Schriftsteller-Biografie, die das Œuvre eines Autors vor dem Hintergrund von Lebens- und Zeitgeschichte profiliert, Quellen und Bezüge bibliografisch nachweist und sich wesentlich als "Werkbiographie" versteht (Peter-André Alt über Friedrich Schiller).

Zentrales Darstellungsproblem jeder Biografie ist die Verknüpfung von individueller Lebensgeschichte und allgemeiner Zeitgeschichte; die wissenschaftliche Schriftsteller-Biografie sieht sich darüber hinaus vor die Aufgabe gestellt, in das Spannungsfeld dieser beiden Pole die erläuternde Präsentation des literarischen und / oder wissenschaftlichen Werks sinnvoll zu integrieren. Peter-André Alt hat dieses grundlegende Konzeptionsproblem der Biografie durch ein uneingeschränktes Primat des Werkes gelöst, das Struktur und Gliederung vorgibt: Zeitgeschichtliche Einbettungen finden sich in separaten einführenden Kapiteln, die Darstellung der Lebensgeschichte wird durch eine Perspektive geprägt, die "das Werk für die gelungene Seite der Biographie hält". [1]

Ganz anders Ludwig Uhlig: knapp vierzig Jahre nachdem er mit seiner Dissertation [2] Maßstäbe für die neuere Forster-Forschung gesetzt hat, legt er nun, pünktlich zum 250. Geburtstag, eine wissenschaftliche Biografie vor, die im Kern nicht auf das Werk zielt, sondern auf die "eingehende Erkundung der verschiedenen Kontexte, in denen sich das historische Individuum jeweils befindet" (9).

Seinen Kontextualisierungs-Ansatz setzt Uhlig explizit gegen eine Tendenz der bisherigen Forster-Biografik, die Leben und Werk simplifizierend als lineare, zielgerichtete Entwicklung vom Weltumsegler zum Revolutionär präsentiert habe (gemeint, wenngleich nicht genannt, sind: Ulrich Enzensberger, Klaus Harpprecht und Alois Prinz [3]). Demgegenüber strebt der Verfasser eine quellennahe, "umfassende, auf einem breiten Fundament handfester Zeugnisse beruhende Gesamtdarstellung" (9) an, die Forsters vielfältige Verankerung in den zeitgenössischen naturgeschichtlichen, philosophischen, ästhetischen und politischen Diskursen rekonstruieren und Leben und Werk auf der Basis "verweilende[r] Rundblicke" im aufklärerischen Wissenschaftsfeld genau verorten will: "Die Darstellung soll den Weitblick über die Gesamtheit von Forsters Zeitverhältnissen so mit der Vertiefung in die Einzelheiten seines Lebens und seiner Schriften vereinen, daß sich die Folge besonderer Episoden und Äußerungen zur Kontinuität eines Lebenslaufs verknüpft." (16f.).

Formal schlägt sich der intendierte Dreistrang aus Sozial-, Individual- und Werkbiografie mit einem Schwerpunkt auf der ausführlichen Skizzierung des "historischen und geistigen Panorama[s] seiner Zeit" (Klappentext) allerdings nicht unmittelbar nieder: Der Verfasser unterteilt sein Werk in 23 durch eine "Einleitung" und ein "Nachspiel" gerahmte Kapitel, die sich von den "Lehr- und Wanderjahre[n]" bis zu einer Darstellung von Forsters Lebensende "im revolutionären Frankreich" an den aufeinander folgenden Lebensstationen orientieren.

In der Binnenstruktur des äußerlich chronologisch strukturierten Aufbaus entfaltet Uhlig dann jedoch in der Tat die beeindruckende Vielfalt der Bezugsnetze von Forsters Leben und Werk und begibt sich auf die Spuren der komplizierten Verknüpfungen unterschiedlicher Wissens- und Diskussionsstränge.

So enthält, um nur ein Beispiel zu nennen, das gut zwanzigseitige 15. Kapitel, das unter dem Titel "Fremdlinge in diesem Lande" (194-215) Forsters Lebensabschnitt in Wilna gewidmet ist, nicht nur biografische Abschnitte über die alltäglichen Freuden und Sorgen von Therese und Georg Forster in der Fremde der damals auf polnischem Territorium befindlichen Stadt. Im selben Kapitel werden darüber hinaus drei während dieser Zeit entstandene bedeutende Essays Forsters, "Noch etwas über die Menschenraßen", "Neuholland und die brittische Colonie in Botany-Bay" und "Cook der Entdecker", kurz charakterisiert, im Gesamtwerk Forsters unter Rückgriff auf etwaige Vorarbeiten verortet und auf dem Tableau der zeitgenössischen physisch-anthropologischen und menschheitsgeschichtlichen Debatten beziehungsreich situiert. Der Verfasser stellt die Texte in ihre Kontexte, verortet Menschenrassenfrage wie Entdeckungsproblematik im Geflecht der Diskussionen zwischen Soemmerring, Blumenbach, Herder, Kant, Home einerseits, Raynal und Ferguson andererseits. Doch damit nicht genug: in das 15. Kapitel finden schließlich auch die anderen seinerzeit aktuellen Debatten Eingang, die Forster während seiner Wilnaer Zeit wahrnimmt und zu denen er sich in Briefen äußert (Spinozismus-Streit, Religionskritik und andere).

Die vom Verfasser ausgebreitete Materialfülle ist enorm, die kompetent aufgezeigten Fährten und Verweise, die den geistigen Raum Forsters über Landes- und Disziplingrenzen hinweg umfassend verfolgen, sind imponierend. Kurz: Uhligs methodischer Ansatz, Forster in den Bezugsnetzen seiner Zeit aufzuspüren, erweist sich als überaus lohnend und ergiebig.

Dennoch stellt sich gerade angesichts der Weite des aufgeschlossenen Horizontes die Frage, ob das konsequent chronologische Darstellungskonzept sinnvoll ist. Zwar lassen sich Forsters Werke durchaus einzelnen Lebensstationen zuordnen. Nach der Lektüre von Uhligs äußerst gelehrter Biografie bleibt aber der etwas zwiespältige Eindruck, dass die Verknüpfung von tableauartigem "Panorama" (Klappentext) der Kontexte und chronologischer Lebens- und Werkdarstellung nicht immer leserfreundlich zu einem tendenziell erschlagendem Makrokosmos zusammengefügt wurden. Vielleicht hätte eine deutliche Markierung der komplexen kontextualisierenden "Rundblicke" - beispielweise in Form von Unter- oder Zwischenkapiteln - helfen können, den Leser zu lenken und zu orientieren. Denkbar wäre auch eine Durchbrechung der Chronologie durch einige systematische Kapitel (zum Beispiel zu Forsters Auseinandersetzung mit Kant) - auch wenn eingeräumt werden muss, dass bei einer derartigen Vorgehensweise die Grenze zwischen Biografie und Monografie schnell überschritten ist.

Festzuhalten bleibt: Uhlig legt eine wissenschaftliche Biografie vor, die Forster erstmalig umfassend im Wissenschaftsfeld seiner Zeit profiliert. Das ausführliche Personenregister führt auch den Ungeduldigen schnell zum Ziel; der Geduldige wird das Buch vielleicht etwas erschöpft, sicherlich aber bereichert und gebildet aus der Hand legen.


Anmerkungen:

[1] Peter-André Alt: Schiller. Leben - Werk - Zeit, 2 Bde., München 2000, das Zitat Bd. 1, 14.

[2] Ludwig Uhlig: Georg Forster. Einheit und Mannigfaltigkeit in seiner geistigen Welt, Tübingen 1965.

[3] Vgl. Ulrich Enzensberger: Georg Forster. Weltumsegler und Revolutionär. Ansichten von der Welt und vom Glück der Menschheit, Berlin 1979; ders.: Georg Forster: Ein Leben in Scherben, Frankfurt a.M. 1996; Klaus Harpprecht: Georg Forster oder die Liebe zur Welt. Eine Biographie, Reinbek 1987; Alois Prinz : Das Paradies ist nirgendwo. Die Lebensgeschichte des Georg Forster, Weinheim / Basel 1997.

Tanja van Hoorn