Helga Botermann: Wie aus Galliern Römer wurden. Leben im Römischen Reich, Stuttgart: Klett-Cotta 2005, 474 S., 105 Abb., ISBN 978-3-608-94048-0, EUR 29,50
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Dieses Buch ist jedem zu empfehlen, der sich für die Geschichte Galliens zwischen römischer Eroberung und Spätantike interessiert. Nach einer Einleitung zum Thema Romanisierung (11-46) werden die Kontakte zwischen Griechen und Kelten dargestellt (47-82), gefolgt von der römischen Eroberung und der Natur des römischen Imperialismus (83-118). Es folgen Kapitel zu Provinzverwaltung (119-153), Epigrafik (154-198) und Kaiserkult (199-226), sowie über Nîmes (227-275), die gallorömische Gesellschaft (276-338), Christenverfolgung (339-381) und schließlich zur Spätantike und den letzten Überbleibseln der klassischen Bildung in Südfrankreich (382-416). Auch wenn dies nicht explizit im Titel steht, so beschränkt sich die Autorin doch auf die Provinz Gallia Narbonensis.
Es handelt sich um ein lesbares Buch mit einem lockeren Erzählstil und ohne Fachjargon, das auch Anekdoten und Erfahrungen der Autorin beinhaltet. Dazu kommen ca. 130 Schwarz-Weiß-Fotos. Obwohl stark quellenorientiert, ist das Buch für ein breites Publikum sehr geeignet, denn es bietet viele für Laien und Studenten wertvolle Erklärungen und Exkurse, die es zu einer guten Einführung in das Studium westlicher Provinzen macht. Um die Ereignisse in Südfrankreich zu verstehen, erhält der Leser auch Hintergrundwissen zur römischen Geschichte. Eindrucksvoll ist die Fülle an Informationen, Beispielen und Einblicken, die dem Leser in leicht verständlicher Form dargebracht werden und ein vortreffliches Bild der Gallia Narbonensis bieten.
Viele Textstellen werden nicht nur ungekürzt wiedergegeben, sondern dienen zugleich als Beispiele für die Quellenarbeit, mit Hinweisen auf Interpretationsprobleme inklusive Hintergrundwissen über antike Autoren. Anhand von Inschriften werden die Schicksale von Menschen aus allen sozialen Gesellschaftsschichten dokumentiert. Kapitel V beinhaltet eine "etwas schulmeisterliche Einführung in die Epigraphik" (32), die dem Leser Mut machen will, sich selbst in den Museen Inschriften anzusehen (158).
Der Titel des Buches "Wie aus Galliern Römer wurden" verweist auf jene soziokulturellen Prozesse, die man gemeinhin unter dem umstrittenen Sammelbegriff "Romanisierung / Romanisation" bündelt. Doch hier gibt es nicht die analytische Untersuchung, die man vielleicht erwartet hätte. "Romanisierung" ist ein Minenfeld, welches die Autorin größtenteils vermeidet, in dem sie weniger soziokulturelle Veränderungen analysiert, sondern Beispiele für die Romanitas der Eliten gibt, also für die Adoption einer römischen Identität durch die lokale Bevölkerung. Problematisch ist es, wenn Begriffe wie Akkulturation und Assimilation beinahe synonym zu Romanisierung benutzt werden (16 f.) und wenn die Definition für "freiwillige Akkulturation" als das "Bestreben, sich eine überlegene Kultur zu eigen zu machen" (17), uns methodisch hundert Jahre - in die Zeit von Mommsen und Haverfield - zurückwirft. Ebenso wundert man sich, dass der Grad der "Romanisierung" nicht nur messbar, sondern sogar die Anzahl von Inschriften ein Gradmesser sei (33 f.).
Die soziokulturellen Prozesse sind viel komplexer, wie wir in der spätrepublikanischen Epoche hätten sehen können, die leider nur sehr oberflächlich behandelt wird (47-82). Die Autorin bewertet die Rolle von Marseille über, wenn sie annimmt, dass die "Griechen zu den Lehrmeistern der Gallier" wurden (71). Zum Problem der Ligurer bzw. Keltoligurer (47, 58), der angeblich aus "Mangel an Beweisen" aufgegebenen These einer keltischen Einwanderung (47, 57 f.) sowie einer Diskussion der Quellen zur Keltenfrage (54), der mindestens bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. zurückreichenden Heroenkulte (80) oder der indigenen Form des Urbanismus, die sich vom griechischen Modell unterscheidet, siehe jetzt D. Garcia. [1]
Das Thema Religion wird nur beiläufig behandelt (181-198). Man wundert sich, dass die Autorin zu dem Schluss kommt, dass ausgerechnet Weihinschriften - trotz ihrer unrömischen Assoziationen und über 100 epigrafisch belegten, keltischen Götternamen aus dieser doch so "hoch romanisierten" Provinz - "von der Selbstromanisierung der Gallier zeugen" (198). Mars Albiorix wird als "römisch-keltisches Mischwesen" bezeichnet (183) und zu Jupiter und seiner Identifikation mit dem keltischen Taranis hätte man mehr erwartet (188). Die Beziehung zwischen Silvanus und Sucellus wird zwar erwähnt, dennoch wird er als Wald- und Hirten- bzw. Fruchtbarkeitsgott beschrieben, der "wirklich nur außerhalb der Städte" repräsentiert sei (187), obwohl er sich in den meisten Städten wieder findet und den chthonischen Charakter des keltischen Sucellus hat. Unrömisch anmutende Kultstätten der Kaiserzeit (wie Lioux) werden nicht erwähnt. Absolut gerechtfertigt ist die Kritik an Gros' Begriff "Augusteum" für Nîmes' Quellheiligtum. Dem Kaiserkult wird ein ganzes Kapitel gewidmet (199-226), da die Kaiserverehrung als Zeichen der Romanisierung gesehen wird, woraus die Autorin zum Beispiel schließt, dass die Allobroger sich "bereitwillig auf den Pfad der Romanisierung begeben" hätten (222), obwohl gerade der Fall Châteauneuf, wo der Kaiser tatsächlich als Gott verehrt wurde, doch sehr unrömisch erscheint.
Man kann der Autorin zustimmen, dass die "Selbstromanisation" der entscheidende Motor für den Sozialwandel war (z. B. 24). Aber es ist problematisch, wenn der Eindruck erweckt wird, als beträfe es alle Bevölkerungsschichten (25), während es doch (selbst in Italien) eine kleine, wohlhabende Elite war, die am perfektesten ihre Romanitas und humanitas zur Schau stellte. Das führt uns zu den Villen, die den auf weit verstreuten Besitztümern erwirtschafteten Reichtum zur Schau stellen, wobei obsolete Konzepte wie Villawirtschaft (282 f.) und die Bedeutung von Sklavenarbeit in Südfrankreich, überbewertet werden. Da die Selbstromanisierung hervorgehoben wird, überrascht es, wie viel Bedeutung den Römern in diesem Prozess gegeben wird, welche die "Gallier an die römische Ordnung gewöhnen" müssten (132). So erfahren wir auch, dass "die Anfänge eines lateinsprachlichen Unterrichts wahrscheinlich oktroyiert" waren (24; 333-337), obwohl die lokale Elite schon aus politischen Gründen in der Latènezeit polyglott gewesen war, während beispielsweise Glanums Figurenkapitelle die Rezeption griechischer Mythologie in vorrömischer Zeit zeigen.
Den Römern wird auch im Urbanisierungsprozess übermäßig viel Kontrolle und Initiative zugerechnet (126-129). Die Ordnung der Narbonensis sei "aus einem Guß" unter Octavian um 40 v. Chr. geschaffen worden (131), womit die "Römer einen Rahmen schufen, in dem die Unterworfenen sich auf Dauer einrichten konnten" (127; 153). Das Kapitel zum römischen Imperialismus (durchaus essenziell, um die Motivation zur Selbstromanisierung besser zu verstehen) bringt uns zum alten Thema des "defensiven Imperialismus" zurück, wenn behauptet wird, dass die Römer keinen Eroberungswillen, sondern lediglich "Sicherheitsinteressen" gehabt hätten (85).
Wie "römisch" die Menschen in Südfrankreich waren, wird dem Leser immer wieder an Beispielen vorgeführt, während kontroverse Forschungsmeinungen in die Fußnoten verbannt werden. Der Untertitel "Leben im Römischen Reich" ist viel wichtiger, um das Konzept des Buches zu verstehen. Es ist eine gute Einführung, die das Leben in einer römischen Provinz beschreibt und zugleich in einen breiten Kontext stellt, innerhalb dessen dem Leser wichtige Zusammenhänge erläutert werden. Somit erklären sich auch die langen Exkurse, zum Beispiel über Gladiatoren (352-367), das Kataster von Orange (138-147), Weinproduktion in Frankreich (284-290), Rechtsstatus von Sklaven (294-306), Schule und Bildung (334), den "Tables Claudiennes" (324-328), u.v.a.m.
Die Anekdoten und die in der 1. Person erzählten persönlichen Erfahrungen der Autorin machen den Charakter des Buches aus. Zu persönlich wird es dagegen in der völlig unbegründeten Attacke auf Dr. Anne Roth-Congès von der CNRS in Aix-en-Provence (93), der schließlich besten Kennerin von Glanum, auch wenn man über die Terminologie gewisser Bauwerke streiten kann. Glanum liegt natürlich an der Via Domitia, nicht Aurelia (94), die Lingonen gehören nicht zur Lugdunensis (341) und ob ohne Caesar die Republik weiterbestanden hätte (113), ist fraglich. Ansonsten handelt es sich um ein sehr gut strukturiertes und gut lesbares Buch, das Geschichte mit dem noch heute sichtbaren verbindet, und sich an jeden wendet, der mehr über das römische Südfrankreich wissen will.
Anmerkung:
[1] D. Garcia: La Celtique méditerranéenne, Paris 2004.
Ralph Häussler