Katharina Fietze: Im Gefolge Dianas. Frauen und höfische Jagd im Mittelalter (1200-1500) (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 59), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, X + 176 S., 14 Farb-, 17 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-13204-0, EUR 29,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Es ist begrüßenswert, dass ein neuer Titel erschienen ist, der sich mit der Jagdgeschichte befasst, v. a. mit Frauen und Jagd im Mittelalter. "Ziel der Arbeit ist es, die Beteiligung von Aristokratinnen an verschiedenen Jagdformen des Mittelalters zu dokumentieren und sie sport- und kulturgeschichtlich zu deuten" (2) - so die Sportwissenschaftlerin Katharina Fietze in der Einleitung zu ihrer Habilitationsschrift. Das Buch ist ansprechend und handlich, es ist in einer renommierten Reihe des Böhlau Verlages erschienen, hat viele Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß (bedauerlicherweise nahezu durchgängig in schlechter Qualität) und hat neben einem Inhaltsverzeichnis auch je eines für Abkürzungen und Abbildungen, ein Personen- und Orts- sowie ein Sachregister.
Der Inhalt der Arbeit ist gut gegliedert. Auf die Einleitung folgen die Kapitel "Gesellschaftliche Rahmenbedingungen", "Praktische Voraussetzungen", "Jagdliteratur des Mittelalters", "Beizjagd mit abgerichteten Greifvögeln", "Hetzjagd mit abgerichteten Hunden" und "Ergebnisse". Dies lässt eine fundierte, umfassende Untersuchung des gestellten Themas erwarten. Misstrauen erregt allerdings Punkt "1.7 Aufbau der Arbeit" (20 f.) trotz eines Inhaltverzeichnisses. Die Kapitelüberschrift "Einige Jagdbücher des Mittelalters" (54 ff.) klingt eher willkürlich, entspricht bei näherer Betrachtung jedoch dem Inhalt des Kapitels. Weiterführende Einblicke zu insgesamt neun wunderbaren Büchern könnte wohl keiner auf fünf Seiten gewährleisten.
Die Fachliteratur wurde nicht in der nötigen Breite wahrgenommen, es hätte sich mit viel Gewinn empfohlen, auch Einzeluntersuchungen zurate zu ziehen. Zu nennen wäre beispielsweise Niedermanns Untersuchung zur Jagd am burgundischen Hof (1995) oder "Sport, War and The Three Orders of Feudal Society" von Carter (1985). Auch sollte man eine intensivere selbstständige Auseinandersetzung mit den Bild- bzw. Textquellen wohl erwarten können statt folgender Äußerungen: "Es wäre wünschenswert, daß dieser mittelfranzösische Text in eine moderne Sprache übersetzt und somit einer genaueren Erforschung zugänglich gemacht würde" (60). Oder: Die "kunstgeschichtlichen Kommentierungen [...] waren als Grundlage für eine bewegungskulturelle Interpretation [...] fast durchweg ungeeignet. Aus diesem Grunde mußte ich die Kunstwerke selbst sprechen lassen." (20). Oder: Das Bild "[...] wäre im farbigen Original besser erkennbar. Mir stand nur die vorliegende Reproduktion zur Verfügung" (84).
Werfen wir einen Blick auf den Umgang mit mittelalterlicher Geschichte: "Im frühen Mittelalter wurde die Jagd noch standesübergreifend ausgeübt. [...] Das änderte sich in karolingischer Zeit" (3). Zählten die Karolinger nicht zum Frühen Mittelalter? "Im 11. Jahrhundert etablierte sich das Bürgertum" (23). Unglücklicherweise bleibt dies kein Einzelbeleg für fehlende Kenntnisse mittelalterlicher Geschichte: So verwendet die Autorin im Ortsregister (!) den Begriff "Deutsches Reich" (161) synonym für das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" (2), das "deutsch-römische Reich" (37) und schließlich sogar für das "Römische Reich" (43). Die Zählung von Herrschern wird im Deutschen mit römischen Ziffern vorgenommen, hinter denen ein Punkt steht: Friedrich II. (nicht etwa Friedrich II, durchgängig). Philipp von Savoyen (übrigens nicht Savoy, 97) starb 1497, konnte also nicht noch weitere drei Jahre mit Marguerite von Österreich verheiratet sein.
Es ist durchaus legitim, davon auszugehen, "daß Frauen Subjekte der Geschichte waren" und Geschichte "aktiv mitgestaltet haben [...]. Unter dieser Voraussetzung sind Edelfrauen nicht bloß als Beiwerk, sondern als Trägerinnen der höfischen Kultur des Mittelalters zu betrachten." Ohne jeglichen Beleg jedoch zu schlussfolgern, dass es daher "zu erwarten" sei, "daß sie einen aktiven Part bei der höfischen Jagd gespielt haben" (12) ist wissenschaftlich nicht haltbar (ähnlich auch 50). Gleiches gilt für folgende Äußerung: "Gace de la Buigne duzt seine Leserschaft und bezieht Frauen somit als Leserinnen mit ein" (58). Ebenso wenig ist die Tatsache, dass "die Gesellschaft weniger fröhlich und kurzweilig" ist, "ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Damen in der kalten Jahreszeit fehlten" (60). "Jagdaktivitäten von Frauen des niederen Adels oder von Bürgerinnen (sic!)" bleiben "unerwähnt, weil die Geschichtsschreibung hauptsächlich Interesse an den Aktivitäten von Königinnen [...] hatte" (98). Wie bedauerlich, dass Fietze uns nicht an ihrer Kenntnis dieser Damen des niederen Adels und v. a. der "Bürgerinnen" teilhaben lässt. Dennoch schlussfolgert sie, dass die "Zugehörigkeit zum Adelsstand" eine "unabdingbare Voraussetzung für die Jagdausübung von Frauen" war (143). Weit über die Hälfte der aufgeführten "Hetzjagenden Aristokratinnen" (95) - deren Kenntnis wir v. a. der Untersuchung von Buxton verdanken - lebte außerhalb des behandelten Zeitraums und hier drängt sich die Frage auf, ob der Untersuchungszeitraum - 1200-1500 - sinnvoll gewählt wurde.
Im sprachlichen Bereich ergeben sich gewichtige Einwände. Sieht man über Anachronismen wie "Ranking [...] unterschiedlicher Adelsränge" (5), "Mainstream-Theologie" (26, 34) oder die Äußerung, dass eine "Edeldame [...] ihren Ehemann geschäftlich zu vertreten hatte" (37) hinweg, so hätte man sich beim Verlag doch zumindest eine solide Redaktion gewünscht, welche die Grammatik und Rechtschreibung verbessert hätte. So liest man beispielsweise "das [statt der] Psalter" (18, 100). Eine Vereinheitlichung des Ausdrucks wäre ebenso wünschenswert gewesen ("Klerus" / "Clerus", 23, 49) wie auch lateinische Korrekturen ("abbrevatio", statt abbevatio, 55). Neologismen wie "Damwildböcke" (97), "innovierte" (42) oder "Hetzjägerinnen" (140), erstaunen den Leser. Ausdrücke wie "Wehrübung" (11) oder "Wurfwaffen" (102) erwartet man eher im Bereich des Militärs. Guicennas gewinnt einen Buchstaben hinzu und heißt fortan fälschlicherweise Guicennans.
Wenig sensibel zeigt sich der sprachliche Umgang Fietzes mit den Kreaturen, die gleichsam wie Maschinen beschrieben werden. Da liest man über die "Wartung geeigneter Greifvögel" (4), oder dass der größte und schwerste Beizvogel der "weibliche Habicht (63 cm, 1250 g)" sei (73). Doch sind Vögel keine genormten Sportgeräte, sondern Lebewesen mit variablen Maßen. Nicht nur durch derlei Aussagen manifestiert Fietze wenig Vertrautheit mit dem Thema Jagd. Niemals war die Jagd ein "Vehikel zur Demonstration von [...] Alphabetisierung" oder gar dem "Zugang zu Buchwissen" (7). Ein guter Jäger lernte durch die Praxis. Ebenso wenig ist die Hetzjagd als "Gegenbegriff zur Beizjagd" (95) zu verwenden.
Nicht jedem ist die Jägersprache vertraut, doch wäre es dann auch konsequent, auf deren Verwendung zu verzichten. Wer sich allerdings mit dem Thema Jagd befasst und dazu ein Buch oder gar eine Habilitationsschrift publiziert, sollte sich auch mit der Sprache auseinandersetzen, zumal es Hilfsmittel hierfür gibt, die z. T. sogar im Literaturverzeichnis aufgeführt sind. Schwarzwild wird z. B. nicht "Aus-der-Decke-geschlagen" (122), sondern abgeschwartet. Das Wild wird nicht etwa "von den Hetzhunden totgebellt" (99), sondern das so genannte "Tot-ver-bellen" bedeutet, dass ein Hund beim bereits verendeten (toten) Wild bleibt und bellt, um es dem Hundeführer zu signalisieren.
Insgesamt stellt die Arbeit ein Kompendium von Gelesenem und oftmals nicht Verstandenem dar. Das eigentliche Thema der Untersuchung kommt zu kurz und viele Chancen werden vertan: Unter der Überschrift "Parforcejagd" wird z. B. eine Analyse piktischer Kunst und Erbfolge um 800 (109) gegeben. Beim Farbbild 8 wird statt auf den Wildschweinkopf rechts im Bild einzugehen, ein Bettler beschrieben (91). Neue, gewinnbringende Erkenntnisse, die nicht schon Lindner (Queen Mary's Psalter), Buxton oder andere brachten, sind rar. Die konkrete sportliche Leistung - mit Ausnahme des Reitens - (37 ff.) wird kaum thematisiert. Gleiches gilt für die physischen Leistungen und Kraftanstrengungen bei der Beizjagd, beim Schießen, Bergen oder Aufbrechen eines Hirsches. Die im Vorwort angekündigte sport- und kulturgeschichtliche Deutung (2) bleibt rudimentär. Ein kleines Schmunzeln entlockt zwar der Begriff "Schläger" für den Stock, aber dennoch ist der Vergleich der Haltung der kaninchenjagenden Damen (128) mit dem Golfsport durchaus nachvollziehbar. Weitere solcher Vergleiche hätten die Arbeit deutlich aufgewertet.
Der Leser vermisst einen Überblick und eine systematische Herangehensweise an das Thema. Stattdessen scheint eine zufallsgeleitete Aneinanderreihung von Sekundärliteratur vorgenommen worden zu sein. Dieses Zufallsprinzip manifestiert sich gleichermaßen im Sachregister, in dem sich z. B. Worte wie "baden" (165), "Eile" (167), "leise", (172), "Onkel", "politisch" (173) oder Ähnliches finden. Fietze führt oftmals Gegenthesen auf, doch sucht der Leser vergeblich nach den dazugehörigen Thesen. Im Ergebnis bleibt dadurch vieles inhaltsfrei, wie zum Beispiel: "Eine unverzichtbare Voraussetzung zum Erlernen der Jagd war das Kriegshandwerk jedoch nicht" (137). Die vorgenommenen Interpretationsversuche bleiben willkürlich, da Argumente und Belege meist fehlen, obwohl es sie bei intensiverer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zum Teil durchaus gegeben hätte. Die Quellen werden dem gewünschten Ergebnis angepasst, so heißt es einmal: "Daß ihr Jagdhund nicht abgebildet ist, bedeutet, daß er das Flugwild bereits hochgemacht hat" (76). Dann lesen wir aber: "Auch Jagdhunde sind nicht abgebildet. Das hat jedoch nicht viel zu sagen" (127). Absolute Aussagen hätten mehrfach einer Relativierung bedurft, um standzuhalten: "Bei der Jagd wiederum spielte (sc. die Frau) - wie gezeigt werden konnte - eine aktive Rolle" (135). Hätte Fietze formuliert, dass Frauen eine aktive Rolle 'spielen konnten', würde man ihr durchaus zustimmen können.
Es ist verblüffend, dass sich eine Sportwissenschaftlerin ohne sichtbare (jagd-)historische Kenntnisse an einer deutschen Universität über solch ein Thema - das nun nach wie vor Forschungsdesiderat bleibt - habilitieren konnte.
Cecilie Hollberg